Bundesanwaltschaft: Keine Ermittlungen wegen NSA-Überwachung
Die Bundesanwaltschaft wird voraussichtlich kein offizielles Verfahren wegen der NSA-Überwachung einleiten. Nach Informationen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR habe die Behörde weder Zeugen noch belastbare Dokumente zur Verfügung, um strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten.
Die ausbleibenden Ermittlungen betreffen sowohl die massenhafte Überwachung von deutschen Kommunikationsdaten als auch die Spionage-Angriffe auf das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In den letzten Monaten hatte die Behörde unter Generalbundesanwalt Harald Range geprüft, ob ausreichend Material vorliegt, um einen Anfangsverdacht zu begründen – so erklärt die Behörde zumindest bislang, dass sich die Vorprüfungen in beiden Fällen über Monate hinweg hinziehen.
Dass die Bundesanwaltschaft nun kein Verfahren gegen die NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ einleitet, hängt offenbar mit der mangelnden Unterstützung von anderen Behörden zusammen. Ermittlungen hätten nur „Symbolcharakter“, aber praktisch keine Erfolgsaussichten. Es gebe aus Sicht der Behörde, so die Süddeutsche Zeitung, keine Möglichkeiten, an belastbares Material zu gelangen, um illegale Aktivitäten von NSA und GCHQ in Deutschland zu belegen. Selbst deutsche Regierungsstellen können (oder wollen) keine Informationen liefern. Auf Anfrage hätten Ermittler der Bundesanwaltschaft stets die Antwort erhalten, man habe auch nur „Zeitungswissen“ über den NSA-Skandal.
Von deutschen Geheimdiensten ist ebenfalls nicht zu erwarten, dass diese belastbare Informationen liefern, ob deutsche Kommunikationsdaten von der NSA und dem GCHQ massenhaft überwacht werden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Dass es sich bei den monatlich über 500 Millionen Verbindungsdaten, die die NSA in Deutschland sammelt, um Kommunikationsdaten von deutschen Bürgern handelt, ist laut Bundesnachrichtendienst (BND) eine Fehlinterpretation der Snowden-Dokumente. Die Datensätze würden aus der Afghanistan-Aufklärung des BND stammen. Derweil hat eine Prüfgruppe vom Verfassungsschutz untersucht, ob in Deutschland zentrale Glasfaserkabel von der NSA oder dem GCHQ angezapft werden. Ergebnis der Prüfgruppe: Keine Hinweise gefunden.
Dass US-Geheimdienste das Handy von Kanzlerin Merkel abgehört haben, wurde zwar politisch mehr oder weniger bestätigt. Als Beweise würden die vorliegenden Snowden-Dokumente aber nicht ausreichen, um ein strafrechtliches Verfahren zu eröffnen, so die Ansicht der Ermittler. So sei etwa unklar, wo und wie genau die Handy-Kommunikation von Merkel abgehört wurde. Um weitere Beweise zu sammeln, wäre die Bundesanwaltschaft allerdings auf Unterstützung von US-Behörden angewiesen. Dass die entsprechenden Rechtshilfegesuche an amerikanische Geheimdienste laut BND und Verfassungsschutz ins Leere laufen würden, ist jedoch nicht allzu überraschend.
So kämpft die Bundesanwaltschaft offenkundig mit dem Problem, dass die NSA-Überwachung zwar wie ein rosa Elefant und für jeden sichtbar durch den Raum schwebt, doch mit den juristischen Mitteln einer deutschen Behörde derzeit nicht zu packen ist.
Internetaktivisten: Von „rechtsstaatlicher Farce“ bis „Arbeitsweigerung“
Netzaktivisten reagieren äußerst verärgert auf die sich anbahnende Entscheidung der Bundesanwaltschaft. „Wie will der Generalbundesanwalt denn das wissen, wenn es noch nicht einmal Ermittlungen gegeben hat“, sagte CCC-Sprecherin Constanze Kurz laut einem Bericht von Welt Online. Der CCC, der bereits im Februar die Bundesregierung und weitere Behörden wegen dem NSA-Skandal angezeigt hat, will nun die endgültige Entscheidung abwarten und dann prüfen, ob erneut Rechtsmittel eingelegt werden.
Rena Tangens von Digitalcourage übt ebenfalls Kritik: „Einerseits den wichtigsten Zeugen – Edward Snowden – nicht zur Vernehmung einzuladen, obwohl der seine Bereitschaft zur Aussage klar signalisiert hat, andererseits zu behaupten, es gäbe keine Zeugen und keine Dokumente, um die NSA-Überwachung zu belegen, ist grotesk.“ Sollte der Generalbundesanwalt tatsächlich kein Ermittlungsverfahren einleiten, grenze das an Arbeitsverweigerung.
„Die Entscheidung des Generalbundesanwalts ist in rechtsstaatlicher Hinsicht eine Farce“, sagt Volker Tripp von Digitale Gesellschaft. Angesichts der seit knapp einem Jahr laufenden Enthüllungen „einen Anfangsverdacht zu verneinen, ist entweder Realitätsverweigerung oder Rechtsbeugung.“ Mit dem Zeugen Edward Snowden und den durch ihn an die Öffentlichkeit gelangten Dokumenten wären ergiebige Beweismittel greifbar.
Aufklären muss nun der NSA-Ausschuss
Allerdings steht die finale Entscheidung über ein Ermittlungsverfahren nach wie vor aus. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft erklärte auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, dass zunächst noch „offene ergänzende Anfragen und Abklärungen“ bearbeitet werden müssten, bis es zu einer „abschließenden Bewertung“ komme.
Für diese Hängepartie sowie die sich anbahnende Entscheidung haben Politiker aus der Opposition kein Verständnis. „Die Bundesregierung mauert, die Bundeskanzlerin schweigt, der Generalbundesanwalt verweigert sich, die Ministerien tun nichts gegen die Massenüberwachung und die Spionage", sagte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz in der Süddeutschen Zeitung. Linken-Parteichef Bernd Riexinger spricht von einem „beispiellosen Akt der Rechtsbeugung“. Und für den FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki ist es eine „Bankrotterklärung des Rechtsstaates gegenüber kriminellen Aktivitäten, die sich gegen die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland gerichtet haben“.
Doch für die NSA-Aufklärung in Deutschland hat der Verzicht auf ein offizielles Ermittlungsverfahren vermutlich keine allzu schwerwiegenden Folgen. So verweist der Jurist Frank Bräutigam im Interview mit der Tagesschau auf den NSA-Ausschuss, der unabhängig vom Generalbundesanwalt ermittelt. Denn: „Der Untersuchungsausschuss ist frei, trotzdem intensiv nachzuforschen, auch wenn die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt werden sollten.“ Und Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, kündigte bereits an: „Sollte Herr Range tatsächliche keine Ermittlungen aufnehmen wollen, dann werde ich dafür sorgen, dass er sehr zügig vor dem Bundestag dazu Stellung nehmen muss.“