Wolfenstein: The New Order im Test: Klassisch gut

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Sasan Abdi
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The New Order auf einen Blick

Insbesondere in den Geschichtswissenschaften gehört es zur alltäglichen Arbeit, sich mit sogenannten kontrafaktischen Annahmen zu beschäftigen – mit Annahmen also, die nicht der Realität entsprechen, deren Auswertung aber unter Umständen unter einem „was wäre, wenn“-Schema trotzdem interessante Schlüsse möglich macht.

„Wolfenstein“ ist, wenn man so will, eine kontrafaktische Videospielreihe, weil sie sich inhaltlich schon immer damit befasst, was wäre, wenn das „Dritte Reich“ nicht in Schutt und Asche zerfallen wäre und die Nazis stattdessen mit ihrer unmenschlichen Ideologie ganz Europa oder gar die Welt unterjocht hätten. Dieses Horrorszenario liegt auch dem neuesten Teil zugrunde

Absurd-guter Plot

Auch in „Wolfenstein: The New Order“ (TNO) ging der 2. Weltkrieg anders aus, als in der Realität. China und Russland sind überrannt, die USA haben kapituliert, nachdem die Nazis eine Atombombe über Manhattan abgeworfen haben – und schon bald wird auch der letzte Fleck Freiheit von den Nazis eingenommen sein, die in der deutschen Version von „The New Order“ nur als „das Regime“ bezeichnet werden.

In diesem Rahmen entlassen die Entwickler von MachineGames mit B.J. Blazkowicz den alten Helden der Reihe aufs Neue in den neuen Kampf gegen den Faschismus. Dabei darf natürlich auch dieses Mal ein durchgedreht-psychopathischer Antagonist nicht fehlen, der in „The New Order“ von einem Nazi-„Wissenschaftler“ mit dem treffenden Namen General Totenkopf vertreten wird.

Der Einstieg ist in diesem Zusammenhang actionreich, wenn auch spielerisch etwas eintönig: Blazkowicz befindet sich auf einer selbstmörderischen Mission, die zum Ziel hat, Totenkopf in seiner eigenen Festung den Garaus zu machen. Das Vorhaben geht nach einigen Schießereien durch schlauchige Standard-Areale gründlich schief. Die bunt zusammengewürfelte Einheit wird Gefangen genommen und der Spieler muss eine wirklich unmoralische Entscheidung treffen, die einen nicht nur mitnimmt, sondern auch leichte Auswirkungen auf die weiteren Inhalte der Handlung hat. Zum Ende dieser überraschend umfassenden inhaltlichen Einführung findet sich Blazkowicz schließlich mit einem Splitter im Kopf in einer Nervenheilanstalt wieder, die er erst 14 Jahre später verlassen wird.

Dieser zeitliche Kniff erlaubt es den Entwicklern, ihr „was wäre, wenn?“-Szenario umfangreich auszuspinnen. Als Blazkowicz erwacht, sieht er sich nämlich nicht nur der potentielle Liebe seines Lebens gegenüber, sondern auch einer katastrophalen Gegenwart: Das Regime hat gesiegt, die Welt ist unterjocht, der Widerstand zerschlagen – und jede Hoffnung unangebracht.

Man kann das so etablierte Endzeit-Setting von „New World Order“ durchaus für seine Absurdität kritisieren. Spannend ist es aber allemal, zumal MachineGames die historischen Aspekte dieses Rahmens in Zeitungs- und Informationsschnippsel immerhin soweit ausschmückt, das eine passende Atmosphäre entsteht.

Trotzdem muss der Spieler einige Toleranz mitbringen, um dem Schreckensszenario zu folgen. Dies liegt zum einen an der grundsätzlichen Erzählung, die in typischer Actionmanier einige Übertreibungen zu bieten hat: Wenn eine kleine Gruppe von Widerstandskämpfern sich anschickt, dem weltumspannend herrschenden Regime in die Suppe zu spucken, sollte die Art und Weise, wie dies geschieht, nicht zu detailliert hinterfragt werden.

Zugute halten kann man den Entwicklern aber in diesem Zusammenhang, dass sie ihre eigene Geschichte nicht durchgängig ernst nehmen. So kommt es immer wieder zu bewusst absurden Szenen, bei denen deutlich wird, welchen Einfluss Quentin Tarantino mit „Inglourious Basterds“ auf das sehr spezielle Genre der Nazi-Metzelei hatte: Wenn Blazkowicz in einem Nachtzug gegenüber einer Nazi-Befehlshaberin und ihrem Gespielen platznimmt, um einen „Test“ zu bestehen, fliehen die Gedanken des Spielers unweigerlich zu einer witzigen aber zugleich beklemmenden Trinkszene in „Inglourious Basterds“. Auch wenn MachineGames hier etwas zu offensichtlich den Tarantino-Stil abkupfert: Das Pendel schlägt in „The New Order“ gekonnt zwischen Ernst und Ironie hin und her.

Wolfenstein: The New Order im Test
Wolfenstein: The New Order im Test

Zu den angeführten Übertreibungen gehören aber, zum anderen, auch die spielerischen Implikationen, die MachineGames aus dem Setting ableitet. So trifft Blazkowicz nicht nur auf gut gepanzerte NS-Schergen und Frankenstein-Schöpfungen, sondern auch auf mechanisierte Kampfhunde und riesige Kampfroboter, was TNO phasenweise einen deftigen SciFi-Anstrich verpasst.

Trotzdem kann der Spieler mit der Kampagne von „The New Order“ spannende 13, 14 Stunden verbringen, was vor allem daran liegt, dass die Entwickler ihre in manchen Momenten fast schon zu absurde Erzählung in jede Menge überraschende Wendungen und eine fantastische Inszenierung verpacken, sodass man in Kombination mit dem obligatorisch zünftigen Action-Anteil nur so durch die Kampagne rauscht.

Variables Gameplay, doofe KI

Im besagten Action-Teil stehen Blazkowicz nicht nur die üblichen Weltkriegswaffen, sondern auch futuristische Wummen wie eine automatische Shotgun, ein Laserschneider und Tesla-Granaten zur Verfügung. Für den Bumm-Bumm-Anteil ist in Verbindung mit der erwähnten vielfältigen Gegnerschaft also gesorgt, zumal der Spieler zwischendurch immer wieder auf dickeres Gerät wie Flakkanonen und Standgeschütze zurückgreifen kann.

Löblich ist dabei, dass der Rambo-Weg nicht in allen Abschnitten obligatorisch ist. Wer will, kann stattdessen immer mal wieder durch die Gegend schleichen, wobei nicht mal zwingend alle Gegner aus dem Weg geräumt werden müssen.

Sonderlich fordern ist dies nicht, sofern der Spieler die Laufwege der Wachen einigermaßen antizipiert. Denn um Intelligenzbestien handelt es sich bei den TNO-Gegnern nicht: Wenn der Nazi-Scherge einmal an die Wand starrt, kann sich Blazkowicz problemlos zum Nahkampfangriff nähern – umdrehen wird sich sein Gegner auch dann höchstwahrscheinlich nicht, wenn Blazkowicz direkt hinter ihm geräuschvoll Gegenstände aufnimmt.

Gleiches gilt für die Kompetenz in offenen Kämpfen. In einem engen Gang kann es gut passieren, dass sich die Faschisten in eine Reihe stellen, sodass ihr amerikanischer Widersacher sie problemlos nacheinander von der Stange schießen kann. Deckung suchen ist ohnehin nicht die Stärke der TNO-Nazis: Oft ragen Gliedmaßen deutlich erkennbar hinter schützenden Strukturen hervor, sofern die NPCs denn überhaupt Deckung gesucht haben. In dieser Hinsicht ist „The New Order“ also ein ziemlich konventioneller Shooter, bei dem in puncto Gegner auf das Masse-statt-Klasse-Prinzip gesetzt wird.

Wolfenstein: The New Order im Test
Wolfenstein: The New Order im Test

Positiv ist dagegen, dass der Titel bei der Munition und dem Heilungssystem auf alte Werte setzt. So heilt sich Blazkowicz nur auf 20 Prozent selbst – für alles weitere (und auch für einen kurzen „Boost“ auf über 100 Prozent) braucht es Nahrung oder Medipacks. Und auch die Munition wird dem Protagonisten nur in extrem verteilter Form angeboten und ist obendrein meistens knapp, was dazu beiträgt, dass sich der Spieler kaum auf allzu stupides Dauerballern verlegt.

Schlauchig-schöne Spielumgebung

Ähnlich wie beim Masse-statt-Klasse-Prinzip der Gegner geht „The New Order“ auch bei der Spielwelt auf den ersten Blick den konventionellen Weg, sodass die Abschnitte aus Schlauchlevel bestehen. Anders als bei manchem Konkurrenten eröffnen sich aber immer wieder auch alternative Wege, sodass sich das Spielen weniger nach einer einfachen Durchschleusung des Spielers anfühlt.

Zu diesem positiven Eindruck trägt auch bei, dass die Schauplätze angenehm häufig wechseln. Wir schleichen durch eine polnische Nervenheilanstalt, stürmen einen Hochsicherheitstrakt in Berlin und infiltrieren eine riesige Forschungsanstalt in London. Gespickt sind diese großen Aufträge immer wieder mit kleineren Abstechern und einigen inhaltlichen Überraschungen, über die sich sowohl Nostalgiker als auch Raumfahrer freuen werden.

Gut gefallen hat uns auch, dass sich spielerisch viel um den Unterschlupf der Widerstandskämpfer dreht. Hier gönnt „The New Order“ dem Spieler überraschend ruhige Momente, in denen die Interaktion mit den Mitstreitern im Vordergrund steht. Zwar verzichtet der Titel völlig auf aufgesetzte Rollenspiel-Elemente wie eine Charakterentwicklung, die unpassend wäre; in den kurzen Dialogen und bei der Interaktion im Versteck kommt aber fast Lagerfeueratmosphäre auf.

Fehlerlastige Technik

So gut uns „Wolfenstein: The New Order“ gefällt: Technisch leisten sich die Entwickler bei der PC-Version einige Patzer. So berichten zahlreiche Spieler in den einschlägigen Foren, dass der Titel nicht ohne Weiteres spielbar ist oder aber ständig abstürzt.

Auch bei uns wollte „The New Order“ nicht sofort laufen. Erst mit dem aktuellen Beta-Treiber von AMD ließ sich das Spiel überhaupt starten. Doch selbst dann hatten auch wir ab und an mit Crash-to-Desktops und teils satten (siehe Bild unten) Grafikfehlern zu kämpfen.

Wolfenstein: The New Order im Test
Wolfenstein: The New Order im Test

Und auch abseits davon gibt es einiges zu beanstanden. Immer wieder stolperten wir über zerfranste Schatten, Tearing und aufpoppende Texturen. Hinzu kommt, dass die Performance bisher mäßig ist: Auf Ultra-Einstellungen hatten wir teils drastische FPS-Schwankungen zwischen 25 und 60 Bildern pro Sekunde. Erst auf „hohen“ Details ließ sich der Titel in einer Auflösung von 1.920 × 1.080 halbwegs flüssig spielen. Die für ihre Technik berüchtigte id-Tech-5-Engine schlägt demnach auch bei „Wolfenstein: The New Order“ zu und es bleibt zu hoffen, dass ein Patch zumindest etwas Abhilfe schafft.

Grundsätzlich zaubern die Entwickler aber trotz allem eine stimmige, wenn auch nicht bahnbrechende Grafik auf den Bildschirm, die der Spielatmosphäre zuträglich ist. Wenn wir diese gute Optik jetzt noch flüssig und absturzfrei genießen könnten – wir wären zufrieden.

Wolfenstein: The New Order im Test
Wolfenstein: The New Order im Test

Doch auch bei der Audio-Umsetzung gibt es etwas zu meckern. Zwar überzeugt die deutsche Synchronisation mit überwiegend sehr guten Sprechern, doch sind gerade Funksprüche teilweise viel zu leise abgemischt. Während uns also das Gewehrfeuer aufgrund einer hohen Lautstärke in den Ohren dröhnt, lässt sich kaum mehr entziffern, was die Mitstreiter da gerade über Funk mitteilen. Man mag das Realismus nennen – im Spiel ist es jedoch nervig.