11 Marketing-Tricks bei Netzteilen: Nutzlose Features kreativ verpackt
Einleitung
Nicht alle von Herstellern beworbenen Produkteigenschaften sind in der Realität nützlich und sinnvoll. Gerade bei komplexen Produkten versuchen einige Hersteller, sich durch kreative Vermarktung nutzloser oder selbstverständlicher Produktmerkmale Aufmerksamkeit zu verschaffen. ComputerBase deckt elf verbreitete Mythen und Beispiele für Marketing-Sprech bei Netzteilen auf. Nutzlose, aber ausführlich beworbene Eigenschaften, unnötige Siegel, kreative Vermarktung und bewusstes Ausnutzen populärer falscher Ansichten sind erstaunlich weit verbreitet. Durch einen kleinen Einblick in die wichtigsten Irrtümer und Marketing-Tricks der Branche soll dieser Artikel den Käufer sensibilisieren und vor Fehlkäufen schützen.
Unnötige Siegel und Logos
Groß, bunt, effekthaschend: Zahlreiche Siegel auf der Verpackung des Netzteils versichern Wirkungsgrad und Kompatibilität. Die Aussagekraft der meisten Logos ist jedoch geringer als die flächendeckende Verwendung über Markengrenzen hinweg verheißt.
SLI/Crossfire-Kompatibilität
Nvidia und AMD bescheinigen einigen Netzteilen die Eignung für die Nutzung mit mehreren Grafikkarten im SLI- beziehungsweise Crossfire-Verbund. Zwei Logos auf der Verpackung verheißen dem Kunden den problemlosen Betrieb.
In der Praxis sagt die vermeintlich offizielle Eignung aber wenig aus. Beide Chiphersteller achten lediglich auf die Wattklasse und die Anzahl der Grafikkartenanschlüsse des Netzteils. Die von den Grafikkartenherstellern vorgesehene Wattklasse ist für viele Systeme zudem im Zeitalter sparsamer, aber leistungsfähiger Prozessoren weit übertrieben. Schon für zwei High-End-Karten empfiehlt Nvidia beispielsweise ausschließlich Netzteile mit mindestens 900 Watt. Wer für sein Multi-GPU-System auf ein offiziell kompatibles Netzteil besteht, gibt daher oft unnötig viel Geld für in der Realität nicht benötigte Leistung aus. Zudem sind bei Weitem nicht alle aus technischer Sicht für ein Multi-GPU-System geeigneten Netzteile auf der Freigabeliste. AMD hat das Programm zwischenzeitlich sogar eingestellt, so dass die Netzteil-Kompatibilitätslisten nicht mehr aktuell sind. Trotzdem werden die entsprechenden Logos von den Netzteilherstellern weiterhin gerne verwendet.
Nach welchen Kriterien die Netzteile für die „Zertifizierung“ ausgewählt werden, konnte auch auf mehrfache Nachfrage weder Nvidia noch AMD mitteilen.
80Plus-Zertifikat
Das 80Plus-Siegel suggeriert einen geprüften Wirkungsgrad und zählt inzwischen zu den weltweit bekanntesten Logos für energieeffiziente Technik. Fünf Stufen – 80Plus Bronze, Silber, Gold, Platinum und Titanium – gruppieren PC-Netzteile nach ihrer Effizienz. Eine gute Idee mit lückenhafter Umsetzung, die das System anfällig für Qualitätsprobleme und Betrug macht.
ComputerBase hat den Tücken von 80Plus bereits ein eigenes Thema gewidmet, denn ein schickes 80Plus-Siegel garantiert bei der derzeitigen Umsetzung der Zertifizierung in der Realität nicht zwangsläufig den entsprechenden Wirkungsgrad. Zudem verzichten einige Hersteller aus Kostengründen – das 80Plus-Logo kostet derzeit rund 1.500 US-Dollar pro Modell – auf eine Zertifizierung, obwohl das Netzteil die Kriterien erfüllt. Ob die Verpackung ein entsprechendes Logo trägt, ist deshalb kein allein geeignetes Kaufkriterium.
Green
Umweltschutz ist in aller Munde. Passend zur Ökowelle vermarkten zahlreiche Hersteller auch ihre Netzteile als besonders umweltfreundlich. Umweltschonende Verpackung, weniger unnötige Beigaben, hohe Effizienz und optimierter Fertigungsprozess sollen bestimmte Spannungswandler adeln.
In der Praxis bleibt von diesen Versprechen bei einer kritischen Überprüfung wenig übrig. Der Wirkungsgrad ist trotz dieser Versprechen bei manchen Produkten wie dem In Win GreenMe nur Durchschnitt. Der Verzicht auf bedruckte Hochglanzkartons oder mitgelieferte Netzkabel ist ein kleiner Beitrag zum Umweltschutz, betrifft aber nicht das eigentliche als „Green IT“ beworbene Produkt.
Bei angeblich umweltschonenderen Herstellungsverfahren bleiben die Hersteller den Beweis schuldig. Die Netzteile werden in denselben Fabriken mit derselben Fertigungstechnologie wie andere Netzteile gebaut. Die Mindeststandards bezüglich problematischen Materialien werden in Europa durch das Kürzel RoHS vorgegeben. Die EG-Richtlinie 2011/65/EU fordert beispielsweise bleifreies Lot und gibt für viele andere Schadstoffe Grenzwerte vor. Ähnliche Regelungen gelten auch in zahlreichen anderen Wirtschaftsräumen und müssen daher von allen international agierenden Herstellern eingehalten werden. Interessanterweise nennen selbst die Hersteller in ihren Marketing-Materialien keine darüber hinausgehenden, konkreten Vorteile. Eine Überprüfung der Produktionsbedingungen von unabhängigen Institutionen fehlt darüber hinaus bisher.
Ein sinnvollerer Beitrag zum Umweltschutz wäre eine lange Lebensdauer, da ein hochwertiges Netzteil nicht bei der nächsten Hardware-Aufrüstung ausgetauscht werden muss. Besonders hochwertige Komponenten und lange Garantiezeiten sind bei den „grünen“ Netzteilen aber nicht zu finden.
Langlebige und sparsame Netzteile finden sich aber auch unter den nicht ausdrücklich als umweltfreundlich beworbenen Produkten und leisten einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz.
Haswell-ready
Auch bezüglich der Eignung für die aktuellen Intel-Plattformen mit Haswell-Prozessoren haben die Marketing-Abteilungen einiger Netzteilhersteller außerordentliche Kreativität bewiesen. Schicke Logos und vollmundige Versprechungen preisen aktuelle Spannungswandler an, obwohl es für Netzteile gar kein offizielles Logo oder Zertifizierungsprogramm von Intel gibt. Die einzige offizielle Liste ist nur als Hilfestellung für Wiederverkäufer gedacht und soll keinen Marktüberblick darstellen. Einige Hersteller haben daher kurzer Hand ihr eigenes Logo erschaffen, um ihre neue Netzteilgeneration von den Produkten der Wettbewerber abzugrenzen und die Eignung für aktuelle Intel-Plattformen zu betonen.
Die Realität ist jedoch erneut weit weniger spannend. In vielen realen Systemen leisten auch nicht ausdrücklich geeignete Netzteile problemlos ihren Dienst. Ein Austausch eines ansonsten zeitgemäßen Netzteils nur wegen des Upgrades auf die neueste CPU-Generation ist meist nicht nötig. Für tatsächlich nicht geeignete Netzteile bietet sich zudem die Deaktivierung der neuen Stromsparmechanismen der CPUs an.
Umgekehrt sind auch die Haswell-Kompatibilitätsversprechen der Hersteller wenig wert. Intel selbst definiert die Haswell-Eignung nur teilweise in der aktuellen Revision der Spezifikation: Netzteile müssen auch mit einer Minimallast von 0,05 Ampere auf der 12-Volt-Schiene für den Prozessor zulässige Spannungen liefern. Für die +3,3- und +5-Volt-Leitung werden keine Lastvorgaben angegeben. Intel selbst empfiehlt den PC-Herstellern, alle geplanten Testsysteme als Prototyp zu fertigen und mit einem speziellen Test-Tool zu prüfen.
Für Retail-Netzteile ist diese Vorgehensweise wenig sinnvoll – erst die Hardware, die der Kunde schlussendlich verbaut, bestimmt die Belastung der +3,3- und +5-Volt-Leitung. Für pauschale Haswell-Eignung müsste das anspruchsvollste Szenario zugrundegelegt werden: Minimale Last von insgesamt 0,1 Ampere auf +12V, Volllast auf +3,3 und +5 Volt. Statt mit elektronischen Lasten zu testen, „prüfen“ einige Netzteilhersteller ihre Produkte jedoch einfach in realen Beispiel-Systemen und verpassen ihnen dann pauschal eine generelle Haswell-Eignung. Solche Tests sind weit weniger anspruchsvoll als simulierte Extrem-Konfigurationen und daher nur begrenzt aussagekräftig. Einen Rückschluss auf die allgemeine Haswell-Eignung erlaubt ein so getestetes Netzteil nicht.
Solange kein Konsens besteht, dass „Haswell-ready“ auch die Extremfälle abdeckt und die Testmethodik offengelegt wird, sind die Hersteller-Versprechen diesbezüglich nicht belastbar. Ebenso wie Netzteile ohne offiziellen Segen können als kompatibel vermarktete Netzteile in allen Konfigurationen funktionieren, können aber auch in anspruchsvollen Szenarien versagen. ComputerBase überprüft die Haswell-Eignung in den Testberichten daher zukünftig selbst mit einer eigenen Messung.