Indie-Community: Early Access aus der Perspektive der Entwickler

Andreas Schnäpp
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Indie-Community: Early Access aus der Perspektive der Entwickler

Ein Spiel als „Early Access“-Titel zu vermarkten, kann Segen und Fluch zugleich sein. Bohemia Interactive widmete dem Konzept „Early Access" mit seinen Vor- und Nachteilen einen ganzen Vortrag auf der GDC Europe. Doch was hat sich seit den Anfängen von Steam Greenlight verändert? Drei Entwicklerstudios gewähren Einblicke.

Die Sandbox-Überlebenssimulation Project Zomboid war im September 2012 eines der ersten Projekte, das die Greenlight-Zertifizierung erfolgreich hinter sich ließ. Noch bevor die ersten Spiele unter dem Early-Access-Label auf Valves Verkaufsplattform erschienen, finanzierten Spieler trotz unverschuldeter Rückschläge den Fortbestand des Projekts während der Alpha-Phase. Im Gespräch mit dem Videospiele-Blog Joystiq zeigte sich Chris Simpson von The Indie Stone, dem Entwicklerstudio hinter Project Zomboid, bestürzt über den Reputationsschaden und negativen Imagewandel, den das Konzept der Alpha-Finanzierung seither erlitten hat: „Es ist frustrierend zu sehen, wie der Ruf [der Idee der Alpha-Finanzierung] den Bach runtergeht.

Für Simpson und sein Team sei Steam damals der „Schatz am Ende des Regenbogens“ gewesen und das Entwicklerstudio habe sich bemüht, die einzige Chance einen guten Eindruck zu hinterlassen, nicht zu vergeuden. Deshalb sei der Entschluss gefallen, über ein Jahr mit der Veröffentlichung des Early-Access-Titels zu warten.

Andere Entwickler waren weniger vorsichtig, entsprechend harsch war die Kritik seitens der Spieler und der Presse. Im Fall von „The War Z" sah sich Valve zwischenzeitlich genötigt, das Spiel aus dem Steam-Sortiment zu entfernen, nachdem irreführende Produktbeschreibungen und das Bezahlmodell Spieler erzürnte. Im Fall von „Towns“, das sich über 200.000 mal verkaufte, wobei die Arbeiten an der Städtebau-Simulation dennoch mehrmals eingestellt und wieder aufgenommen wurden, zeigt sich die Frustration der Spieler mit dieser Geschäftspraxis in den Nutzermeinungen: 78 Prozent der abgegebenen 1.006 Bewertungen sind negativ. Ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte der Crowdfunding-Projekte war das im Juli nach nur einem Jahr eingestellte und ursprünglich mit über 570.000 US-Dollar finanzierte Sandbox-Spiel „Yogventures!“, das von der YouTube-Gruppe The Yogscast initiiert wurde und zum Konkurs des Entwicklerstudios „Winterkewl“ führte.

Geschichten wie diese tragen dazu bei, dass Spieler dem Konzept „Early Access“ zunehmend misstrauisch eingestellt sind. Zwar stärkt Project Zomboid nun eine starke Community den Rücken, andere Entwickler werden es jedoch dank der schwarzen Schafe in Zukunft schwieriger haben. Für The Indie Stone sei Early Access wie ein „Geschenk der Götter“ gewesen, so Simpson, „denn es ermöglichte einem kleinen Team etwas zu machen, das ein bisschen ambitionierter und spannender ist“. Simpson führt fort: „Ohne die Finanzierung während der Alpha-Phase wären wir nicht in der Lage gewesen das Spiel zu machen, so einfach ist das.“

Ryan Clark, Designer von Crypt of the NecroDancer, einer Mischung aus Roguelike und Rhythmusspiel im Sinne von Dance Dance Revolution, präsentierte seine Perspektive auf die Early-Access-Situation als Neueinsteiger. Bevor sein Spiel Ende Juli als Early-Access-Titel veröffentlicht wurde, sei er trotz vieler Ratschläge zum Early-Access-Programm nervös gewesen, da dieses Konzept bei vielen Spielern mit einem Stigma behaftet wäre. Clark dazu: „Ich wusste, dass es eine Menge Leute gibt, die Early Access Spiele aus Prinzip nicht kaufen, weil sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen machten oder davon hörten. Gäbe es dieses Stigma nicht, würde man jedes Spiel, bei dem es Sinn macht, als Early Access kaufen.

Für Clark sei es insofern verständlich, dass auf Reddit schon die Frage aufkam, inwiefern sich potentielle Käufer denn überhaupt sicher sein könnten, dass es sich bei seinem Projekt nicht um Betrug handle und sich die Entwickler mit dem Geld davon machen. Clark dazu: „Es schockiert mich, da ich weiß, dass ich unter keinen Umständen das Projekt aufgeben werde. Ich liebe das Spiel. Ich will es fertigstellen und begleiten, deswegen ist es seltsam jemanden zu hören, der dich ... gewissermaßen beschuldigt [so etwas zu tun]. Aber es macht Sinn, sofern ihnen das in der Vergangenheit passiert ist.“ Im Fall von Crypt of the NecroDancer erwies sich die Sorge vor den Risiken einer Early-Access-Veröffentlichung als unberechtigt: Die 618 abgegebenen Bewertungen sind bislang ausschließlich positiv.

Ein oftmals geforderter Lösungsansatz, um dem Problem irreleitender Early-Access-Titel Herr zu werden, sei es für mehr Qualitätskontrolle auf Steam zu sorgen. Valves Ansatz tendiert jedoch zu mehr Offenheit für alle beteiligten Entwickler. Jamie Cheng, Gründer von Klei Entertainment, stimmt dem Ansatz, die Kontrolle den Konsumenten selbst zu überlassen, allerdings zu. Kerbal Space Program und Rust seien Beispiele dafür, wie unfertige, möglicherweise „kaputte“ („broken“) Spiele den Spielern riesigen Spaß bereiten. Cheng dazu: „Es mag vielleicht kaputt sein, aber welchen Maßstab nutzt man? Denn dann wird es [die Entscheidung, welches Spiel als Early-Access-Titel veröffentlicht werden darf] willkürlich. Entweder ist es willkürlich oder schlecht. Oder beides.

Chengs Lösungsvorschlag setzt bei einer angemessenen Erwartungshaltung an: „Was jeder möchte – nun, vielleicht nicht die Leute, die dich betrügen wollen – ist, dass Leute ihre Käufe nicht bereuen. Sodass du in der Lage bist ein kaputtes Spiel zu kaufen und, wenn du möchtest, dieses auch zu spielen. Es ist einfach besser, dass du weißt, dass es kaputt ist. Die Utopie wäre, dass ich weiß, dass das Spiel kaputt ist und nie fertiggestellt wird und die Entwickler es zurücklassen. Und wenn dann trotzdem Leute dieses Spiel kaufen wollen, sollen sie das tun können.

Simpsons Ansatz basiert einerseits darauf, dass die Steam Community mit einem scharfen Auge und Instinkt entscheiden müsse, welche Spiele mit Geld unterstützt werden. Da irreführendes Marketing dieses Vorhaben jedoch auszutricksen versucht, will ein anderer Ansatz die kuratierende Arbeit in die Hände der Spieler geben. Wenn in Zukunft statt Verkaufszahlen die Nutzerbewertungen eine größere Rolle darin spielen würden, welche Titel bei Steam leichter zu entdecken sind, ist laut Simpson egal, ob es wirklich kaputte und unspielbare Titel auf Early Access schaffen. Das Verhältnis zwischen positiven und negativen Nutzerwertungen könnte zudem als Bewertungsmaßstab herangezogen werden, um für mehr Sicherheit zu sorgen.

Laut Simpson sitzen die Entwickler jedoch alle im gleichen Boot und tragen demnach ein Gefühl der Mitverantwortung im Early-Access-Markt. Dieses Gefühl betreffe nicht nur die eigenen Kunden, sondern auch die anderen Entwickler, die später in den Markt einsteigen. „Wir geben unser Bestes, fair und verantwortungsvoll damit umzugehen, [...], in der Indie Community geht es um die Spiele, nicht ums Geld.

Diese Aussage deckt sich auch mit einer Erhebung von Gamasutra zum Thema Einkommen in der Videospielbranche. Im Rahmen der diesjährigen „Gamasutra Salary Survey“ (Download (PDF), S. 84ff.) haben im Mai 2014 über 4.000 Entwickler weltweit Auskünfte zu ihrem Einkommen gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr sank das durchschnittliche Einkommen von Solo-Indie-Entwicklern um 49 Prozent von 23.130 US-Dollar jährlich im Jahr 2012 auf 11.812 US-Dollar im Jahr 2013. Bei Mitgliedern unabhängiger Entwicklerstudios stieg das jährliche Einkommen im gleichen Zeitraum hingegen um 161 Prozent von 19.487 US-Dollar auf 50.833 US-Dollar. Gamasutra weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die erhobenen Daten zu unabhängigen Entwicklern im Verlauf der fünfjährigen Erhebung von Jahr zu Jahr großen Schwankungen unterlagen. Von den befragten Indie-Entwicklern erhielten nur fünf Prozent Einnahmen aus Crowdfunding-Kapital. Gerade einmal acht Prozent der Befragten gaben an, Einnahmen aus bezahlten Alpha-Versionen zu erhalten. 57 Prozent der Indie-Entwickler (sowohl Solo-Entwickler als auch Teams) haben im letzten Jahr weniger als 500 US-Dollar mit dem Verkauf ihrer Spielen verdient – im Gegensatz dazu gaben jedoch auch zwei Prozent der Befragten an, mehr als 200.000 US-Dollar mit dem Erlös ihrer Spiele erwirtschaftet zu haben.

Im Vergleich dazu hat das durchschnittliche Einkommen bei Festangestellten je nach Berufsfeld in der Videospielindustrie in den USA zwischen 54.833 (im Bereich Quality Assurance) und 101.572 US-Dollar (Business und Management) betragen. Über alle Berufszweige der Videospielbranche hinweg lag das amerikanische Durchschnittseinkommen im Jahr 2013 bei 83.060 US-Dollar, in Canada bei 71.445 US-Dollar und in Europa bei 46.232 US-Dollar. Demnach lässt sich erkennen, dass der Schritt in die Unabhängigkeit zwar im Laufe des letzten Jahres deutlich attraktiver für Entwickler geworden ist, dieser jedoch auch weiterhin mit großen Kompromissen verbunden ist.

Chengs Ansicht nach sei Early Access „keine Raketenwissenschaft: Je mehr Augen auf das Spiel geworfen werden, desto besser werde es. Ob sich diese Annahme jedoch auch in Verkaufszahlen niederschlägt, beantwortete Cheng folgendermaßen: „Ich weiß nicht. Aber wir haben unsere ganze Firma auf der Prämisse begründet, dass wenn wir wirklich interessante, fesselnde Spiele erschaffen, auch Leute kommen und diese kaufen werden.“ Vor Kurzem landete Chengs neuestes Projekt, Invisible Inc., auf Steam Early Access.

Im gleichen Sinne entschied sich auch Clarks Team dazu, Crypt of the NecroDancer bei Early Access anzubieten, weil der Qualitätsaspekt das Risiko überwogen habe. Zwar ließen die Verkaufszahlen bei Spielen mit Early Access schneller nach als bei herkömmlichen Veröffentlichungen, aber laut seiner Aussage habe sich das Feedback der Spieler jetzt schon als „unbezahlbar“ erwiesen.