Kommentar: Geht's auch realistisch?
Für Spiele scheint dieser Tage zu gelten: Je mehr Fantasy, desto besser! Aber warum eigentlich? Schreibt nicht das reale Leben die besten Geschichten? Für mich ist der Ist-Zustand Quelle von einigem Frust. Es ist soweit, ich muss mich outen.
Ich gehöre zur Gruppe der frustrierten Spieler. Ja, ich weiß, diese Gruppe ist groß, riesig, vielleicht würden sich sogar 90 Prozent aller regelmäßigen Spieler zu dieser Gemeinschaft zählen, schließlich ist es irgendwie en vogue, zu meckern. Und trotzdem ist dies für mich ein besonderer Moment, denn ganz ehrlich: Meine Frustration ist zwar schon lange Zeit latent da, sie ist stetig gewachsen, ja, aber sie ist mir erst jetzt so richtig bewusst geworden. Das ist verstörend. Aber es ist besser so, jetzt weiß ich endlich, woran es liegt: Es ist die Sache mit dem Realismus.
Um gleich etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir nicht um den Realismus, um den es zum Beispiel in der beliebten (und völlig hirnrissigen) „ArmA vs. CoD“-Diskussion geht. Ich meine vielmehr die ganz grundsätzliche Art und Weise, mit der Spiele seit einigen Jahren aufgezogen werden.
Was mich dabei stört ist, dass wir mittlerweile fast in jedem Genre mit Fantasy-Inhalten konfrontiert werden. Ob in Shootern, Strategie- und Rollenspielen: Immer braucht es Zombies, Schattenwesen, Mutanten, Geister, Götter, mehrere Dimensionen, Unterwelten. Aber warum eigentlich?
Es heißt, das Leben schreibt die besten Geschichten. Und so ist es doch auch: Macht, Gier, Reichtum, Liebe, Hass, Freundschaft, Politik – wir müssen nur auf die unterschiedlichen Spielarten des menschlichen Daseins schauen, um frei Haus jede Menge spannende Themen geliefert zu bekommen. Warum also nicht einfach mal ein Rollenspiel erschaffen, indem es um politische und kriegerische Verwicklungen zwischen Menschen geht? Warum nicht einen Shooter entwickeln, der nur menschliche Schicksale erzählt? Warum müssen neuerdings selbst Strategiespiele immer häufiger mit großzügigen Fantasie-Anteilen versehen werden?
Erst jetzt, im Rückblick und im Wissen um die Ursache meines Frustes, weiß ich, warum ich persönlich so angetan war von einem „Spec Ops: The Line“: Es war nicht das Setting an sich, das mich so überzeugte, sondern der einfache Umstand, dass die Entwickler mit simplen Mitteln tief in die Abgründe der menschlichen Psyche geblickt haben. Und das gänzlich ohne Haudrauf-Metaphysis.
Solche Spiele sind viel zu selten. Vielleicht liegt es daran, dass die Entwickler uns Spielern nichts zutrauen. Manchmal ist es anstrengender, sich mit komplexen Inhalten aus der eigenen Realität zu beschäftigen, als eine fiktive Fantasy-Welt vor dem drölftausendsten Schattenlord zu retten. Aber das ist schade, weil ein „Spec Ops: The Line“ uns so viel mehr über uns selbst sagt als – um ein aktuelles Beispiel zu benennen, das den Anstoß zu diesem Beitrag gab – ein „Risen 3: Titan Lords“, das vor (ziemlich belanglosem) Fantasy-Bla nur so strotzt.
Natürlich will der Mensch dem Alltag entfliehen: Ob Bücher, Filme oder Spiele – kulturelle Erzeugnisse sind mitunter dazu bestimmt, genau dies zu bewirken. Und natürlich: Wie sonst sollen wir in unbekannte Dimensionen vordringen, wie sonst können wir ein Drachentöter sein und die Welt vor dem Bösen retten, wenn nicht ebendiese Erzeugnisse uns dazu ermächtigen?
Diese Kompetenz von Spielen ist völlig legitim. Wir brauchen die „Risen 3“s dieser Welt. Wir brauchen aber auch mehr Entwickler, die sich dem Naheliegenderen annehmen – unserer Realität. Ob in der Gegenwart, in der Vergangenheit oder in der Zukunft – sie hält genug Themen und Komplexität bereit, um gute Geschichten zu erzählen. Sie müssen nur aufgegriffen werden!
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