Indie-Spiele: „Independent AAA“ als neues Geschäftsmodell
AAA-Spiele auf der einen Seite, Indie-Titel auf der anderen. Und der Platz dazwischen? „Independent AAA“, so zumindest lautet der Vorschlag von Tameem Antoniades, Mitbegründer und Chief Creative Director bei Ninja Theory. Auf der GDC Europe ließ er 14 Jahre Firmengeschichte Revue passieren und blickte in die Zukunft.
Die Hintergrundgeschichte
Seit der Gründung im März 2000, damals noch unter dem Namen „Just Add Monsters“, zog sich stets eine Erfahrung durch beinahe alle Projekte des britischen Entwicklerstudios: Die Aussage „No Sales. No Sequel.“ und der daraus resultierende Verlust eigener IPs. Von den ursprünglichen drei Gründungsmitgliedern wuchs das Studio auf über 20 Mitarbeiter im Verlauf der Entwicklung von Kung Fu Chaos für Microsofts Xbox. Noch bevor das Spiel im Handel war, arbeitete Ninja Theory bereits an einem Nachfolger, um schon bald zu erfahren, dass es kein Sequel geben wird: Als das Spiel 2003 veröffentlicht wurde, erhielt es keine Marketingunterstützung, folglich auch keine Werbung und blieb ein Ladenhüter.
Die Logik dahinter ist laut Antoniades simpel: „Eine Organisation mit einem Marketingbudget wird die Spiele unterstützen, die eine höhere Rendite versprechen. Sofern die Prognose für Spiel A eine höhere Rendite pro Marketing-Dollar als für Spiel B vorhersagt, erhält Spiel A wahrscheinlich das komplette Funding.“ Da die Rechte für die Marke beim Publisher lagen und der Code zudem Xbox-exklusiv war, war die Marke effektiv tot. Antoniades dazu: „Dies war eine Sache, die wir immer und immer wieder lernten, bei darauffolgenden Spielen, dass egal wie gut die Arbeitsbeziehung [zwischen Entwicklerstudio und Publisher] ist, die einzige Sache, die am Ende des Tages zählt, ist Profit und Verlust.“
Dies sei laut Antoniades das Modell, nach dem AAA-Geschäft funktioniert. „Eine Hand voll Entwickler haben Glück und können mit herausragenden Hits aus dem Modell ausbrechen, indem sie ihr eigenes Spiel finanzieren, aber der Rest sitzt weiterhin im gleichen Boot.“ Ein Trend, der sich in diesem Geschäftsmodell abgezeichnet habe, sei die Angst vor „stylisierter“ Grafik zu Gunsten von Realismus gewesen. Nischen-Motive würden das Verkaufspotential nur begrenzen und das Muster „Go big or go home“ gehöre zu den alltäglichen Forderungen seitens der Publisher. „Wir leben in einer Welt, in der es für manche Spiele als Misserfolg gilt, wenn sie weniger als 5 Millionen Einheiten verkaufen.“
Antoniades vergleicht das moderne AAA-Geschäft mit einem Tesco-Supermarkt: „Groß, gleichartig, in Masse, teuer und nicht unbedingt von besserer Qualität als der facettenreiche heimische Markt. Dies ist eine kreative und zerstörerische Kraft, die ganze Genres kaltgestellt hat als die Nachfrage nach höheren Budgets und leichter voraussagbaren Verkaufszahlen Einzug nahm.“, so Antoniades. Zur Verdeutlichung zog Antoniades ein im Spieleforum neoGAF veröffentlichtes Bild zu den Verlusten der Jahre 2006 bis 2012 her.
Seiner Aussage nach ist diese Entwicklung nicht mit „survival of the fittest“ gleichzusetzen, da die Evolution nichts mit „fitter“ oder „besser“ geeignet sein zu tun habe, sondern ausschließlich mit der Fähigkeit, sich einem veränderten Umfeld anzupassen. Wie Ninja Theory diese Zeit überlebt hat? Antoniades dazu: „Wir haben uns auf Qualität konzentriert, das Budget eingehalten, im angepeilten Zeitraum ausgeliefert, aber das haben auch viele andere auf dieser Liste. Es läuft darauf hinaus: Wir hatten Glück.“
Im Mai 2004 widmete sich Ninja Theory der Entwicklung eines Prototypen von Heavenly Sword ohne zu wissen, wie die nächste Konsolengeneration in Puncto Hardware ausfallen werde. Zwar erfüllte man alle „Go big or go home“-Anforderungen, die von den Publishern gestellt wurden. Da Argonaut, der damalige Mutterkonzern kurz vor dem Konkurs stand, hielten sich Publisher aber dementsprechend mit Angeboten zurück. Nachdem die Entwickler ihre Häuser mit Hypotheken belasteten um ihre Firma zurückzukaufen, entschloss man sich auf die Suche nach einem neuen Publisher zu gehen. Antoniades bemerkte zu diesem Zeitpunkt ein Muster, das sich seiner Ansicht nach mit jeder Konsolengeneration aufs Neue wiederholte: Publisher würden sich eher auf die interne Entwicklung konzentrieren und konstatieren, dass unabhängige Entwickler keine Chance hätten. Antoniades zitierte die Antwort eines der größten, jedoch namentlich nicht näher beschriebenen Publishers: „Bei uns haben 50 Leute die letzten zwei Jahre an next-gen Technik gearbeitet. Wieso glaubt ihr, ihr könntet mithalten?“
Wenige Tage bevor Ninja Theory das Geld ausging, unterzeichnete das Entwicklerstudio einen exklusiven Vertrag bei Sony, der die IP-Rechte sowie die verwendete Technologie beinhaltete. Antoniades dazu: „Sony rettete unsere Haut, wofür wir bis heute dankbar sind, aber uns gehörte unser kreativer Output nicht mehr und effektiv haben wir damit unsere Unabhängigkeit verloren“ Als sich die Frage stellte, ob ein Nachfolger zu Heavenly Sword entwickelt wird, ging das Entwicklerstudio mit einer geschwächten Position in die Verhandlungen und musste letztendlich eine Fortsetzung ausschlagen, weil das Team mittlerweile auf 80 „loyale die-hard“-Entwickler angewachsen ist, die Kostenanalyse jedoch bei einem AAA-Projekt nur eine Teamgröße von 15-25 Mitarbeitern vorsah. Sich von der IP und der Technik zu trennen sei laut Antoniades ein „herzzerreißendes Ende einer tollen Reise“ gewesen, das Team als Ganzes zu erhalten sei jedoch wichtiger gewesen.
2010 erschien Enslaved: Odyssey to the West, das laut Antoniades beinahe doppelt so viele Spielinhalte wie Heavenly Sword vorweisen konnte, jedoch nur zwei Drittel des Budgets kostete. Doch auch in diesem Fall erwiesen sich die Verkaufszahlen als „enttäuschend“ und dementsprechend bestand keine Chance, die Marke an einem späteren Zeitpunkt zurück zum Leben zu erwecken. Heavenly Sword, Enslaved sowie der neueste Ableger der „Devil May Cry“-Reihe verkauften sich zwar insgesamt über 4,5 Millionen Mal, dennoch fand sich Ninja Theory am Ende der 7. Konsolengeneration mit der Xbox One und PlayStation 4 am Horizont wieder mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert.
Laut Antoniades hat sich die Situation für Entwickler massiv verschärft: Während eine Million verkaufte Exemplare zu PlayStation 1 Zeiten noch als Hit gewertet wurden, habe sich diese Summe auf zwei respektive drei Millionen in den darauf folgenden Konsolengenerationen erhöht. Das angepeilte Ziel von AAA Titeln der aktuellen Generation liege jenseits der fünf Millionen verkauften Exemplare, was sich widerum darauf auswirkt, welche Art von Spielkonzept überhaupt unter Vertrag genommen wird. Publisher hätten ihm ins Gesicht gesagt: „Singleplayer-Games sind tot“, jeder andere Grafikstil außer Realismus sei nicht kommerziell erfolgreich und Kampfspiele würden sich nicht verkaufen.
So versuchte sich das Entwicklerstudio daraufhin mit kleineren Entwicklerteams in unterschiedliche Richtungen vorzutasten, darunter auch Mobile Games. Antoniades beschreibt ein Erlebnis, bei dem das Entwicklerstudio ein Horror-Spiel vorstellte, um daraufhin mit Spreadsheet-Tabellen konfrontiert zu werden, nach denen der Publisher vorschlug, Nahkampfelemente einzubauen. Darauf folgte die Aussage, dass weder Kampf- noch Horrorspiele populär genug seien. Bei der Vorstellung eines storybasierten, kooperativen Spielkonzepts, das in der realen Welt mit realen Charakteren angesiedelt war, wurde den Entwicklern gesagt, dass sich „Superhelden und Space-Marines“ besser verkaufen – und gefragt, wieso sie das Spiel in Folge dessen also nicht einfach auf dem Mars ansiedeln wollen.
Der „Independent AAA“-Vorschlag
Antoniades bemängelt die Tatsache, dass sein Entwicklerstudio in den letzten Jahren bei nahezu jedem Projekt, das sie im AAA-Bereich angegangen hätten, aufgrund von Entscheidungen, die ausschließlich auf Marktprognosen beruhen, in Sackgassen gelandet sind. Publisher halten seines Erachtens nach die kreativen Zügel in der Hand und bestimmen die Richtung, in die sich Entwickler mit ihren Spielen bewegen. Viele Firmen seien mittlerweile aus Angst vor Risiken und Unsicherheit zum „design-by-spreadsheet“ übergegangen: Damit meint Antoniades eine Rückzugsposition, bei der Spiele, die sich in der Vergangenheit gut verkauft haben, als Schablone herangezogen werden. Ihre Elemente landen in einer Tabelle, die im Anschluss neu sortiert und in einer „leichten Variante“ grünes Licht erhält.
Die Folge aus dieser Entwicklung seien weniger Entwickler, die Konsolenspiele herstellen, weniger Spiele, weniger Diversität und weniger Auswahl. Bedingt durch das aktuelle AAA-Publishing-Modell liege die ganze kreative und finanzielle Macht bei den Publishern. Da sich Entwickler bei Publishern eine Finanzierung für ihr Projekt als Darlehen sichern, gehen die IP-Rechte an diesen über. Das Darlehen sowie die Kosten für den Vertrieb müssten von den Studios erst komplett beglichen werden „bevor auch nur der erste Penny beim Entwickler ankommt“, so Antoniades. In 95% aller veröffentlichten Spiele habe dies zur Folge, dass die Entwickler keine Tantieme sehen, folglich nie ihre eigene IP selbst finanzieren können und sich das Muster wiederholt. In diesem Bild bleibt zudem unberücksichtigt, dass im Retail-Geschäft laut Antoniades mehr als die Hälfte des Geldes, das ein Spieler ausgibt, an den Mittelmännern in Form der Händler, Produzenten, Rückläufern und Steuern hängen bleibt.
Während auf dem PC-Markt die Indie-Bewegung schon in vollen Gängen ist, zielt Antoniades Vorschlag auf die festgefahrenen Muster in der Konsolenindustrie ab: Dadurch, dass Spieler direkt mit den Entwicklern in Kontakt treten und die Mittelmänner wegfallen, erhofft sich Antoniades Spiele, die wie „AAA-Titel aussehen und sich so anfühlen, kleiner sind, fokussiertes Gameplay haben und zum Preis eines DVD-Films verkauft werden“. Die Finanzierung stemmen die Entwickler zu großen Teilen selbst, wobei über weitere Kanäle wie Merchandise zusätzliche Einnahmequellen erschlossen werden. Um das Konzept zu demonstrieren, habe sich Ninja Theory gegen Kickstarter entschieden. Man erhoffe sich, dass das „Independent AAA“-Modell ein Türöffner für weitere Finanzierungsmodelle ist, wie beispielsweise Filmförderungen und Zuschüsse im Bereich der Independent Filme.
Publisher finden zwar auch im „Independent AAA“-Modell noch Platz, ihre Rolle wird jedoch auf die eines Geldgebers beschränkt: Die kreative Macht sowie damit verbundene Rechte am Werk der Entwickler verbleiben bei der entsprechenden Spieleschmiede. Antoniades hat die Hoffnung, dass dieser Vorschlag zur Auffächerung des bisherigen Publisher-Modells führt, wodurch Publisher in Zukunft „viele kleinere Wetten auf risikoreichere Spiele setzen“. Ein Vorteil, der sich im Gegenzug für die Publisher ergebe, liege darin, dass Entwickler mit ihren bereits etablierten Marken zu großen Publishern gehen können, um ihnen Projekte mit bereits reduziertem Risiko anzubieten ohne dabei ihre Freiheit zu verlieren.
Hellblade ist das erste Projekt, das Ninja Theory im Rahmen des „Independent AAA“-Modells anstrebt. Der Titel wurde während Sonys Gamescom Pressekonferenz enthüllt und verspricht Spielern einen „tiefgründigeren Charakter in einer verdrehten Welt mit brutalen, kompromisslosen Kämpfen“. Im Blog der Entwickler findet sich zudem der GDC-Vortrag in englischer Fassung mit weiteren Konzeptvideos zu unveröffentlichten Projekten des Studios.