Wasteland 2 im Test: Forderndes Rollenspiel der alten Schule
2/4Auf einen Blick
Was 1988 im Kalten Krieg eine Zukunftsvision war, ist heute eine alternative Zeitlinie: Im Jahr 1998 versinkt die Welt von Wasteland in einem Nuklearkrieg. Über 100 Jahre nach der Katastrophe setzt der zweite Serienteil ein. Noch immer sorgen Nachfahren eines US-Pionierbatallions als Desert Ranger in der Wüste für eine fragile Ordnung. Als Rekruten für diese Gruppierung schickt Wasteland Spieler nach einem kurzen Intro ohne große Zeremonie in die Wüste.
Als Ranger-Anwärter gilt es, einem verschollenen Kollegen nachzuspüren um sich den Stern an der Brust zu verdienen. So richtig flüssig will das zunächst nicht vonstatten gehen. Die erste halbe Stunde zieht sich in die Länge, auch weil die Präsentation hier noch eher pflichtbewusst funktional ausfällt und das Interface erklärt. Das allerdings ist hier ein positives Zeichen: Klassisch „old school“. Mit den Einstiegsminuten im Rücken wird der eigentliche Startschuss gesetzt.
Survival-Atmosphäre
Ab hier beginnen Atmosphäre und Setting zu überzeugen. Die vier zu Beginn grünen Rekruten des Echo Squad werden weder mit hochwertiger Ausrüstung ausgestattet noch besitzen sie besondere Fähigkeiten. Anfangs wartet hinter jeder Ecke eine neue tödliche Bedrohung, die mit knappen Ressourcen bewältigt werden will. Das Absuchen der weitläufigen Gebiete wird schnell zur zweiten Natur, überall finden sich Kisten mit potentiell nützlichen Gegenständen oder gar richtige Vorratslager.
Auch weitere Begleiter stoßen zum Trupp, der auf diese Weise auf bis zu sieben Ranger aufgestockt werden kann. Dazu gesellen sich KI-gesteuerte Gefährten, die dem Spieler für Quests oder aus unbekannten Gründen folgen. Die Begleiter aber sind freiwillig an Bord und keine echten Ranger. Wissenschaftlerin Rose verlässt die Gruppe etwa, wenn Zivilisten ins Schussfeld geraten, der Obdachlose Scotchmo klaut Alkohol aus dem Inventar der Gruppe und beide können im Kampf Befehle verweigern, sie laufen dann undiszipliniert Amok.
Im weiteren Verlauf löst sich dank zahlreicher Beute zumindest das Problem schlechter Ausrüstung, Munition bleibt allerdings ein knappes Gut. Nach der Hälfte des Spiels zieht der Anspruch noch einmal kurzzeitig an. Statt in die Wüste schicken die Ranger Echo Squad durch Los Angeles, womit gleichzeitig die Uhr auf Null gestellt wird. Dem Schock lassen sich immerhin positive Seiten abgewinnen, denn das nun erneut fremde Terrain wirkt wieder so gefährlich wie am Anfang, die Freude über jeden zufälligen Ausrüstungsfund kehrt zurück und die Kämpfe treiben das Adrenalin in die Adern.
Ein bisschen Taktik
Gefechte laufen in Wasteland rundenbasiert ab. Statt Zügen wird jedem beteiligten Kämpfer ein „Aufmerksamkeitswert“ zugewiesen, der die Reihenfolge aller Kombattanten bestimmt. Welcher Charakter einen Zug macht, hängt ausschließlich von diesem Wert ab.
Schon bei der Charaktererstellung gilt es zwischen längeren oder häufigeren Zügen abzuwägen, im Endeffekt ziehen Ranger und Raider im besten Fall querbeet durcheinander. Damit erzwingen die Gefechte durch die geringere Planbarkeit Ad-Hoc-Entscheidungen. Die optimale Strategie muss an die sich entwickelnde Situation und den gerade verfügbaren Ranger angepasst werden.
Allzu viele taktische Möglichkeiten räumt das Spiel nicht ein. Zerstörbare Deckung, Schussmodi und Hinknien müssen zusammen mit der Berücksichtigung von Terrainunterschieden ausreichen Inventarzugriffe und der Tausch von Gegenständen kosten im Kampf allerdings keinerlei Aktionspunkte, lediglich aus den Händen gelegte Waffen müssen neu geladen werden, was weitere Flexibilität eröffnet. Da Gegner in Art und Ausrüstung schwanken, bietet Wasteland 2 damit genug Abwechslung für die ersten Stunden. Adaptives Vorgehen wird in den seltensten Fällen nötig, eine große Rolle kommt der Umgebung nicht zu. Dabei gibt sich die Mechanik nicht immer durchschaubar: Ein Maschinengewehr mit sechs Prozent Chance auf Ladehemmung lag tatsächlich bei 25 Prozent plus X.
Gerade das Gefecht gegen humanoide Gegner wird daher streckenweise zu einer überwiegend lästigen Pflichtaufgabe. Besonders die zufälligen Begegnungen auf der Reisekarte zehren an den Nerven, bis der Spieler Punkte in die „Outdoor“-Fähigkeit steckt. Banditen greifen selbst dann an, wenn man sie bereits umhusten kann. Das bindet lediglich Zeit und langweilt, da sich die kleinen, taktisch anspruchslosen Gebiete für diese Art Gefecht ohnehin andauernd wiederholen. Geordnetes Vorgehen wird durch den Verzicht auf Formationen erschwert: Truppen können nur als ungeordneter Haufen simultan bewegt werden. Blockierte Nahkämpfer, voranschreitende Scharfschützen und dicht gedrängte Soldaten vor anfliegenden Handgranaten ärgern so ein ums andere Mal.
Formationen und vor allem unterschiedlich spezialisierte Ranger wären auch beim Angriff von Vorteil: Sturm- und Scharfschützengewehre haben optimale Feuerdistanzen, ihre Genauigkeit leidet besonders im Nahkampf, was gleichzeitig den klassischen „Tank“ im eigenen Team aufwertet. Zum anderen hilft die Aufteilung, Munitionsfunde optimal zu nutzen um nicht mit Schrotpatronen und vier leeren M16-Gewehren vor der nächsten Nuklearkröte verenden zu müssen.