Wasteland 2 im Test: Forderndes Rollenspiel der alten Schule
3/4Ein großartiger Sandkasten
Kämpfe machen jedoch nur einen Teil von Wasteland aus. Die in Teilen beliebige Story um Killerroboter rückt über weite Teile des Spielverlaufs in den Hintergrund. Größerer Bedeutung wird all dem beigemessen, was auf dem Weg dorthin geschieht.
Wasteland lebt vom Erkunden und dem Ausprobieren der detailliert gestalteten, technisch etwas altbackenen Landschaften. Untersuchen, beobachten, viel lesen: Zeitweilig kommt die Spielgeschwindigkeit im positiven Sinne fast zum erliegen. Selbst Kleinigkeiten wurden ausgearbeitet, durchdacht und belohnen den neugierigen Blick.
Dabei wird nicht nur die visuelle Präsentation um Beschreibungen ergänzt, sondern auch die ein oder andere Zusatzinformation verraten, die sich nutzbringend verwenden lässt. Automatisch werden gewonnene Details aber ebenso wenig notiert wie interessante oder interaktive Objekte automatisiert hervorgehoben werden. Ein NPC verrät seine Safekombination? Besser aufschreiben, sonst ist sie für immer verloren. Selbst weite Teile des Tutorials bleiben als Hinweiskarten schlicht optional. Die Welt reagiert fast immer nachvollziehbar, Drohungen sind also ernst zu nehmen. Wer einen Cowboy trotz Warnung mit Fragen löchert, fängt sich daher eine Kugel ein; in vielerlei Hinsicht zwingt Wasteland dazu, aufmerksam zu bleiben.
Wasteland ist gut darin, die Ranger-Rolle, die der Spieler automatisch übernimmt, das habituelle Helfenwollen zu hinterfragen. Schon nach 30 Minuten fordert Wasteland weitreichende, zeitkritische Entscheidungen vom Spieler ein, deren Auswirkungen nicht abzusehen sind und lässt einzigartige Querköpfe auftreten. Das Reagieren auf unerwartete Probleme, das Stolpern durch eine Krise packt und zieht in die Welt.
Oft stellt sich das gut gemeinte, nach Wahl für die Welt oder die Ranger, als schlecht gemacht heraus, Half-Life hat das als „unforseen consequences“ beschrieben. Immer wird selbst in Details implizit die Frage gestellt, welche Werte Ranger vertreten, ob man sie beugen darf und was tatsächlich „das Beste“ sein soll. Mitunter hat selbst der größte Wahnsinn Methode mit bestechender Logik.
Das hervorragende Script bringt das anarchische der Endzeit prägnant auf den Punkt, ihre Verzweiflung und ungebundene Zügellosigkeit gleichermaßen – sie schwankt zwischen Ernst und Ironie. Absurdität und Brutalität stehen dabei oftmals Rücken an Rücken.
Die religiösen Mad Monks jagt sich im Kampf mit schmutzigen Nukes in die Luft und betet eine Interkontinentalrakete an. Einfache Lösungen jedenfalls stellen sich stets als Luftschloss heraus. Dass Brian Fargo schon an Wasteland 1 und Fallout gearbeitet hat, verraten auch die zahlreichen Bezüge auf beide Spiele – und die 1990er Jahre insbesondere in ihrerer technischen Herrlichkeit.
„My 10Mhz 8086 processor allows me to process information faster then you can conceive“
Wasteland bleibt in den 1990er Jahren verhaftet
„Benutze Gehirn mit Spiel“
Im Land der grenzenlosen Freiheit übernimmt die Spielmechanik erzieherischer Funktion. So lässt es sich ohne Kampftalent oder medizinische Fähigkeiten zwar losziehen, aber nicht lange überleben. Ohne weitere Kennzeichnung gibt es als tatsächlich wichtige und ergänzende Fähigkeiten wie Redefertigkeiten. Auch auszuprobieren, ob der Raketenwerfer mit Atomsprengkopf noch funktioniert, ist möglich.
Die (einmalige) Erfahrung legt Spielern nahe, dass sich gewisse Optionen von selbst verbieten sollten – zumindest über die alte Adventure-Regel „Benutze Gehirn mit Spiel“. Der so entstehende, große Sandkasten wirkt in sich stimmig. Zumeist lassen sich Probleme und Quests auf unterschiedliche Arten lösen, Schlösser knacken oder sprengen, zerstörte reparieren – die letzten beiden Möglichkeiten müssen sich Spieler selbst erschließen. Selbst vermeintlich einfache Aufgaben wie das Überbringen eines Briefes haben es dabei in sich.
Das Wie und das Was stehen dem Spieler frei. Das Dialogsystem mit offenem Eingabefenster macht daraus jedoch wenig. Zwar lassen sich eigene Stichworte eintippen, die Reaktion abseits der wenigen vordefinierten und manchmal nicht nachvollziehbaren Stichworte erfolgt abweisend. In der Regel werden mitdenkende Ranger belohnt; kleine optionale Rätseleinlagen runden das Spiel ab und sind vor allem dann zu bewältigen, wenn die Lösung für Probleme nicht aus den Gewehrläufen stammen soll. Gefragt und belohnt wird Kreativität und Experiementierfreudigkeit.
So wenig alle Kisten und Gebiete mit jeder Rangergruppe oder jedem Skilllevel zugänglich sind, so wenig gibt Wasteland jedes seiner Geheimnisse Preis. Die Welt ist nicht rational erklärbar: Wer der Night Terror mit immerhin 8.000 Lebenspunkten ist, der der Gruppe folgt und um „Candy“ bettelt (Fleisch), bleibt aktuell das Geheimnis der nuklearen Wüste.
Gelegentlich führt bei linearen Aufgaben der Verzicht auf Hilfestellungen zum „Suchen und Fluchen“-Schema. Auch das ist eine Eigenschaft klassischer Spiele, jedoch ganz ohne Hinweise eine Unart, wenn mehrere Lösungen theoretisch denkbar, aber nicht vorgesehen sind. Die Orientierung auf Karten erschwert, dass die gegenwärtige Kameraperspektive nicht eingezeichnet wird, sich nicht zu beliebigen Punkten springen lässt. Die Inventarverwaltung bietet hingegen nicht genug Suchoptionen etwa für Questgegenstände. Ebenso lästig sind für spezifische Quests folgende Begleiter, deren Lebenspunkte gepaart mit der Tendenz zum Frontalangriff nur dazu ausreichen, noch schnell den Abschiedsbrief zu unterzeichen.
Zudem mangelt es eindeutig an einer Option, direkt auf die Weltkarte beziehungsweise zu Unterkarten zu springen. Drei Areale zu durchqueren um einen Gegenstand abzugeben und den Weg anschließend zurückzulaufen unterhält nicht. Und eine Option, zumindest manuell Positionen auf den Karten zu markieren, wäre überaus dankenswert. Nichts ist lästiger, als „Vergil“ auf einer riesigen Karte zu suchen, weil der Gesprächspartner zwar einen Auftrag, aber keinen Ort angegeben hat. Auch daran erinnern sich Rollenspiel-Veteranen mitunter dunkel. Wasteland hat sogar alte Marotten geerbt: Mit der Speichern-Laden-Kombination lässt sich jedes Schloß selbst unter widrigsten Bedingungen öffnen.