Mittelerde: Mordors Schatten im Test: Mächtesystem der Orks zahlt sich aus
3/4Kein Inventar, vielfältige Charakterverwaltung
Der Grund für die (abgewendete) Blutarmut ist, dass „Mordors Schatten“ abseits vom cleveren Machtsystem beim Gameplay viele Anleihen bei der Genrekonkurrenz macht. Wie in „Assassin's Creed“ klettert Talion an (deutlich flacheren) Fassaden herum, deckt durch die Freischaltung von Türmen die Details des jeweiligen Abschnitts auf und schaltet so gleichzeitig einen weiteren Ort für eine Wiederbelebung frei.
Und wie in Far Cry kann sich der Sauron-Widersacher auch als Jäger und Sammler versuchen. Dabei locken neben Erfahrungspunkten auch Details wie Waffenrunen, Informationen zu den Ork-Anführern sowie heilende Pflanzen und Artefakte.
Bei der Verwaltung der Gegenstände setzt Monolith allerdings auf maximale Simplizität. Anders als bei vielen Rollenspielen steht kein echtes Inventar zur Verfügung. Die große Jagd nach besonderen Gegenständen, das Crafting und der Handel spielen also praktisch keine Rolle. Das müssen sich potentielle Spieler bewusst machen. Uns hat es nicht gestört.
Die Charakter-Entwicklung sieht dagegen auf den ersten Blick komplexer aus. So lassen sich die relativ zügig eingespielten Erfahrungspunkte für die Verbesserung von allerlei Waffen- und Geistfähigkeiten sowie Gemeinheiten gegenüber den Orks einlösen. Darüber hinaus kann Talion für Bares Vorteile wie einen größeren Köcher oder eine längere Fokussierung freischalten.
Wer eifrig Ork-Anführer um die Ecke bringt, verfügt darüber hinaus immer wieder über neue Runen, die sich auf die Waffen – neben einem Schwert stehen Talion auch ein Dolch sowie ein Bogen zur Verfügung – anbringen lassen und die ebenfalls allerlei Vorteile mit sich bringen. Diese sind auch notwendig, denn der Schwierigkeitsgrad im Kampf zieht nach ein paar Stunden merklich an.
Kampfsystem à la Batman
Schleicht sich Talion nicht gerade an oder verlegt sich auf den Fernkampf, gleicht das Kampfsystem stark dem von den Batman-Arkham-Spielen. Auf das Parieren von Angriffen folgt also auch hier die Offensive, die im Idealfall mit einer schönen Kombo begangen und immer wieder mit rechtzeitigen Blocks garniert wird.
Was gerade im Falle von „Batman“ potentiell statisch wirkt, wird in „Mordors Schatten“ durch zahlreiche Bewegungen dynamisch gehalten: Talion grätscht, drischt, springt, pariert, wird weggewirbelt und von Schilden getroffen. In passenden Momenten kommen außerdem die Spezialkräfte des Rachegeistes zum Einsatz, mit denen sich Gegner beispielsweise blenden oder per Blitz kurzzeitig wegpusten lassen.
Positiv ist auch, dass die Gegner angenehm variieren. Neben den großen Bossen trifft man auf speerschleudernde Jäger, wuchtige Berserker, Schildträger und allerlei Getier. Das macht ein flexibles Vorgehen notwendig und bringt durchaus auch Taktik ins Spiel: Wer sich beispielsweise zu spät um die gegnerischen Fernkämpfer kümmert, wird selbst in kleineren Schlachten kein Land sehen. Dadurch kriegen die Kämpfe zumindest nach einigen Stunden durchaus Anspruch, da der eigentlich übermächtige Held in höheren Bosskämpfen auch durch die Kombination der gegnerischen Angriffe immer wieder mächtig unter Druck gerät.
Allzu clever muss die KI dabei nicht sein, denn natürlich lautet der Ansatz eines solchen Kampfsystems: Auf die Masse, nicht auf die Klasse kommt es an. In Extremfällen sieht sich Talion deshalb durchaus mal mit mehreren Dutzend Gegnern konfrontiert. Geht der Spieler aber umsichtig vor, wird Talions Schleichkompetenz übermächtig: Wer sich halbwegs geschickt anstellt, kann durch die großzügig kurze Sichtweite der Gegner etwas zu einfach meuchelnd in eine gut bewachte Ork-Festung eindringen. In dieser Hinsicht wäre eine kompetentere KI dann doch wünschenswert.
Überzeugende Technik
Technisch präsentiert sich „Mordors Schatten“ ausgefeilt, aber nicht bahnbrechend. Gravierende Fehler sucht man vergebens, und sowohl die Steuerung per Maus-Tastatur-Kombination als auch per Gamepad lässt nichts zu wünschen übrig.
Grafisch bewegt sich der Titel auf Höhe der Zeit, ohne ein Augenschmaus zu sein. Wer genauer hinsieht, stolpert immer wieder über unscharfe Texturen, kleinere Clipping-Fehler, eine geringe Sichtweite und aufpoppende Strukturen.
Diese Mankos können aber wie bereits angedeutet nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gestaltung der Gebiete und die Inszenierung überzeugen: „Mordors Schatten“ spiegelt eine glaubwürdige Version der Tolkien-Teilwelt wider und zieht den Spieler im Hauptstrang mit vielen Videosequenzen immer wieder ins Geschehen hinein.
Ein aktuelles System sollte in jedem Fall vorhanden sein, um hohe Details genießen zu können. Auf unserem Testsystem lief „Mordors Schatten“ in einer Auflösung von 1.920 × 1.080 relativ konstant bei 45 bis 60 Bildern pro Sekunde. Wer nicht alles herauskitzeln möchte, muss sich vor dem vorab kolportierten VRAM-Hunger also nicht fürchten – hardwarehungrig ist der Titel aber durchaus.
Gut gefällt auch die Vertonung, die – sehr passend – viel mit Streichern arbeitet. Die deutsche Synchronisation punktet mit ordentlichen Hauptsprechern. Unter den Orks hätte eine höhere Sprechervarianz aber durchaus gutgetan.