Internet-Überwachung: BND nutzt lockere Interpretation des G10-Gesetzes
Der Bundesnachrichtendienst (BND) nutzt eine gedehnte Interpretation des G10-Gesetzes, das die Überwachung von Telekommunikationsleitungen reglementiert. Dies ist das Resümee von der heutigen Sitzung des NSA-Ausschusses, bei dem Stefan Burbaum, G-10-Jurist beim BND zwischen 2002 und 2005, befragt wurde.
Das G10-Gesetz ist für den BND besonders relevant, weil es regelt, inwieweit das in Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Fernmeldegeheimnis ausgehebelt werden kann. Eine der Auflagen ist, dass der BND keine Kommunikationsdaten von Bundesbürgern – im Geheimdienst-Jargon: Grundrechtsträger – auswerten oder an Partnerdienste wie die NSA übermitteln darf. Prinzipiell dürfen also nur ausländische Kommunikationsströme überwacht werden.
Die entsprechenden Leitungen zapft der BND etwa beim DE-CIX in Frankfurt an, indem die jeweiligen Telekommunikationsanbieter eine vollständige Kopie von ausgewählten Datenströmen übermitteln. Eine Wahl haben die Unternehmen nicht, die Kooperation mit dem Geheimdienst ist rechtlich verpflichtend. Details zu der „Doppelung“ der Datenströme konnte Burbaum allerdings nicht nennen – da er kein Techniker, sondern Jurist sei.
Wenn die Datensätze dann auf den Servern des BND gelandet sind, werden diese mittels Filtersystemen und bestimmten Suchbegriffen um G10-Daten „bereinigt“. Kriterien für die Filterung sind etwa Telefonnummer, Vorwahlen, IP-Adressen oder E-Mails mit der Top-Level-Domain .de. So soll sichergestellt werden, dass die Kommunikationsdaten nicht innerhalb von Deutschland, von Bundesbürgern oder inländischen juristischen Personen übermittelt wurden. Sofern dies nicht der Fall ist, sind die Datenströme nach Lesart des BND nicht durch das G10-Gesetz geschützt und werden als „Routineverkehr“ eingestuft. Dieser wird dann auf verwertbare nachrichtendienstliche Erkenntnisse überprüft – und eventuell an ausländische Partnerdienste übermittelt.
Abgeordnete kritisieren Darstellung von Burbaum
Kritik an der Darstellung von Burbaum äußerten Abgeordnete aus den Reihen der Opposition. Hans-Christian Ströbele von den Grünen bezweifelte etwa, ob die Filtersysteme ausreichen, um sämtliche G10-Daten zu entfernen. Zudem ist die „Grundrechtsträger“-Definition des BND umstritten. Verfassungsrechtler bezeichneten diese in einer früheren Sitzung des NSA-Ausschusses als grundgesetzwidrig.
André Hahn von der Linken erklärte, beim Anzapfen von Glasfaserkabeln gelange der ausgewählte Datenverkehr als Kopie zunächst vollständig – also inklusive der G-10-Daten – vom Netzbetreiber zum BND und damit unter dessen „Hoheit“. Nach Ansicht von Burbaum sei das aber nicht korrekt, da die Datenströme sich nach der Übergabe noch „im Fluss“ befinden würden. Allerdings korrigierte er sich noch insofern, dass der BND die G10-Daten nicht „löschen“, sondern „vernichten“ würde – weil der vollständige Datensatz aufgrund von Kapazitätsengpässen ohnehin nicht beim BND gespeichert werden könne.
Die 20-Prozent-Frage
Eine weitere Auflage im G10-Gesetz ist, dass lediglich 20 Prozent der auf „Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität“ überwacht werden darf. So erklärte Burbaum auch, dass man aufgrund dieser Regelung nicht von einer „massenhaften“ Datenerfassung sprechen könne. Allerdings ist nach wie vor nicht klar, ob der BND das 20-Prozent-Limit anhand der maximalen Übertragungskapazität oder der genutzten Bandbreite berechnet. Diese Frage ist entscheidend, da Knotenpunkte wie der DE-CIX in Frankfurt in der Regel eine Auslastung von unter 20 Prozent haben. Wenn nun die maximale Übertragungskapazität als Bemessungsgrundlage dient, könnte der BND auf den kompletten Datenverkehr einer Leitung zugreifen.
Doch selbst auf mehrmaliges Nachfragen der Abgeordneten erklärte Burbaum nicht eindeutig, ob der BND das 20-Prozent-Limit anhand der maximalen oder der genutzten Bandbreite berechnet. Die Opposition geht daher davon aus, dass der BND die Vorschrift zu seinen Gunsten interpretiert.