Sunset Overdrive im Test: Bunt, überdreht, spaßig!

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Max Doll
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Action-Feuerwerk

Immerhin hält sich Sunset Overdrive nicht mit Kleinkram auf und drückt alsbald kreativ-explosive Waffen in die Hand. Speerkanonen, Feuerwerkskörper-Werfer oder „TNTeddy“, eine Art Plüschbären schießender Raketenwerfer, tragen die unverwechselbare Handschrift des Studios und können ebenfalls mit einem Perk modifiziert werden, der verschiedene Schadensarten und -effekte auslöst. Neue „Overdrive“-Perks lassen sich zukaufen, erfordern aber das Einsammeln zahlreicher, in der Gegend verteilter Zutaten. 25 und mehr Gegenstände aufzuklauben, begeistert jedoch nur mäßig, gerade weil Insomniac an anderen Stellen bewusst viele Komfortoptionen anbietet und auf streckende Mechaniken verzichtet.

Der „Flaming Compensator“ erinnert rein zufällig an ein Körperteil
Der „Flaming Compensator“ erinnert rein zufällig an ein Körperteil

Über das zunächst leicht eintönige Geschehen müssen Setting und Humor tragen. Die augenzwinkernde, nie ernste Welt leistet sich diesbezüglich zwar ab und an einen kleinen Ausrutscher, schafft es aber, stets bei Laune zu halten. Von kleinen Details wie den Werbetafeln oder der Flaming-Compensator-Schrotflinte, Interaktionen zwischen Protagonist und Kamera bis hin zu verrückten Überlebenden und jeder Menge spritziger Dialoge schafft es Insomniac, immer wieder Lacher zu provozieren. Man wartet daher stets gespannt auf den nächsten Einfall der Entwickler, die insbesondere Nerd- und Spielekultur liebevoll in vielen Facetten durch den Kakao ziehen. Wer damit nichts anfangen kann, wird mangels Kontext im Gegenzug deutlich weniger Spaß an den Späßen haben, aber auch nicht bemerken, dass manches Thema wohl dem Lastenheft denn dem sonst spürbaren Enthusiasmus der Entwickler entsprungen ist.

Visuell geht Sunset Overdrive durch seine quietschbunte Umgebung einerseits, aus Comics bekannte Lautmalerei andererseits stilistisch durchaus eigene Wege in 900p und subjektiv stets konstanten 30 fps, die vereinzelt mit aufpoppenden Texturen zu kämpfen haben. Dabei lebt das Spiel eindeutig für den Moment; die Geschichte, der Fluchtversuch aus der abgeriegelten Todeszone, spielt nur in den ersten Minuten eine wirkliche Rolle.

Nach einem Tod erfolgt der Wiedereinstieg stilecht
Nach einem Tod erfolgt der Wiedereinstieg stilecht

Die Verbeugung des Humors in Richtung der Vollblutspieler bleibt das einzige Entgegenkommen in Richtung dieser Gruppe. Generell bleibt der Schwierigkeitsgrad, die knackigen Herausforderungen einmal ausgenommen, in niedrigen Bereichen. Zwar sind die Gegner mobil und folgen aggressiv auf Dächer. Richtig unter Druck gerät man jedoch nur, wenn der Bewegungsfluss ins Stocken gerät. Selbst der Tod fördert eine der vielen sehenswerten Respawn-Einblendungen zutage.

Nur selten muss ein Kontrollpunkt geladen werden, während vor Stürzen bei Klettersequenzen mitunter ein Dimensionstor im Portal-Stil vor dem völligen Neubeginn der Mission bewahrt, was der Protagonist wie so vieles prompt (selbst-)ironisch kommentiert: Er teilt etwa mit, dass er seinen Namen nicht kenne, wenngleich der im Mehrspielermodus über seinem Kopf schwebe oder ihm noch niemand erklärt habe, wie er seine Waffen wechseln könne – was prompt eine Stimme aus dem Off übernimmt.

Tower Defense bei Nacht ist ein ganz eigenes Spektakel
Tower Defense bei Nacht ist ein ganz eigenes Spektakel

Schwungverlust

Es ist also ohne Frage zwar weniger schwer, aber dafür wunderbar unterhaltsam, Mutanten, Banditen und Roboter explosiv in ihre Bestandteile zu zerlegen – gerade dann, wenn das Gameplay richtig in Schwung kommt und sich langsam erschließt, wie durchdacht die gesamte Stadt aufgebaut wurde, wie gut die sanft magnetische Zielhilfe beim Springen funktioniert, wie fein die einzelnen Räder der Mechanik ineinandergreifen. Auch dies erinnert, ebenso wie die gelegentlich etwas ähnlichen Waffen und die Art der Transformation einer ganzen Stadt in einen Jump-'n'-Run-Parcours, nicht von ungefähr an eine größere, aber ungleich erwachsenere Version von Ratchet & Clank.

Auch Bowlingkugeln werden zur Waffe
Auch Bowlingkugeln werden zur Waffe

Das eine oder andere identische Gen verhindert nicht, dass die Aufträge nicht immer zünden. Der Schlagabtausch mit einem in Trashtalk bewanderten Roboterballon mit Laseraugen in luftigen Höhen auf einem Achterbahn-Funkturm brennt sich definitiv ebenso ein wie die launigen Tower-Defense-Aufträge, bei denen es die Produktion neuer Overdrives mit Hilfe von verschiedenen Fallen und dem Einsatz der eigenen Waffen zu unterbinden gilt. Zwischen Höhepunkten und kreativen Ideen wird jedoch gerade bei optionalen Nebenaufgaben gerne Standardkost als billiges Füllmaterial eingefügt: Hole dies, suche jenes – das ewig gleiche Wegpunktschema läuft sich schnell zu Tode, vor allem, weil sich das Spiel zu Beginn über derartige Fehltritte des Designs lustig macht.

Die offene Welt erlaubt flüssige Fortbewegung mit der neuen Mechanik
Die offene Welt erlaubt flüssige Fortbewegung mit der neuen Mechanik

Dass auch die Variation der im Kern ähnlichen Fraktionen schnell erschöpft ist, führt dazu, dass der anfängliche Drive gegen Ende der Geschichte ein wenig zu erlahmen beginnt, weil um die neue Mechanik zu viele immer ähnliche Bauteile offeriert werden. Der wirklich gute Jump-'n'-Run-Aspekt wird beim Missionsaufbau dagegen vernachlässigt, obwohl man gerade von den wenigen, in diesem Punkt mutigeren Umgebungen mehr sehen möchte. Ab einem gewissen Punkt verlassen sich die Entwickler aber zu sehr auf das Skaten und verlieren dabei etwas die anderen Eckpfeiler ihres Konzeptes aus den Augen. Die neuartigen Bewegungsmöglichkeiten in besonderen Parcours-Levels einzusetzen, wird nicht hinreichend berücksichtigt. Das ist schade, denn in wilder Hatz auf Hochhäusern und Türmen bei aberwitziger Geschwindigkeit zu klettern, hat etwas ungemein Anziehendes.

Wer vom Gebotenen noch nicht genug bekommen hat, kann mit sieben anderen Überlebenden im Chaos-Squad-Modus durch Sunset City streifen. Hier gilt es, kurze Aufgaben nach Wahl zu absolvieren, um das Tower-Defense-Finale zu erreichen. Mangels kooperativer Interaktionsmöglichkeiten wird daraus ein recht kurzweiliges Frag-Fest, das gleichwohl keine langfristige Motivation zu entfalten vermag. Mit dem Ende der Story verfliegt auch der Reiz dieses Modus' schnell; ohne den Humor fehlt ein Stück des Klebers, der die Unterhaltung zusammenhält.

Geschicklichkeitssequenzen kommen eher vor
Geschicklichkeitssequenzen kommen eher vor