Psychologie-Studie: Rollenspiele senken das Urteilsvermögen
Welchen Einfluss haben Videospiele auf den Menschen? Eine neue Studie zu diesem kontroversen Thema kommt zu dem Schluss: Wer Rollenspielen frönt, ist anschließend eher geneigt, dem Urteil von Computern zu vertrauen – selbst wenn dieses objektiv falsch ist.
Unter dem Titel „Das Spielen von immersiven Videospielen erhöht die Zustimmung zu falschen Computer-Einschätzungen“ untersuchten Psychologen von der Universität Witten/Herdecke, inwieweit das Urteilsvermögen von Menschen durch Rollenspiele beeinflusst wird. Dazu spielte eine Versuchsgruppe sieben Minuten lang ein – leider nicht näher genanntes – Spiel, während eine Vergleichsgruppe ihnen dabei zu sah. Anschließend mussten alle Versuchspersonen entscheiden, wie geeignet bestimmte Kandidaten für eine bestimmte Berufstätigkeit sind.
Dazu wurden zwei Kandidaten kurz beschrieben, wobei einer in puncto Motivation und Fähigkeit für die Position objektiv besser geeignet war als der andere. Bevor die Versuchsteilnehmer ihre Einschätzung abgaben, beurteilten zunächst zwei virtuelle Assistenten die Kandidaten. In manchen Fällen waren diese computergenerierten Urteile zutreffend, in anderen Fällen waren sie dagegen falsch. Bei der anschließenden Bewertung durch die Probanden zeigte sich: Wer vorher das Rollenspiele gespielt hatte, war eher geneigt, einem falschen Urteil des Computers zu folgen.
„Von besonderem Interesse waren für die Studie die Fälle, in denen die virtuellen Assistenten falsche Urteile abgaben“, erläutert Studienleiter Ulrich Weger den Ansatz für die Versuchsreihe, deren Ergebnis jetzt in der Fachzeitschrift Psychonomic Bulletin & Review veröffentlicht wurde. In diesen Fällen habe sich gezeigt, dass die Menschen „sozusagen blind“ den Einschätzungen des virtuellen Assistenten folgten.
Diesen Effekt erklären die Wissenschaftler mit der Identifikation und der Auseinandersetzung mit den Avataren des Rollenspiels. Aus psychologischer Sicht sei es wenig verwunderlich, dass das Eintauchen in ein „roboterhaftes Wesen“ auch in der realen Welt zu entsprechenden Veränderungen im menschlichen Urteils- und Erlebensvermögen führe, sagt Weger dazu. Oder anders: Weil die Rollenspieler umfassenden Kontakt mit ihren und anderen virtuellen Charakteren hatten, waren sie eher bereit, der Empfehlung einer KI zu folgen.
Aus der Interaktion zwischen Menschen bekannt
Dieses Phänomen kennt die Wissenschaft bereits länger von der zwischenmenschlichen Interaktion: Unter dem Stichwort „soziale Erwünschtheit“ wurde nachgewiesen, dass Menschen ihre Verhaltensweisen und Einschätzungen unter Umständen bewusst oder unbewusst dem sozialen Umfeld anpassen – ein Effekt, den Weger und seine Co-Autoren in ihrer Studie nun auch für die Interaktion mit virtuellen Charakteren nachweisen.
In einer früheren Studie hatten Psychologen der Universität Witten/Herdecke bereits gezeigt, dass Spieler eine verminderte Empfindlichkeit gegenüber emotionalen Informationen aufweisen. „Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache“, sagte Weger. „Vor dem Hintergrund dieser Studien sollten wir uns fragen, was solche Spiele mit uns machen und wie wir damit umgehen wollen.“ Auch die längerfristigen Wirkungen seien völlig unbekannt, so Weger. „Wenn wir abwarten, bis wir völlige Sicherheit über solche langfristigen Wirkungen haben, ist es für geeignete Gegenmaßnahmen sicher zu spät.“