Debian: Eine Distribution vom Rebellen zum Spitzenreiter
Der angesehene kanadische IT-Journalist Bruce Byfield hat ein Essay veröffentlicht, in dem er die wechselnde Rolle von Debian über die Jahrzehnte beleuchtet. Er kennt Debian, seit er mit dessen Gründer Ian Murdock im gleichen Büro arbeitete.
Neben Slackware ist Debian die zweitälteste unabhängige Linux-Distribution. Seit 1993 gibt es regelmäßig Veröffentlichungen, aktuell wird das Release von Debian 8 „Jessie“ vorbereitet und das Projekt macht sich daran, wie jedes Jahr um diese Zeit, einen neuen Projektleiter zu wählen. Also alles wie immer? Byfield verneint dies und geht auf die wechselvolle Geschichte vom Rebellen zur mit großem Abstand meistbenutzten Distribution weltweit ein – inklusive abgeleiteter Projekte.
Debian hatte nie eine Überfigur, die den Weg des Projekts bestimmte, aber es hatte seine Helden, wie etwa Gründer Ian Murdock oder Entwickler Joey Hess und andere. Entscheidungen im Projekt waren und sind schwierig, jeder Entwickler hat gleiches Stimmrecht. Debian ist bekannt für seinen teils sehr rauhen und ausschweifenden Diskussionsstil, der eine Entscheidungsfindung sehr langwierig gestalten kann. Dies interessiert die Debian-Entwickler aber ebenso wenig, als dass es sie stört, dass ihre Auffassung von Release-Terminen – es ist fertig wenn es fertig ist – nicht den Anforderungen großer Unternehmen genügt. Wichtiger ist dem Projekt seine Basisdemokratie.
Dabei legt man sich auch schon mal mit der Free Software Foundation von Richard Stallman an, wie im Fall der Dokumenten-Lizenz GNU Free Documentation License (FDL), die Debian nach langer Diskussion nur mit Abstrichen als freie Lizenz akzeptierte. Danach lud Stallman Debian bei wichtigen Neuerungen, wie etwa der Abfassung und Veröffentlichung der GPL 3, ein mit am Tisch zu sitzen. In diesen Jahren hatte Debian den Ruf, nur von Eingeweihten installierbar zu sein. Zudem haftete ihm der Ruf der unbedingten Stabilität an. Das Paketformat DEB wurde von immer mehr Entwicklern neben RPM als maßgeblich anerkannt und bedient.
Im Jahr 2004 erschien erstmals Ubuntu, finanziert von Millionär Mark Shuttleworth, der mit Ubuntu Linux am Desktop salonfähig machen wollte. Er nutzte dazu die Paketbasis von Debian, dessen Entwickler er lange war, und er hatte Erfolg. Ubuntu wurde zur beliebtesten Distribution und Debians Stern begann im Ansehen zu sinken. Dabei wurde leicht vergessen, dass es ohne Debian kein Ubuntu geben würde. Shuttleworth stellte Debian-Entwickler ein, veränderte Debian-Pakete und gab nicht viel an das Mutter-Projekt zurück. Das führte zu teils heftiger Kritik. Mittlerweile ist die Zusammenarbeit besser geworden und viele Entwickler arbeiten für beide Projekte.
Debian hatte bereits vor Ubuntu viele Derivate, jedoch keines auch nur annähernd so erfolgreich. Mittlerweile steht Linux Mint, das auf Ubuntu und somit in zweiter Linie auf Debian aufbaut, Ubuntu in der Popularität in nichts nach. Auf Distrowatch rangiert Ubuntu hinter Mint und vor Debian. Zudem basieren 130 Distributionen in der Liste auf Debian, weitere 69 auf Ubuntu.
Debian hat sich in den letzten Jahren gewandelt und hat heute seine Rolle als Grundlage für viele Derivate angenommen. Das war nicht immer so, anfangs wurden Seitenprojekte argwöhnisch beäugt oder gar verdammt. Streiten kann Debian heute immer noch, wie die Einführung von Systemd im letzten Jahr belegt. Andererseits ist es heutzutage in seiner Vielfalt die einflussreichste Distribution am Markt.