Samsung Gear VR im Test: Virtuelle Realität mit Kompromissen und Zwangspausen

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Andreas Schnäpp
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Das Software-Line-up

„Ich bin irgendwie überrascht, dass es bis jetzt nicht mehr 'Leute übergeben sich mit Gear VR'-YouTube-Videos gibt, denn ich bin mir sicher, irgendwo ist es passiert und jemand muss es auf Video festgehalten haben.“ scherzte John Carmack während seines diesjährigen GDC-Vortrags (ab Minute 42). Der Grund, wieso sich bisher keine Videos dieser Art auf YouTube finden lassen, liegt im Software-Line-up der Gear-VR-Plattform und den damit verbundenen Qualitätskriterien (PDF), die VR-Anwendungen vorweisen müssen, um überhaupt in das geschlossene App-Ökosystem von Oculus aufgenommen zu werden. Zu den wichtigsten Eigenschaften zählt demnach eine stabile Performance von 60 Bildern pro Sekunde während der Ausführung. Weiterhin muss es sich bei den eingereichten Anwendungen um „komfortable“ VR-Erlebnisse handeln.

So funktioniert die Oculus-App als Walled Garden für vergleichsweise „sanfte“ VR-Erlebnisse. Im Gegensatz zum App-Angebot für Google Cardboard oder zu Spielen für das Oculus Rift DK2 lassen sich weder Achterbahnen noch Basejumping-Actionspiele im Angebot der Gear-VR-Plattform entdecken. Unter anderem bedingt durch das fehlende „Positional Tracking“ und die niedrigere Bildwiederholrate des Gear VR bleiben besonders hektische VR-Erlebnisse und „Proof-of-Concept“-Demonstrationen, auf die sensible VR-Nutzer stark reagieren könnten, auf absehbare Zeit der PC-Plattform vorbehalten.

In den folgenden Abschnitten wird in aller Kürze auf die interessantesten, derzeit verfügbaren Titel des Oculus Stores eingegangen, wobei die Unterteilung in „Spiele“, „Erlebnisse“ und „Apps“ den Kategorien des Oculus-App-Stores entspricht. Eine Auflistung des gesamten Software-Line-ups inklusive weiterführender Links und eine über 1.100 Screenshots umfassende Bildergalerie ist im Anhang dieses Artikels zu finden.

Spiele

Von den insgesamt 40 aktuell verfügbaren Apps für das Gear VR lassen sich 21 der Kategorie Spiele zuordnen. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich dabei größtenteils um Demos mit einer Spielzeit zwischen zehn bis 50 Minuten, denn zum Start der Plattform stehen ausschließlich kostenlose Anwendungen zur Verfügung. Kostenpflichtige Apps und die dazu benötigte Bezahlmöglichkeit im Oculus Store wurden erst Anfang dieses Monats für Nutzer in den USA freigeschaltet, sodass sich das Angebot in den kommenden Wochen und Monaten um umfangreichere Spielerlebnisse ausdehnen sollte. Das erste „Content-Update“ umfasste dabei neun VR-Vollpreisspiele, die preislich zwischen 2,99 und 9,99 US-Dollar liegen. Das Bezahlangebot soll laut Oculus „bald“ auf weitere Länder ausgeweitet werden.

Nichtsdestotrotz demonstriert das Spiele-Lineup, dass VR auch mit den beschränkten Ressourcen eines Smartphones überzeugt. Das ursprünglich für Oculus Rift entwickelte, aber zuerst für Gear VR veröffentlichte Cyber-Hacking-Puzzlespiel Darknet ist ein Paradebeispiel für konsequentes VR-Gamedesign, das trotz simpler Spielmechaniken innerhalb nur weniger Minuten Spieler in seinen Bann zieht und mit immer komplexeren, zufällig generierten Puzzles konfrontiert, die unter Zeitdruck gelöst werden müssen. Der Spieler schwirrt durch virtuelle Netzwerke und erspäht durch das Umblicken in der VR-Brille lukrative Knotenpunkte, die mittels Viren und Würmern übernommen werden müssen, um am Ende das ganze Netzwerk zu kapern und sich der darin befindenden Daten zu bemächtigen. Als Belohnung winkt virtuelles Geld und ein Aufstieg des eigenen „Skill-Ratings“, was wiederum herausfordernde Puzzles und neue Fähigkeiten mit sich bringt. Darknet ist als „komplettes“ Spiel seit dem Start der Oculus-Plattform kostenlos verfügbar und wird inzwischen im Rahmen des langsam ausrollenden Bezahlmodells für 9,99 US-Dollar angeboten.

Ebenfalls im Genre der Puzzlespiele angesiedelt ist Esper, das dem Spieler telekinetische Kräfte verleiht, die in diversen Tests unter Beweis gestellt werden müssen. Die Spieldauer der Demo-Version liegt zwar deutlich unter einer Stunde, lässt dank bissigem Humor jedoch Vorfreude auf das komplette Spielerlebnis entstehen, das seit Kurzem für 4,99 US-Dollar im amerikanischen Oculus Store bereit steht.

Die Steuerung des Gear VR erfolgt mittels seitlich angebrachtem Touchpad
Die Steuerung des Gear VR erfolgt mittels seitlich angebrachtem Touchpad

Sowohl Darknet als auch Esper werden über das an der rechten Seite des Gear VR angebrachte Touchpad gesteuert, was bei erstgenanntem Titel bedingt durch das intuitive Steuerungskonzept auch reibungslos funktioniert. Einzelne Knotenpunkte eines Netzwerks werden angeblickt und mittels leichten Tippens auf das Touchpad als Angriffsziel für die eigenen Viren aktiviert. Wischgesten sind zwar ebenso möglich, um sich beispielsweise nicht selbst im Drehstuhl bewegen zu müssen, halten sich jedoch im Gegensatz zu Esper auf einem Minimum. Bei Esper haben sich die Entwickler dafür entschieden, von Wischgesten deutlich mehr Gebrauch zu machen, was wiederum die Schwäche dieses Steuerungskonzepts offenlegt. Ein Zauberwürfel kann durch Antippen des Touchpads telekinetisch aufgehoben werden und schwebt daraufhin frei im Raum. Ein Wischen über das Touchpad in Richtung des Spielers sorgt dafür, dass der Würfel sich dem virtuellen Ego nähert, eine Wischgeste weg vom Spieler bewirkt das Gegenteil. Wird letztgenannte schneller ausgeführt, wird der gerade aktivierte Gegenstand geworfen. Durch diese Doppelbelegung ein und derselben Geste kommt es oft dazu, dass der Gegenstand, den man eigentlich nur ein bisschen von sich weg bewegen wollte, plötzlich an der Wand am gegenüberliegenden Ende des Raums landet. Insofern ist das für viele Spiele optionale, separat erhältliche Samsung-Gamepad eine durchaus abzuwägende Investition, um sich die Steuerung zu erleichtern.

HeroBound: First Steps, eine Eigenkreation aus dem Hause Oculus, setzt in mehrerlei Hinsicht auf klassische Konzepte: Aus der Third-Person-Ansicht begleitet der Spieler seinen virtuellen Avatar, ein helmtragender Goblin, durch diverse Verliese und kämpft sich mit Schwert und Bogen zu Schatztruhen durch. In puncto Gameplay und Steuerung lässt sich das Spiel als eine simplere Variante des „The Legend of Zelda“-Konzepts beschreiben, erweitert dieses Prinzip aber um VR-Nuancen.

HeroBound: First Steps

So vermittelt jeder Raum des Verlieses eine räumliche Tiefe, die sich so nur mit VR-Brillen nachempfinden lässt. Die fix im Raum angebrachte Kamera hat, ähnlich wie in Lucky's Tale für das DK2, bedingt durch die Möglichkeit sich selbst jederzeit intuitiv umzusehen, eine erfrischende Funktion für altbekannte Spieleformeln. Im Fall von HeroBound wirkt die Kulisse im Hintergrund von offenen Schauplätzen des Dungeon-Crawlers geradezu wie ein befreiender Blick in die Ferne, nachdem man sich Raum für Raum durch Gemäuer gekämpft hat. Mit knapp zweieinhalb bis drei Stunden Spieldauer zählt HeroBound neben Darknet zu den längsten Spielerlebnissen, die sich im kostenlosen Angebot für den deutschen Markt befinden.

Wie sich 1st- und 3rd-Person-Ansicht in VR miteinander kombinieren lassen, zeigt die Demo des Adventurespiels Ikarus aus dem Hause Uber Entertainment („Planetary Annihilation“).

Mit dem Voranschreiten der VR-Entwicklung lässt sich die Genregattung der „gaze“-Shooter (deutsch: „Blick-Shooter“) auch auf dem Gear VR in etlichen Ausprägungen beobachten. Angefangen beim Geschützturm-Ballerspiel „Gunner“, das komplett ohne das Betätigen von Knöpfen auskommt, hin zum farbenfrohen Balliste-Schießen auf Alien-Invasoren in „Romans From Mars“ oder dem Besuch am virtuellen Schießstand in „Shooting Showdown 2 VR“.

Protocol Zero (Demo)
Protocol Zero (Demo)

Selbst Freunde von Stealth-Spielen bekommen in der Demo-Version von „Protocol Zero“ ein Gefühl dafür, wie sich Geheimaufträge in „Sam Fisher“-Manier in der virtuellen Realität anfühlen könnten. Einhergehend mit der Steuerung der Waffe über das Anblicken der Gegner müssen im Bereich der mobilen VR-Lösungen jedoch Abstriche bei der Komplexität der Spielsteuerung gemacht werden: In Protocol Zero wird die eigene Spielfigur beispielsweise über das Anvisieren und Bestätigen von in der Luft schwebenden Symbolen bewegt. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine manuell steuerbare, stark vereinfachte Form der Rail Shooter. „Viral Lite“ bedient diese Nische ebenfalls im aktuellen Spiele Line-up.

Während das Horror-Spiel Dreadhalls den Spieler durch klaustrophobische Gänge schickt und mit einer gruseligen Soundkulisse für ein mulmiges Gefühl im Magen sorgt, können die Nerven bei entspannter Arcade-Action wie dem 3D-Pong „Proton Pulse“ geschont werden. Das millionenfach heruntergeladene Smartphone-Spiel „Temple Run“ ist auch in einer VR-Version vertreten, bei der der Spieleravatar aus der Egoperspektive gesteuert wird. Bedingt durch die Natur des Spiels, bei der die Geschwindigkeit der Spielfigur zunimmt, je länger sie überlebt, gehört Temple Run VR zu den wenigen wirklich hektischen VR-Titeln der Plattform.

Temple Run VR
Temple Run VR