BND-Skandal: Geheimdienst täuschte Parlament bewusst
Der Druck auf den Bundesnachrichtendienst (BND) wächst, nachdem bekannt wurde, dass die NSA bei der Spionage in Deutschland und Westeuropa vom deutschen Geheimdienst unterstützt wurde. Nun berichtet der Spiegel in der aktuellen Ausgabe, dass die Parlamentarier vom BND womöglich bewusst getäuscht wurden.
So zitiert das Magazin aus einem als geheim eingestuften Vermerk, den der BND dem parlamentarischen Kontrollgremien im Jahr 2013 vorgelegt hat: Die Kooperation mit der NSA im bayrischen Standort in Bad Aibling laufe entsprechend der Vorgaben. Recht und Gesetz halte man dabei ein. Daten, die von der NSA übermittelt wurden – damit sind offenbar die Suchziele (Selektoren) wie IP-Adressen und Telefonnummern gemeint –, würden vom BND „auf die Einhaltung der vereinbarten Regeln“ geprüft werden, bevor diese in die Überwachungssysteme eingespeist werden. Dabei versicherte der Nachrichtendienst, dass bei diesen Suchzielen keine „Steuerung entgegen deutschem Interesse“ erfolge.
Damit steht der Vermerk allerdings im Widerspruch zu den Erkenntnissen, die in der letzten Woche durch die Arbeit des NSA-Ausschusses bekannt wurden. Demnach hatte es die NSA bei 40.000 Suchzielen auf Informationen abgesehen, die sowohl deutsche als auch europäische Unternehmen und Politiker betrafen – womit wieder Wirtschaftsspionage als Vorwurf im Raum steht. Und innerhalb des BND war infolge einer internen Prüfung bereits seit Oktober 2013 bekannt, dass mindestens 2.000 von der NSA übermittelte Suchziele nicht dem eigentlichen Überwachungsauftrag entsprechen. Erste Hinweise auf solche Vorfälle sollen sogar seit 2008 vorgelegen haben.
„Der Nutzen für den BND (liegt) im Know-how-Gewinn“ Auszug aus Vermerk
Dementsprechend grotesk wirkt daher die Begründung des BND, mit der die NSA-Kooperation vor dem parlamentarischen Kontrollgremium gerechtfertigt wird. Laut Spiegel heißt es in dem Vermerk: „Der Nutzen für den BND (liegt) im Know-how-Gewinn und der gegenüber anderen Partnern engeren Kooperation mit der NSA.“
Für den BND wird die Luft dünn
Für die Aufklärung sind nun vor allem die folgenden Fragen entscheidend:
- Wurde die Kooperation von der NSA missbraucht oder hat der BND bewusst Informationen übermittelt, die deutsche und europäische Interessen verletzen?
- Bislang existieren nur vage Angaben darüber, ob etwa europäische Unternehmen wie EADS und einige Politiker betroffen sind. Welche Informationen nun im Einzelnen übermittelt wurden und ob es sich tatsächlich um Wirtschaftsspionage handelt, muss noch untersucht werden.
- Wussten nur die zuständigen BND-Abteilungen über diese Vorfälle oder verfügte auch die BND-Spitze über entsprechende Informationen, sodass die parlamentarischen Kontrollgremien und das Bundeskanzleramt als Aufsichtsbehörde letztlich bewusst belogen wurden?
Unabhängig davon, wie die Antworten ausfallen: Für den BND wird es ungemütlich. Denn angesichts des aktuellen Kenntnisstand geht es letztlich nur noch um die Frage: War der BND inkompetent oder hat sich der Geheimdienst von der NSA einspannen lassen, um gegen den eigenen Auftrag zu verstoßen? Daher muss sich nun auch das Bundeskanzleramt dem Vorwurf stellen, ob es als Aufsichtsbehörde versagt hat, wenn der Dienst offenkundig ein Eigenleben entwickelt.
So erklärt etwa SPD-Vize Thomas Schäfer-Gümbel: „Das Kanzleramt muss jetzt mit höchster Priorität und ohne Ansehen der Person für Aufklärung vor dem Untersuchungsausschuss sorgen.“ Kritisch äußert sich auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Er sagte auf Anfrage von Spiegel Online, er sei entsetzt „über das Ausmaß der Desorganisation. Im BND scheint es Bereiche zu geben, in denen sich ein von Vorschriften und Rechtslage ungestörtes Eigenleben entwickelt hat.“
Zurückhaltender äußerte sich derweil der Vorsitzende des NSA-Ausschusses Patrick Sensburg (CDU). Er gehe nicht davon aus, dass „der BND Steigbügelhalter für die amerikanischen Geheimdienste war“. Bis dato könne man „höchstens von Versehen auf organisatorischer Ebene sprechen“. Im Klartext heißt das: Nicht der BND als Behörde, sondern nur die zuständigen Abteilungen haben Mist gebaut.
Wesentlich schärfere Töne wählen hingegen Vertreter der Opposition. So erklärt Linken-Faktionschef Gregor Gysi im Deutschlandfunk, das Kanzleramt sei das Kontrollgremium. In der Praxis bedeute das: „Entweder sie haben nichts gewusst, dann funktioniert die Kontrolle nicht, das muss sich dann auch wiederum das Kanzleramt anrechnen lassen, oder sie haben es gewusst, dann hätten sie sich an rechtswidrigen Handlungen beteiligt.“ Die Verantwortung für die Vorfälle liege so oder so beim Kanzleramt.
Regierung und Bundesanwaltschaft halten sich bedeckt
Immerhin: Bei der Suche nach Antworten soll nun auch die Bundesanwaltschaft ermitteln, verkündete Sensburg im ARD Morgenmagazin. Bereits vor einigen Tagen hätte die Ermittlungsbehörde Einsicht in Akten beantragt, die der NSA-Ausschuss auch zugesichert habe. Unklar ist allerdings, wie diese Untersuchung nun im Detail aussehen soll.
Denn eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft erklärte gegenüber Netzpolitik.org, dass diese Akten-Anfrage nicht mit den Enthüllungen der letzten Tage zusammenhänge. Stattdessen gehe es um den seit Juni 2013 laufenden Prüfvorgang, der sich mit den Aktivitäten von amerikanischen und britischen Geheimdiensten auf deutschen Boden befasst. Im Rahmen dieser Aufklärung will die Bundesanwaltschaft auch die Erkenntnisse des NSA-Ausschusses mit einbeziehen.
In der Bundespressekonferenz hält sich der Regierungssprecher allerdings bedeckt, wie Netzpolitik.org berichtet. Demnach wolle man derzeit nicht mehr verkünden, als in der – vage formulierten – Pressemeldung mitgeteilt wurde.
Auf alle Fälle wird sich der NSA-Ausschuss in den kommenden Wochen mit dem Thema befassen. So soll etwa BND-Chef Gerhard Schindler als Zeuge befragt werden.