Bundesnachrichtendienst: NSA-Spionage gegen europäische Politiker unterstützt
Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll die NSA jahrelang bei der Spionage gegen europäische Politiker und Unternehmen unterstützt haben, berichtet der Spiegel. Damit steigt der Druck auf den deutschen Auslandsgeheimdienst – vor allem, weil selbst das Kanzleramt erst sehr spät über diese Vorfälle informiert wurde.
Im Rahmen der gemeinsamen Überwachungsaktivitäten erhält der BND demnach seit mehr als zehn Jahren Selektoren von der NSA, zu denen etwa IP-Adressen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern zählen. Im Kern geht es also um die Suchbegriffe, die der BND in die eigenen Überwachungssysteme einspeist, um die entsprechenden Datenbanken zu durchsuchen. Die Ergebnisse werden dann vom BND ausgewertet und zum Teil an die NSA weitergeleitet. Offiziell hieß es stets, bei dieser Kooperation gehe es um den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus, wie auch in dem „Memorandum of Agreement“ aus dem Jahr 2002 festgehalten wurde.
Tatsächlich hat die NSA aber zahlreiche Selektoren geschickt, die nicht von dieser Vereinbarung gedeckt sind und darüber hinaus gegen das Aufgabenprofil des BND verstoßen. Laut einem Bericht von Zeit Online sollen 40.000 Selektoren – von insgesamt 800.000 – nicht auf Bereiche wie den Anti-Terror-Kampf abgezielt haben. Stattdessen hatte es die NSA auf Informationen abgesehen, die etwa europäische Unternehmen wie EADS und Eurocopter sowie französische Behörden betreffen. Ebenso sollen Politiker aufgrund dieser Selektoren unrechtmäßig ausspioniert worden sein.
Daher steht nun der schwerwiegende Vorwurf im Raum: Die NSA betreibt Wirtschaftsspionage in Europa. Und der BND hat den amerikanischen Geheimdienst dabei unterstützt.
Zwar soll der BND bei den 40.000 Selektoren auch einige bereits im Vorfeld aussortiert haben. Doch das entscheidende Problem ist, dass das Bundeskanzleramt als direkte Aufsichtsbehörde erst im März dieses Jahres von den Vorgängen erfahren hatte – zuvor hatten Linke und Grüne einen entsprechenden Beweisantrag im NSA-Untersuchungsausschuss gestellt. Innerhalb des BND ist allerdings spätestens seit 2008 bekannt, dass die NSA Selektoren übermittelt, die sich gegen europäische und deutsche Interessen richten – und damit dem Überwachungsauftrag des BND widersprechen.
Kanzleramt zu spät über Spionage-Skandal informiert
Eine systematische Überprüfung der Selektorenliste, die von der NSA mehrmals täglich aktualisiert wird, fand jedoch nicht statt. So hatte der ehemalige Leiter der BND-Abteilung Technische Aufklärung während einer Anhörung im NSA-Ausschuss erklärt, dass entsprechende Suchbegriffe ohne großes Aufsehen gelöscht wurden. Allerdings entstand bei der Befragung der Eindruck, dass es sich in erster Linie um Einzelfälle handelt – und nicht um zig Tausend Selektoren.
Dass es sich bei diesen Vorfällen in der Summe um ein schwerwiegendes Problem handelt, wurde den Verantwortlichen innerhalb des BND offenbar erst im Oktober 2013 bewusst. In den Monaten zuvor hatte sich eine BND-Abteilung infolge der ersten NSA-Enthüllungen erstmals gezielt mit den NSA-Selektoren befasst. Doch die Erkenntnisse dieser Untersuchung wurden nicht dem Bundeskanzleramt gemeldet. Laut Spiegel-Bericht habe der zuständige BND-Unterabteilungsleiter lediglich bei der NSA vorgesprochen, damit solche Verstöße künftig unterlassen werden.
BND treibt in politische Isolation
Wie stark der BND nun unter Druck steht, wird anhand der Reaktion der Bundesregierung deutlich. So wurden die Mitglieder der parlamentarischen Kontrollgremien und des NSA-Ausschusses von Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) am Mittwochabend über diese Spionage-Vorfälle informiert. BND-Präsident Gerhard Schindler soll laut Spiegel von dieser Sitzung aber explizit ausgeschlossen worden sein.
Auch öffentlich rückt das Bundeskanzleramt in diesem Fall vom BND ab. Stattdessen heißt es in einer offiziellen Stellungnahme, das Bundeskanzleramt stehe „seit mehreren Wochen in intensivem Kontakt“ mit dem BND und „hat diesen angewiesen, den komplexen Sachverhalt vollständig aufzuklären“. Bereits jetzt habe man „technische und organisatorische Defizite“ identifiziert, die unverzüglich behoben werden sollen. Zudem soll geprüft werden, ob die Antworten von BND-Zeugen im NSA-Ausschuss „weiterhin uneingeschränkt Bestand haben“.
Diese Stelle berührt einen wunden Punkt in der Aufklärungsarbeit. Denn seit geraumer Zeit kritisieren die Mitglieder des NSA-Ausschuss, dass der BND nicht sämtliche Dokumente ausliefert, die für die Aufklärungsarbeit erforderlich sind. Zudem würden zu viele Passagen in den Akten geschwärzt und die Aussagen von BND-Zeugen wären bisweilen fragwürdig.
Opposition: BND führt unkontrollierbares Eigenleben
Angesichts der aktuellen Enthüllungen werden nun Konsequenzen gefordert. So erklärt Martina Renner, Obfrau der Linken im NSA-Ausschuss: „Schindler muss die Verantwortung dafür übernehmen, dass der BND jahrelang der NSA geholfen hat, westeuropäische Konzerne und Politiker auszuspähen, und dass diese illegale Praxis des BND mutmaßlich dem Parlament und dem Bundeskanzleramt verschwiegen wurde.“ Die illegale Weitergabe von Daten zeige zudem, dass der BND ein Eigenleben führe und effektiv von niemand kontrolliert werden könne.
„Wir müssen verstehen, wer hier für was verantwortlich ist“ Konstantin von Notz
Ähnlich äußert sich auch Konstantin von Notz (via Netzpolitik.org), der für die Grünen im NSA-Ausschuss sitzt. Demnach manifestieren sich bei diesem Vorfall die Probleme mit dem BND, die im Zuge der Aufklärungsarbeit ohnehin offensichtlich wurden – dazu zählen etwa der schludrige Umgang mit der Rechtslage, das stetige Arbeiten im Graubereich sowie die mangelnde Aufklärung durch das Bundeskanzleramt. Bei der Forderung nach personellen Konsequenzen hält sich von Notz allerdings zurück. Entscheidend sei vielmehr die eigentliche Aufklärungsarbeit. „Wir müssen verstehen, wer hier für was verantwortlich ist“, so von Notz.
So handelt es sich bei dem aktuellen Spionage-Skandal um einen weiteren Vorfall, mit dem sich der Druck auf den BND binnen kurzer Zeit verstärkt. Denn erst vor kurzem haben die Betreiber des Frankfurter Internetknotenpunktes DE-CIX angekündigt, Klage gegen die Überwachungsprogramme des Geheimdienstes einzureichen. Darüber hinaus sind auch die Mitglieder der G10-Kommission verärgert. Der BND und das Bundeskanzleramt sollen die Geheimdienst-Kontrolleure bewusst getäuscht haben, um die Operation Eikonal durchzudrücken – und in deren Rahmen fand für einige Jahre der Datenaustausch zwischen der NSA und dem BND statt.