Bloodborne: Ein düsterer Blick auf den bestialischen Menschen
Vorwort
Über das exklusiv auf der PlayStation 4 veröffentlichte Action-Rollenspiel Bloodborne ist den vergangenen Wochen viel und in den höchsten Tönen geschrieben worden: Über die düstere Welt, das faire, aber schwere Gameplay, die zahlreichen Nuancen und feinen Details eines Spiels, das seine Geheimnisse eifersüchtig zu hüten scheint, über die damit verbundene Gefühlskulisse. Alle Ecken der Welt sind jedoch noch nicht ausgeleuchtet worden.
ComputerBase wirft deshalb einen anderen, genauen Blick auf die Welt und die durchaus subtile Metaebene der Erzählung hinter Bloodborne. Ein Bericht der etwas anderen Art.
Spoiler-Warnung: Da ein Spieletest im Allgemeinen und eine inhaltliche Analyse im Besonderen nicht immer gänzlich ohne die Wiedergabe einzelner wichtiger Handlungselemente der Geschichte möglich ist, bitten wir all jene, die vorab nichts über die Handlung des Spiels erfahren möchten, nur das Fazit zu lesen. Wir bemühen uns jedoch stets, die Wiedergabe auf absolut notwendige Erzählelemente zu beschränken.
Ein düsterer Blick auf den Menschen
Bloodborne ist komplex: Ein Satz, den wohl viele Spieler unterschreiben würden, der aber nicht nur für das spannende Spielerlebnis gilt. Es ist das Konzept als Ganzes, welches das menschliche Streben in kritischem Licht abbildet. Was im großen Ganzen des von steter Wiedergeburt geprägten Gameplays beginnt, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Spiel. Eine positive Bilanz vermag der Titel jedoch nicht zu ziehen.
Was Bloodborne zeigt, ist eine Gesellschaft, die im Wahnsinn der Barbarei versinkt oder sich, je nach Perspektive, in einem unheimlichen Dualismus in ihren behaglichen oder nicht so behaglichen Heimen vor dem abschottet, was hinter den eigenen vier Wänden passiert, bewusst ignorant gegenüber den Vorgängen um sie herum. Dass nicht einmal dieses Refugium sicher oder „gut“ im Sinne eines rettenden Gegenpoles zu sein scheint, verstärkt das Unbehagen: Durch die erleuchteten Fenster dringen krankes Husten und Schreie, die sowohl Freude als auch Schmerz bedeuten können.
In diese Dunkelheit führt das Spiel immer wieder hinab, in eine Welt der Gefallenen. Es sind jedoch keine magische Wesen, von Seuchen infizierte oder gefallene Helden wie noch im geistigen Vorgänger Dark Souls, welche dem Spieler gefährlich werden. Der distanzierten Tragik des gefallenen Guten und der Abstraktion des inhärent Bösen wird das Alltägliche gegenübergestellt: Der bestialische Mensch, motiviert durch seine Triebe, die lediglich rudimentär einem gesellschaftlichen Miteinander nachempfunden sind – das Monster im Menschen, das all sein Tun stets zu rechtfertigen weiß. Dies veranschaulicht ausgerechnet der Priester Pater Gascoigne, der im Schnelldurchlauf zum Ungeheuer wird. Es ist ein Tun, das in Scheiterhaufen resultiert, dem lodernden Sinnbild der Verfolgung, das in Dark Souls als Signal noch der Inbegriff der Rettung und Erlösung war. So steckt eine bedrückende Wucht hinter der Welt von Bloodborne, die viel stärker generalisiert als noch seine Vorgänger.
Schon das Setting zieht eine allgemeine Verbindung. Der Sprung vom magischen Mittelalter in die unmittelbare (Vor-)Moderne stellt eine zeitliche Verbindung her zwischen der allzu archaischen Vergangenheit und der vorgeblich zivilisierten Gegenwart. Damit verschwindet die Distanz einer letztlich mythischen Epoche, die längst Teil von Legenden ist; das viktorianische Zeitalter am Beginn der Industrialisierung dient als Brückenelement, das zeigt, wie wenig „Fortschritt“ von der Natur des Menschen entkoppelt und zugleich das direkte Fundament des Jetzt und Heute ist, nur einen Katzensprung entfernt.
Wie wenig Mensch und Bestie trennt, wird so treffend durch die Waffen veranschaulicht. Die eigentlichen Todeswerkzeuge, die Trickwaffen, sind überwiegend hybride Werkzeuge, während spezialisierten Waffen nur eine unterstützende Rolle zukommt. Es sind aber mehr als nur die Relationen in Form der eigentlich so unintuitiven Arbeitsteilung, bei der das Schaffende weit besser tötet, sondern die Umsetzung, welche bedrückt: Was in der rechten, der geschickten Hand geführt wird, ist nicht (nur) ein Schwert, sondern immer auch der Hammer. Erschaffen und zerstören, Aufbau und Fall, Aufstieg und Untergang sind treffend in einem Gegenstand vereint. Selbst der Spazierstock als Herrensymbol bringt scheinbar Gegensätzliches zusammen – so wird thematisch Unerwartetes mit dem Tod in Verbindung gebracht.
Wenn Spieler in eine solche Welt geschickt werden, um die Bestien zu vertreiben, dann steht das Unterfangen schon von Beginn an unter keinem günstigen Stern. Die Fremdheit der Welt mit ihren unzähligen verborgenen Mechaniken lässt für jede beantwortete Frage zwei neue aufkommen, und der Versuch, das Richtige zu tun, endet selten mit dem gewünschten Ergebnis – schwerlich bleibt im Verborgenen, dass keine Institution, weder Krankenhaus noch Kirche, wesentliche Institutionen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Festungen der Zivilisation, immun bleibt. Die Rätsel eines Universums, das weder Spieler noch Protagonist zur Gänze verstehen können, und Abgründe menschlicher Natur sind ansprechend im Kleinformat verpackt, illustriert durch die kleinen Geschichten am Rande des Weges. So entsteht eine seltsam vertraute und zugleich fremde Erfahrung, durch die sich lediglich stolpern lässt.
Unvermeidlich zwingt Bloodborne dazu, in Blut zu waten, das Triebfeder für die Bewohner von Yarnham ist: Die rote Flüssigkeit ist Grund ihrer Existenz, ebenso wie Ziel ihres Strebens. Seelen, die erhabene, von bloßer Körperlichkeit und rudimentärer Notwendigkeit entkoppelte Essenz einer Spezies, weicht der Substanz, die sie am Leben erhält und ihre animalische Natur wie kein zweites Element symbolisiert. Dem trägt das Gameplay selbst Rechnung: Wo man sich in Dark Souls hinter einen Schild zurückziehen konnte, verwehrt Bloodborne jeden Rückzugsort: Der Jäger wird zum Angriff gezwungen und damit zu dem, was er im Kern jagt - er muss die größte Bestie sein. Denn um bestehen zu können, sind Stärke und Schnelligkeit gefordert, um nicht mehr die Seele als abstrakte Essenz, sondern das Blut, das Leben selbst in aller Deutlichkeit zu nehmen.
So wird vorgeführt, wie aller Fortschritt, alle Erhabenheit, alle Stärke stets nur einem destruktiven Voranschreiten dient, das in endloser Wiederholung gefangen sein muss. Die Jagd auf Bestien lässt lediglich neue Monster entstehen, „Einsicht“ führt nur dazu, den vermeintlichen Schrecken umso deutlicher vor Augen zu haben. Im Endeffekt rettet auch tieferes Verständnis nichts, denn Wissen und Wahnsinn haben in Bloodborne zu viele Gemeinsamkeiten. Es fällt daher nicht schwer, die so blindlings verehrten „Great Ones“ als symbolisierte Ideologie zu betrachten, die sich in einem Kreislauf lediglich selbst ablösen – sofern nicht nur der Exponent ersetzt wird. Auch diese Möglichkeit zeigt das Spiel. Der Ladebildschirm ist insofern auch ein schlichtes Statement: Bloodborne. Durch das Blut geboren und getragen – die Kernaussage wird schlicht, aber umso effektiver immer wieder als einfache Feststellung platziert.
Der Gewalt auszuweichen, wird schwer, ihr nicht zu erliegen, unmöglich. Der dünne Mantel der Zivilisation liegt allzu bereitwillig zerrissen am Boden, der Spieler wird als machtloser Akteur zum Mitspielen gezwungen. Nicht einmal der Tod vermag zu erlösen. Er lässt das makabere Spiel in anderer Konstellation von vorne beginnen. Sind es nicht gerade die „Boten“, die fatal an ein Bild von Edward Munch erinnern und in endlosem Schrei verharren? Aus dieser Gewaltspirale gibt es kein Entrinnen. Nicht in der Welt, nicht im surreal friedfertigen Traum des Jägers, der immer nur einen Moment Zuflucht gewährt, dessen Licht eine Illusion bleibt. Die Lampen erhellen nichts.
Monstren kann so kein Einhalt geboten werden; Kunst und Kultur erweisen sich als wenig potentes Mittel des Schutzes – der Kreislauf bleibt, ungeachtet seiner Vorzeichen, im Kern stets derselbe: Es ist eine Plage, gegen die es keinen Schutz gibt, denn das „blasse Blut“ zur Überwindung dieses Zustands ist nicht mehr als eine Illusion. So greift das Spiel mit Realität und Traum aus der Spielwelt hinaus. Am Ende reibt man sich die Augen und wünscht, reine Fiktion zu spielen – kann sich dessen aber nicht länger sicher sein.
Fazit
Bloodborne ist ein gutes Spiel: Die Mechaniken greifen, wie von Demon's Souls und Dark Souls gewohnt, perfekt ineinander, das Gameplay ist zwar schwer, aber stets fair. Durch den Verzicht auf das Blocken werden aber auch Veteranen mitunter vor neue Herausforderungen gestellt, während eine liebevoll und detailreich ausgestattete Welt zum Erkunden ermutigt. Das macht Bloodborne zu einem guten Spiel. Was es zu einem herausragenden Titel macht, ist die inhaltliche Komplexität, die der handwerklichen in nichts nachsteht: Bloodborne hat eine Seele. Das Spiel fordert mehr als nur Geschick mit dem Controller, es gibt mühelos Raum für Gedanken, welche über die fiktionale Welt hinausgreifen. Spiele als kultureller Beitrag sind Kunst, Bloodborne ein Meisterstück.
Plattformen & Jugendschutz
„Bloodborne“ ist exklusiv für die PlayStation 4 erhältlich. Für die Online-Modi wird eine kostenpflichtige PS-Plus-Mitgliedschaft vorausgesetzt. Das Spiel hat von der USK eine Freigabe ab 16 Jahren erhalten.
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