The Witcher 3: Wild Hunt im Test: Der Traum eines jeden Rollenspiel-Fans
Vorwort
Eine offene Welt und dichte Erzählungen schließen sich für gewöhnlich aus gutem Grund aus. Dennoch will CD Projekt genau diesen Spagat wagen: Der Abschluss der Witcher-Trilogie soll nicht nur die Geschichte um Hexer und Monsterjäger Geralt, die Wilde Jagd sowie die Zauberin Yennefer beenden, sondern zugleich auch die Grenzen des Rollenspiel-Genres erweitern. Große Töne, die zu schon während der Entwicklung von zahlreichen Misstönen – Gerüchten um inhaltliche Mängel – begleitet wurden. Nach mehreren Verschiebungen hat es Witcher 3 nun in den Handel geschafft – und muss die Hosen herunterlassen.
Spoiler-Warnung: Da ein Spieletest im Allgemeinen und eine inhaltliche Analyse im Besonderen nicht immer gänzlich ohne die Wiedergabe einzelner wichtiger Handlungselemente der Geschichte möglich ist, bitten wir all jene, die vorab nichts über die Handlung des Spiels erfahren möchten, nur das Fazit zu lesen. Wir bemühen uns jedoch stets, die Wiedergabe auf absolut notwendige Erzählelemente zu beschränken.
Systemanforderungen
Trotz nominell hoher Hardwareanforderungen benötigt The Witcher 3 lediglich für maximale Details potente Rechentechnik. Wie im separaten Technik-Artikel ausführlich beschrieben wird, wirkt sich der Schritt auf hohe Details visuell fast gar nicht aus, während in diesem Fall entgegen der Herstellerempfehlungen bereits eine Mittelklasse-Grafikkarte samt Core i3 spielbare Bildwiederholraten auf den Monitor zaubert.
Komponente | Testsystem | Herstellerempfehlung* |
---|---|---|
Betriebssystem | Windows 8.1 (64 Bit) | Windows 7/8.1 (64 Bit) |
Prozessor | Core i7-4790K | AMD FX-8350 Core i7-3770 |
Arbeitsspeicher | 16 GByte | 8 GByte |
Grafik | Nvidia GeForce GTX 780 | AMD Radeon R9 290 Nvidia GeForce GTX 770 |
Festplattenspeicher | ca. 40 GByte | |
Internetanbindung | zur Installation einmalig | |
Sonstiges | *Für 30 Bilder pro Sekunde hohen Details und 1080p |
The Witcher 3 auf einen Blick
Nackt, aber sexy
Dass The Witcher 3 die Hosen herunterlassen muss, ist dabei wieder einmal absolut wörtlich zu verstehen. Schon der Einstieg macht einmal mehr klar, dass CD Projekt Red den Hexer nicht in ein Fantasy-Universum voller Sonnenschein und freundlicher Feen versetzt, sondern in etwas, das nackte Tatsachen eines fiktionalen Mittelalters ausgiebig in den Vordergrund rückt. Um diesbezüglich dem Duktus des Spiels zu folgen: „Ficken“ und „töten“ liegen so dicht beisammen, wie die ähnlich klingenden Schreie vermuten lassen. Mit Ruhe und Entspannung ist es daher schnell vorbei.
Conan O'Brien hat diese Thematik in The Witcher 3 ausführlich und überspitzt in seiner Videoreihe „Clueless Gamer“ aufgegriffen – dem muss nichts hinzugefügt werden.
Dennoch: Auch wenn in der düsteren Welt des Hexers Profanität und Gewalt prominente Rollen einnehmen, lässt sich das Rollenspiel beileibe nicht auf diese beiden Elemente reduzieren. Wie in den Vorgängern betreten Spieler keine Welt, die sich in Schwarz-Weiß-Schemata erfassen lässt; so sehr The Witcher zu schneller Urteilsbildung verlockt, so oft weiß es immer neue Seiten von Land und Leuten zu enthüllen, die zu einer konstanten Neubewertung von Positionen zwingen. Selbst Kenner der Serie treffen dabei auf eine Welt, die sich erneut verändert hat: Das Königreich Temeria ist nach den Ereignissen des zweiten Serienteils besiegt und von Nilfgaard-Invasoren besetzt, deren Feldzug gegen die nördlichen Königreiche aber nicht verläuft wie gewünscht und sich in die Länge zieht.
Temeria zieren nun die Überreste der letzten Schlachten in der Ruhe nach dem Sturm. Bauern, die versuchen sich an die neuen Umstände zu gewöhnen, Patrioten, die weiter kämpfen wollen, Deserteure, die nicht mehr sterben wollten, und dazwischen neue Günstlinge, die die Situation zu nutzen wussten, geben der Spielwelt eine echte Seele – und das in nur einem einzigen Gebiet. In der neuen Besatzungszone verbinden sich die Nachwehen einer verlorenen Schlacht mit der Orientierungslosigkeit danach und zaghafter Hoffnung auf Frieden, trotz der noch allgegenwärtigen Gewalt, die von den Starken nach Kräften ausgeübt wird.
Von bäuerlichen Sorgen ist indes am Hof der neuen Herren wenig zu spüren, ein Kontrast, der in besonderem Maße akzentuiert wird: Von der Schlägerei in einer dreckigen Dorfkneipe versetzt es den Hexer ohne Umschweife an den Hof von Nilfgaard. Die dortige, heile Welt steht in krassem Gegensatz zu den initialen Erfahrungen und beweist, das von den Inszenierungsqualitäten der Serie nichts verloren gegangen ist. Protokolle und Prunk haben nichts gemein mit furzenden Provinzwachen und fluchenden Bauern, die Sorgen und Nöte eines Herrschers wenig mit denen seiner „Schachfiguren“. Das ist auch deshalb grandios, weil es dreckig und düster wird, ohne in Stereotype abzugleiten.
Wie üblich sind weder der erste noch der zweite Eindruck zuverlässig: Nur weil ein Provinzfürst „Blutiger Baron“ genannt wird, muss es sich zumindest in der Darstellung des Spiels, nicht der seiner Figuren, um eine auf ihre Bosheit reduzierte Person handeln – zumal eine mögliche Alternative nur in ihren eigenen Vorstellungswelten tatsächlich eine bessere ist. Auf der Partitur der Grautöne versteht das Spiel jedenfalls meisterhaft zu spielen. So verwundert es wenig, dass der Schamane, von dem es heißt, er würde mit seiner Ziege verkehren, mehr als nur ein debiler Scharlatan ist. Und was die Ziege betrifft: Darüber hüllt das Spiel den gnädigen Mantel des Schweigens, schließlich interessiert sich ein Hexer „nicht für die Hobbys anderer Menschen“.
In Anbetracht dieser Komplexität sind die insbesondere in US-amerikanischen Medien erhobenen Sexismus-Vorwürfe Fehl am Platz. Natürlich zeigt The Witcher nackte Haut – warum auch nicht? Es passt zum Setting ebenso wie in die gezeigte Welt und trägt zu einer erwachsenen Erzählung bei. Frauen im besten Tomb-Raider- oder Duke-Nukem-Stil sind nicht darunter. Kräuterweiber, Bäuerinnen, eine alte Hexe: Die gezeigte Bandbreite ist wie der Kleidungsstil beachtlich, und wenn eine „Damsel in Distress“ gerettet werden muss, worauf die Quest „Princess in Danger“ ironisierend anspielt, dann zumeist optional.
Frauen sind jedoch keineswegs exklusive Objekte derartige Rettungsmissionen, in dieser Hinsicht diskriminiert das Spiel nicht. Es muss sich allerdings bei der Darstellung seiner Welt in Teilen deren Konventionen beugen, für ein Rollenspiel allerdings handelt es sich fast schon um das Ureigenste der Genre-Seele. Auch in dieser Hinsicht gibt sich The Witcher angenehm erwachsen und natürlich, man möchte sagen: Es zeigt Alltagswelten in ihren Facetten.