Vorratsdatenspeicherung: Kabinett beschließt Überwachungsgesetz
Nun ist es also offiziell: Das Kabinett hat das Gesetz für die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärt zwar, mit dem Entwurf werde eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit gewahrt. Doch zahlreiche Kritiker lassen kaum ein gutes Haar an dem Gesetz.
Wie bereits bei der Vorstellung der Leitlinien angekündigt wurde, sollen Verbindungsdaten künftig für zehn Wochen und Standortdaten für vier Wochen gespeichert werden. Konkret betrifft das bei Telefonaten die Rufnummer und die Rufumleitung. Erfolgen Anrufe über Internetdienste wie Skype oder WhatsApp, wird sowohl die IP-Adresse des Geräts als auch der Name des Benutzers erfasst. Bei Mobiltelefonen wird zudem die IMSI-Nummer gespeichert, um ein Telefon auch dann identifizieren zu können, wenn der Nutzer die SIM-Karte wechselt.
Um den Standort von Personen ermitteln zu können, werden die Funkzellendaten gespeichert. Darüber hinaus soll auch erfasst werden, an welchem Ort ein Telefonat begonnen hat oder eine SMS verschickt wurde. Trotz der anlasslosen Datensammlung erklärt Maas, dass die Bundesregierung das Recht auf unbeobachtete Kommunikation erhalten wolle. So dürfen etwa keine Bewegungsprofile erstellt werden und auch E-Mails sollen nicht erfasst werden. Kommunikationsinhalte fallen ohnehin nicht unter die Vorratsdatenspeicherung. Und im Vergleich zur alten Regelung könnten Polizei und Geheimdienste nicht mehr so leicht auf die Datenbestände zugreifen. Laut Maas sollen die Daten „nur bei einzeln aufgelisteten schweren Straftaten und nur nach vorheriger Genehmigung durch einen Richter“ abgerufen werden.
Maas, der selbst lange als Gegner der Vorratsdatenspeicherung galt, zeigt nun Verständnis für die Kritiker. „Ich kann die Skepsis einiger Netzpolitiker durchaus nachvollziehen. Ganz klar ist aber: Was wir jetzt beschließen, ist nicht die alte Vorratsdatenspeicherung, wie sie sich viele Sicherheitspolitiker gewünscht haben.“
Neue Regelung: Weder klar, noch transparent
Doch selbst wenn das Gesetz nicht so weit geht wie die alte Regelung, handelt es sich immer noch um eine Vorratsdatenspeicherung. Zumal das Gesetz bei Weitem nicht so klar und transparent ist, wie es von Maas dargestellt wird. So haben erste Analysen bereits gezeigt, dass die im Gesetzentwurf aufgeführten Delikte über schwere Straftaten hinausgehen. Ein weiterer fragwürdiger Punkt ist der richterliche Vorbehalt: So erklärt die Bundesregierung regelmäßig, dieser gelte nicht nur bei Verkehrs- und Standortdaten, sondern gelte auch für die Auskunft von Bestandsdaten. Diese ist nötig, wenn eine Polizeibehörde erfahren will, welche Person hinter einer Telefonnummer oder IP-Adresse steckt.
Doch nach Informationen von Netzpolitik.org sollen die Bestandsdaten, die im Zuge der Vorratsdatenspeicherung angesammelt werden, auch ohne richterlichen Beschluss abgefragt werden können. Das gehe aus einer geheimen Nebenabrede zwischen Justiz- und Innenministerium hervor, die den Netzaktivisten vorliegt. Demnach wäre es also möglich, dass Polizei und Geheimdienste sich ohne Richtervorbehalt aus dem Pool an Vorratsdaten bedienen können, um etwa die Person hinter einer Telefonnummer oder IP-Adresse zu identifizieren.
Der Umgang mit den Bestandsdaten ist nicht der einzige vage Punkt an dem Gesetz. So kritisieren etwa die Reporter ohne Grenzen, dass Berufsgeheimnisträger wie Journalisten und Anwälte durch den Entwurf nicht ausreichend geschützt werden. Sicherheitsbehörden sollen die entsprechenden Verbindungsdaten zwar nicht auswerten dürfen. Doch wie das in der Praxis funktionieren soll, ist unklar. Technisch dürfte es etwa schwierig bis unmöglich sein, die Skype- oder WhatsApp-Accounts von Journalisten zu identifizieren.
Ähnliche Probleme bestehen bei dem neuen Straftatbestand der „Datenhehlerei“. Dieser ist laut Maas notwendig, um den Handel mit gestohlen Daten unter Strafe zu stellen. Allerdings ist der entsprechende Passus im Gesetz so vage formuliert, dass Kritiker diesen bereits als „Anti-Whistleblower“-Paragraphen bezeichnen.
Vorratsdatenspeicherung bleibt Vorratsdatenspeicherung
Angesichts der vielen vagen Aspekte ist es nicht überraschend, dass der Gesetzentwurf auf massive Kritik stößt. So erklärt etwa der ehemalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar (PDF-Datei), dass es sich trotz der Einschränkungen und verkürzten Speicherfristen immer noch um eine anlasslose Datensammlung handelt, die jeden Bürger pauschal unter Verdacht stellt. Damit entspreche das Gesetz jedoch nicht den Auflagen vom Europäischen Gerichtshof. Hinzu kommt: Bis heute hätten Sicherheitsbehörden und -politiker nicht den Beweis erbracht, dass Vorratsdaten für die Verfolgung von schweren Straftaten erforderlich sind.
Ähnlich fällt die Einschätzung vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco aus. Bei dem Gesetz bestehen so viele technische und rechtliche Fragen, sodass die Vorratsdatenspeicherung erneut vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern dürfte. So erklärt eco-Vorstandsmitglied Oliver Süme: „Die Bundesregierung verwendet höchste Eile und Priorität auf die Verabschiedung eines für Bürger und Wirtschaft folgenschweres Gesetzes. Ob dieses Gesetz verfassungskonform und technisch umsetzbar ist, scheint allerdings eine eher untergeordnete Rolle zu spielen.“
Daher hofft der eco nun auf Hilfe aus dem Parlament. Denn das Gesetz ist mit dem Beschluss des Kabinetts noch nicht in trockenen Tüchern. Zunächst muss es noch durch den Bundestag und Bundesrat – und das möglichst im Eilverfahren, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht. Denn die Vorratsdatenspeicherung soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause wieder eingeführt werden. Warum die Bundesregierung nach den jahrelangen Streitigkeiten nun so schnell vorgeht, wird nicht näher begründet.
Daher vermutet die Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft, dass die Bundesregierung eine öffentliche Debatte möglichst vermeiden will: „Diese Überrumpelungstaktik ist angesichts der Begründungsschwäche des Vorhabens wenig verwunderlich und angesichts seiner Grundrechtswidrigkeit verheerend.“