BND-Aufklärung: Das Kanzleramt will das Parlament umgehen
Im Streit um die Liste mit den NSA-Suchbegriffen hat die Bundesregierung nun entschieden: Lediglich ein als „Vertrauensperson“ bezeichneter Sonderermittler erhält Einsicht. Derweil sollen die parlamentarischen Kontrollgremien und der NSA-Ausschuss nicht einmal sämtliche Informationen erhalten, berichtet Spiegel Online.
Demnach heißt es in einem Schreiben, das das Kanzleramt heute an den NSA-Ausschuss übermittelt hat: „Ausgehend von der Tatsache, dass die Listen selbst nicht herausgegeben werden, sollte der Auftrag, der an die Vertrauensperson zu stellen wäre, so gestellt sein, dass eine Antwort erfolgen kann, ohne damit konkrete Inhalte der Liste offenzulegen.“ In der Praxis bedeutet das: Die Geheimdienst-Kontrolleure erhalten nicht die genauen Suchbegriffe (Selektoren), die der BND für die NSA in die eigenen Überwachungssysteme eingespeist hat, um Ziele in Deutschland und Europa auszuspionieren. Stattdessen soll eine „unabhängige und sachverständige Vertrauensperson“ die streng geheimen Dokumente untersuchen und dann sowohl den NSA-Ausschuss als auch das parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) und die G10-Kommission informieren.
Das Kanzleramt rechtfertigt diesen Schritt mit der fehlenden Zustimmung der US-Regierung – und diese wird auch nicht erfolgen, wie bereits auf informeller Ebene durchgesickert sein soll. Daher wurde dieses Verfahren gewählt, um „dem Untersuchungsausschuss eine Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion (zu) ermöglichen, ohne einen völkervertragsrechtlichen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland (...) herbeizuführen“, zitiert Spiegel Online aus dem Schreiben des Kanzleramts.
Welche Person als Vertrauensperson eingesetzt wird, ist bislang noch nicht entschieden. Die Mitglieder des NSA-Ausschusses sollen bei der Wahl zwar mitentscheiden können, indem etwa ein Vorschlag unterbreitet wird. Doch auf formaler Ebene soll die Bundesregierung das letzte Wort haben. Seitens Spiegel Online wird nun vermutet, dass es sich um keinen aktiven oder früheren Politiker handeln wird. Im Gespräch sind stattdessen Personen wie Udo di Fabio, ein ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht.
Während die Vertreter der großen Koalition den Plänen prinzipiell zustimmen, werden diese von der Opposition abgelehnt. So bezeichnet der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz den vorgestellten Kompromiss als „armselig“, während die Linke-Abgeordnete Martina Renner kritisiert, dass das Parlament mit dieser Entscheidung „unglaublich brüskiert und willkürlich entrechtet“ werde. Daher steht nun eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht bevor.
Nach dem aktuellen Kenntnisstand sind die Chancen für eine erfolgreiche Klage nicht allzu schlecht. Zumindest heißt es in einem Gutachten vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, von dem der Spiegel am Wochenende berichtet hatte, dass ein Sonderermittler nicht mehr Rechte haben dürfe als die parlamentarischen Kontrollgremien – alles andere wäre rechtswidrig. Die Frage ist nur, ob die zuständigen Richter im Falle einer Klage zu demselben Ergebnis kommen.