Innenminister: BND „zu 100 Prozent“ für Spionage-Skandal verantwortlich

Andreas Frischholz
40 Kommentare
Innenminister: BND „zu 100 Prozent“ für Spionage-Skandal verantwortlich
Bild: NEXT Berlin | CC BY 2.0

Für die Aufklärung des aktuellen BND-Skandals musste nun auch Innenminister Thomas de Maizière im NSA-Ausschuss aussagen. Doch das Ergebnis war eher mau: Von den umstrittenen NSA-Suchbegriffen will er lange Zeit nichts gewusst haben, verantwortlich für das Debakel wäre alleine der Bundesnachrichtendienst (BND).

Im Kern geht es bei der Anhörung um die Frage: Wer ist letztlich für den Skandal verantwortlich? Denn klar ist mittlerweile, dass der BND über Jahre hinweg Suchbegriffe (Selektoren) von der NSA in die eigenen Überwachungssysteme eingespeist hat, die sowohl auf Unternehmen als auch Politiker in Deutschland und Europa abzielten – und hat damit womöglich gegen deutsches Recht verstoßen. Doch trotz des Chaos' und der widersprüchlichen Angaben ist die Frage nach der Schuld für de Maizière leicht zu beantworten: Diese liege „zu 100 Prozent“ beim BND. Der Kernfehler wäre demnach das mangelhafte Meldeverhalten des Geheimdienstes, sagte der Innenminister laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org.

Wie problematisch der Umgang mit Selektoren sein kann, habe er ohnehin erst infolge der Snwoden-Enthüllungen erfahren. Während seiner Tätigkeit als Kanzleramtsminister zwischen 2005 und 2009, bei der de Maizière als oberste Aufsichtsperson für den BND verantwortlich war, habe er hingen nur allgemeine Informationen erhalten. Ohnehin sei die Aufsicht schwierig, da im BND eine für Geheimdienste typische „Jäger-und-Sammler“-Mentalität existiere und die Mitarbeiter würden auch „nicht gerne gestört“ werden. Da er von bestimmten Operationen auch kaum Kenntnisse habe, könne das Kanzleramt weder das laufende Geschäft, noch die einzelnen Operationen gezielt kontrollieren.

Dementsprechend will de Maizière auch erst Ende 2007 oder Anfang 2008 von dem Projekt Eikonal erfahren haben, bei dem der BND zusammen mit der NSA den internationalen Datenverkehr über die Leitungen der Telekom überwacht hatte – und das zu diesem Zeitpunkt eingestellt wurde. Unterstützt wird der Innenminister von Klaus Dieter Fritsche, dem für Geheimdienste zuständigen Staatssekretär im Kanzleramt, der ebenfalls im NSA-Ausschuss befragt wurde. Zwar war bereits seit 2006 innerhalb des BND bekannt, dass die NSA auch Suchbegriffe übermittelt, die etwa europäische Firmen wie EADS betreffen. Doch im Kanzleramt soll es deswegen keine Diskussionen gegeben haben, so Fritsche.

Ohnehin geht de Maizière nicht davon aus, dass es sich bei den fragwürdigen Vorgängen um Wirtschaftsspionage gehandelt habe. Die US-Dienste wären an solchen Informationen interessiert, um etwa beim Waffenhandel aufzuklären oder die Einhaltung von Wirtschaftsembargos zu kontrollieren. So würden dem Innenminister trotz der 25.000 illegalen Suchbegriffe keine Hinweise vorliegen, dass US-Dienste deutsche Unternehmen im Visier haben, um amerikanischen Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen.

So lautet auch die Argumentation von Vertretern der Geheimdienste. Das Problem ist nur: Was die NSA tatsächlich mit den erbeuteten Informationen anstellt, ist letztlich kaum zu kontrollieren. Doch das Kanzleramt verlässt sich – trotz aufkeimender Zweifel – offenbar immer noch auf die Aussagen der amerikanischen Partner.

Dass Eikonal Anfang 2008 eingestellt wurde, obwohl die US-Dienste auf eine intensivere Zusammenarbeit drängten, soll demnach auch nicht am fehlenden Vertrauen gelegen haben, erklärt Fritsche. Maßgeblich für die Entscheidung waren vielmehr „industriepolitische“ Bedenken: So habe das Kanzleramt befürchtet, der BND büße eigene Fähigkeiten ein, wenn man zu abhängig von der technischen Hilfe der US-Dienste ist. Hinzu kamen die Schwierigkeiten, deutsche Grundrechtsträger zu identifizieren und von der Überwachung auszunehmen.

Im Widerspruch zu Medienberichten und BND-Verantwortlichen

Das Problem ist nur: Im Verlauf der letzten Wochen wurde publik, dass der BND bereits 2007 das Kanzleramt explizit vor einer engeren Zusammenarbeit mit den US-Diensten gewarnt hat. Doch angesprochen auf die entsprechenden Dokumente verweigert de Maizière – zumindest in der öffentlichen Sitzung – eine direkte Antwort. Stattdessen wird er im Live-Ticker von Netzpolitik.org mit folgender Aussage zitiert: „Richtig ist, dass wir entschieden haben, diese Kooperation nicht durchzuführen. Dass man Ratschläge bekommt und nicht befolgt, ist Einmaleins.

Ebenso fragwürdig erscheinen auch einige Aussagen von Fritsche. Denn der Geheimdienst-Staatssekretär erklärte, es sei Fakt, dass einige von der NSA übermittelten Suchbegriffe gegen deutsche Interessen und Vereinbarungen verstoßen haben. Das Problem sei allerdings, dass dies den Aufsichtsbehörden nicht mitgeteilt wurde. So soll das Kanzleramt und die BND-Leitung erst von den Spionage-Aktivitäten der NSA erfahren haben, als die Aufklärungsarbeit infolge der Snowden-Enthüllungen an Fahrt aufnahm.

Dies steht allerdings im Widerspruch zu den Aussagen vom früheren BND-Präsident Ernst Uhrlau. Dieser hatte in der letzten Woche im NSA-Ausschuss erklärt, erstmals Anfang 2006 informiert worden zu sein, dass die NSA mit Hilfe seiner Behörde europäische Ziele ausspionieren wollte. Die entsprechenden Vorfälle wurden von den US-Diensten zwar als Fehler eingestanden, doch der BND habe seither regelmäßig Stichproben genommen, aus denen im Laufe der Zeit eine „Ausschlussliste“ problematischer Suchbegriffe entstanden sein soll. Und von diesen Vorgängen müsse nach Ansicht von Uhrlau auch Klaus Dieter Fritsche gewusst haben, der damals Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt war. Als weiteres Indiz, dass das Kanzleramt über die problematische Kooperation mit der NSA im Bilde war, ist nach Ansicht von Uhrlau zudem die Einstellung des Eikonal-Programms. Dass de Maizière die Kooperation mit den US-Diensten letztlich nicht ausbauen wollte, „spricht Bände“, so Uhrlau.

Zwei Lesarten des Skandals

Trotz der Aufklärungsarbeit im NSA-Ausschuss existieren also immer noch zwei Lesarten des Skandals: Auf der einen Seite das Kanzleramt, das dem BND die Schuld in die Schuhe schiebt und erst seit März 2015 vom Ausmaß der NSA-Spionage erfahren haben will. Und auf der andere Seite die Mitarbeiter vom BND, die bereits in den Jahren 2007 und 2008 vor der problematischen Kooperation mit der NSA gewarnt haben wollen. Klar ist nur: Die Aufsicht des Geheimdienstes reicht derzeit nicht aus.

Dementsprechend ernüchtert fällt nun auch das Fazit von Konstantin von Notz aus, der für die Grünen im NSA-Ausschuss sitzt: Das Bundeskanzleramt war gegenüber der NSA zu gutgläubig, denn der amerikanische Geheimdienst halte sich nicht an Recht und Gesetz, sondern verfolge eigene Interessen. Die Fehler wurden zwar beim BND gemacht, doch letztlich habe auch das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde versagt. Ähnlich fällt die Einschätzung von Martina Renner von der Linken aus: Trotz Hinweisen habe es das Kanzleramt versäumt, sich angemessen zu informieren oder die richtigen Fragen zu stellen. Und erst durch diese Fehler bei der Aufsicht sei es dem BND ermöglicht worden, ein Eigenleben zu führen.