Netzneutralität: Oettinger trifft vor allem Netzbetreiber-Lobbyisten
Im Streit um die Netzneutralität hat EU-Digitalkommissar Günther Oettinger bislang vor allem im Sinne der Netzbetreiber argumentiert. Die inhaltliche Nähe wird nun auch durch die Auswertung des Lobby-Registers der EU bestätigt.
So berichtet Spiegel Online, dass sich Oettinger vornehmlich mit Wirtschaftsvertretern trifft, während Bürgerrechtsorganisationen hinten anstehen. Die Zahlen stammen von der Organisation Transparency International, die die entsprechenden Veröffentlichungen der EU ausgewertet hat. Demnach hat sich Oettinger seit seinem Amtsantritt im November 44 Mal mit Lobbyisten von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen getroffen, zu denen etwa die Deutsche Telekom, British Telecom oder Alcatel zählen. Mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Verbraucherschutzverbänden und Netzaktivistengruppen hat sich der EU-Digitalkommissar hingegen nur zweimal getroffen.
Diese Unterschiede bei den Treffen mit Lobby-Gruppen bestätigt auch Joe McNamee von der europäischen Bürgerrechtsgruppe EDRi, zu der etwa der Chaos Computer Club und die Digitale Gesellschaft zählen. „Oettinger hat sich überwiegend von der Seite der Netzbetreiber beraten lassen“, erklärte der Netzaktivist. Mit diesen gehe er zum Abendessen. Er selbst habe den EU-Digitalkommissar hingegen nicht einmal formell getroffen.
Oettinger widerspricht allerdings dieser Darstellung. Auf Anfrage von Spiegel Online erklärte er, dass das Transparenz-Register nicht die Realität widerspiegle. Wenn „ich mich in einer öffentlichen Veranstaltung an Bürger wende, auf einer Konferenz spreche oder Abgeordnete treffe, die sich für die Rechte der Internet-Nutzer einsetzen“, werde dies nicht erfasst. Dennoch wirkt das Vorgehen von Oettinger fragwürdig. Und es widerspricht auch den Verhaltensregeln von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der bei seinem Amtsantritt vorgegeben hat: „Kommissionsmitglieder sollen versuchen, unter den Interessenvertretern, die sie treffen, eine angemessene Balance herzustellen.“
Selbst wenn Oettinger kein Einzelfall in der EU-Kommission ist, zeigt die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, dass es auch anders geht. Bei ihr notiert Transparency International lediglich acht Treffen mit Wirtschaftslobbyisten. Und es ist auch Vestager, die etwa das Kartellverfahren gegen Google vorantreibt.
Netzneutralität: Eine Taliban-artige Entwicklung
Derweil besteht bei Oettinger eine inhaltliche Nähe zu den Netzbetreibern, die allein schon aufgrund seiner Aussagen deutlich wird. So spricht er sich etwa im Streit um die Netzneutralität gegen strikte Vorgaben aus – und attestiert den Befürwortern ein „Taliban-artiges“ Verhalten. Denn Spezialdienste müssten seiner Ansicht nach möglich sein. Als Beispiele für solche Ausnahmen nennt er etwa Krankenhäuser und selbstfahrende Fahrzeuge, die auf eine schnellere Übertragung des Datenverkehrs angewiesen wären – da müssten dann YouTube-Videos im Zweifel hinten anstehen.
Netzaktivisten halten die Argumente jedoch für vorgeschoben. Stattdessen wird befürchtet, dass Netzbetreiber die rechtlichen Ausnahmen nutzen wollen, um etwa Spezialangebote für Streaming-Plattformen wie Netflix oder Spotify durchzusetzen.
Vorwürfe muss sich Oettinger allerdings nicht nur aus den Reihen der Netzaktivisten gefallen lassen. Seine Regulierungspläne für den Breitbandausbau würden in erster Linie auf die Bedürfnisse von Branchengrößen wie der Deutschen Telekom abzielen, kritisieren etwa alternative Provider-Verbände wie der VATM und Breko. So will der EU-Digitalkommissar etwa Fusionen im Telekommunikationssektor fördern, sodass letztlich einige große Anbieter übrig bleiben, damit diese auf globaler Ebene eine größere Rolle spielen können.