Klassiker neu entdeckt: Unreal 2: The Awakening (2003) im Test
Vorwort
Dem Einerlei moderner Ego-Shooter zu entkommen ist im Jahr 2015 kein einfaches Unterfangen. Klassische Vertreter des Genres bleiben seit Jahren eine seltene Erscheinung, insbesondere, wenn der einzige neue Vertreter des Genres in seiner qualitativ besseren Originalfassung per Geo-Lock unzugänglich gemacht wird: Wolfenstein ist keine echte Alternative. Ergo bleibt fast nur noch der Griff zu einem älteren Titel, wenn Unterhaltung dieser Art gewünscht wird: Auch wenn „damals“ nicht alles besser war, war die Situation zumindest anders. Unreal 2, immerhin von keinem geringeren Studio als Epic Games entwickelt, versprach im Jahr 2003, ein unkomplizierter, hübscher Einzelspieler-Shooter zu sein. Heute hingegen kann sich kaum ein Spieler noch an den Titel erinnern – zu Recht?
Geschichte und Hintergrund
Aus einem Spiel mehr als eine Anordnung von lose verknüpften Schauplätzen zu machen, ist für gewöhnlich eine gute Idee, die ihren Widerhall in zahlreichen (Weltkriegs-)Shootern des jungen Jahrtausends findet. Allein: Die Stiefel von Ex-Marine John Dalton, einem interstellerarem Dorfsheriff an der Siedlungsgrenze einer weit, weit entfernten Galaxie, tragen in Unreal 2 diesbezüglich nicht weit. Um dem Sci-Fi-Setting von Unreal 2 Tiefe zu verleihen, dürfen Spieler zwischen Einsätzen auf dem kleinen Raumschiff ihres Alter Egos herumlaufen und mit den drei Besatzungsmitgliedern sprechen. Wie man sich das vorstellen darf? Wie Mass Effect – nur in schlecht.
Das ist aber kein Hinderungsgrund, den Shooter zu spielen. Schließlich gehörten und gehören dröge Präsentationen und Klischee-Patchwork – hier Alien-Artefakte, machthungrige Militärs, gierige Riesenkonzerne, 08/15-Charaktere – zum Genre wie fettiges Schnitzel in eine Dorfkneipe. Niemand verlangt in hochkulturelle Sphären des Meistersangs vorzudringen, wenn eine funktionale Beziehung zu der angebahnten Geschichte im Sinne einer simplen Rahmung zur Orientierung im Geschehen völlig ausreicht. Derartige Umsetzungen beherzigen jedoch eine einfache Grundregel: Sie sind optional und belästigen den Spieler nicht.
Diese Gnade gewährt Unreal 2 nicht. Der dilettantische Versuch, Shooter mit Mehrwert zu servieren, wird vielmehr mit vorgehaltener Waffe präsentiert. Kein Gespräch auf dem Raumschiff lässt sich umgehen, mindestens zwei sind in der Regel langwierige Pflicht. Das Niveau der hölzernen Dialogzeilen schwankt zwischen schlecht und Till Schweiger, was in einem in jeder Hinsicht qualvollen Ereignis endet. Garniert wird dieser aus dem Austausch von Platitüden und Belanglosigkeiten bestehende Horror durch selbst im O-Ton demotivierte und nuschelnde Sprecher, deren Betonung und Lautstärke von Satz zu Satz wechseln kann. Feste Form sucht man dabei vergebens: Zwischen Drama, Horror, Slapstick, testorengeladenem Soldatentalk und Einzeilern, die den Punch eines Duke Nukem um mehrere Sternsysteme verfehlen, rettet sich die Kohärenz kaum über ein einzelnes Gespräch; Charaktere werden zu Sammelbehältern verschiedener Konzepte degradiert. Was Unreal 2 sein will, hängt ganz offenbar von der Idee ab, die ein Designer gerade interessant fand.
Wenn Dialoge nicht „unterhalten“ sollen, sind sie Handlungsanleitungen billigster Art, die schlecht verhüllt in abrupten Themenwechseln mit der Nase auf Spielmechaniken stoßen – das Qualitätsniveau lässt weniger an einen Vollpreis-Titel als an einen umfangreichen Mod eines (jugendlichen) Hobby-Teams denken. Was schade ist, denn prinzipiell entwickeln einzelne Stellen immer wieder einen gewissen Charme und deuten als Ausreißer an, was hätte sein können, aber nicht sein durfte. Ingesamt wirkt Unreal 2, als hätte bei Epic jemand die Brainstorming-Zettelwand der Designphase einfach in das Spiel gekippt. Wenn irgendwann aus der Anweisung „Go to Hell“ billige Witze mit Planetennamen gemacht werden, wissen Spieler bereits: Dort befinden sie sich seit dem Intro.
Ohnehin verwundert, dass Epic Games Missionsbriefings in einem Korridor-Shooter mit akuter Inhaltsarmut für eine den Spielspaß fördernde Idee gehalten hat. Ihr Zweck ist primär, Assisstentin Aida, eine echte Polygonbombe mit den schärfsten Texturen im Spiel, begaffen zu können – die billige Sexualisierung ist geradezu peinlich schlecht und wird nicht im Ansatz zu überspielen versucht. Der Versuch, fehlende Qualität durch Sex zu kitten, geht insofern definitiv in die Hose. Dass Briefings und stumpfe Gespräche mit der Crew, vielleicht mit Ausnahme des erstaunlich kohärent gezeichneten Alien-Pilotens, den Unterhaltungswert einer toten Ratte haben, merkt schließlich auch das Spiel – und ersetzt „Briefings“ irgendwann kommentarlos durch „Zwischensequenzen“, die zwar die Qualität nicht heben, sich aber endlich überspringen lassen. Am Ende ist Unreal 2 das, was es nicht sein will: Ein stupider Korridor-Shooter mit mehr oder weniger zusammenhängenden Arealen.