GDC 2015

HTC Vive ausprobiert: Auf die Theorie folgt die fantastische Praxis

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Andreas Schnäpp
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Erstkontakt mit dem Chaperone-System

Beim Versuch, die virtuelle Tischkante zu Umlaufen und von jeder Ecke aus auf das Geschehen zu blicken, kamen wir erstmals mit dem „Chaperone“-System in Berührung: Während der Einrichtung der Vive wird der Raum vermessen und festgelegt, wie weit man sich darin bewegen möchte. Um nicht gegen eine Wand oder einen Einrichtungsgegenstand zu laufen, wird dem VR-Nutzer ein leuchtendes Gitter eingeblendet, das Zusammenstöße verhindern soll. Beim Testen lag der Abstand zwischen dem angezeigten Gitter und der realen Wand bei circa 10 bis 20 Zentimetern. Diese Zone dient als Puffer und kann individuell eingestellt werden. In jedem Fall blendet sich das Chaperone-Gitter jedoch zuverlässig mit ausreichend Abstand vor Erreichen der virtuellen Wand ein, um Unfälle mit realen Konsequenzen zu vermeiden.

Was beim Ausloten der Grenzen des Chaperone-Systems jedoch auffiel, ist die Tatsache, dass es durchaus möglich ist, das Tracking der Controller mit dem eigenen Körper zu verhindern: Während wir uns in Richtung der Zimmerecke tasteten und dabei einen der Controller vor dem Oberkörper hielten, verschwand das virtuelle Pendant des Controllers zwischenzeitlich, weil die auf dem Controller angebrachten Sensoren nicht mehr von den Lighthouse-Stationen getroffen wurden. Diese Art von Tracking-Problem fällt jedoch nur dann auf, wenn gezielt an den physikalischen Grenzen danach gesucht wird: Im restlichen Verlauf der VR-Demos und bei normaler Benutzung war von Ausfällen keine Spur. Sowohl VR-Brille als auch Controller wurden präzise erfasst und reagierten selbst auf hektische Bewegungen ohne merkbare Verzögerung.

Malen im dreidimensionalen Raum

Tilt Brush von Skillman & Hackett war der dritte Stop in der VR-Tour von HTC und definitiv ein geradezu geniales Highlight. Der VR-Controller in der linken Hand stellt die virtuelle Farbpalette dar, bei der durch Kreisbewegungen über das Touchpad unterschiedliche Farben aus einem Farbkreis gewählt werden können. Der Controller in der rechten Hand agiert als virtueller Pinsel und Zeiger zugleich. Das intuitive Steuerungskonzept verleitet dazu, mit unterschiedlichen Pinseln und Effekten herumzuprobieren, indem die linke Hand angehoben wird und mit der rechten wiederum das gewünschte Malwerkzeug ausgewählt werden kann.

Die zweidimensionale Leinwand hat ausgedient: Mit beiden Controllern in der Hand können VR-Nutzer ihrer kreativen Ader im dreidimensionalen Raum im wahrsten Sinne des Wortes freien Lauf lassen. Entlang der X-, Y- und Z-Achse entstehen auf einfache Weise dreidimensionale Gemälde, die mit anderen Nutzern als GIF-Animation geteilt oder auf dem Android-Smartphone mit einer VR-App angesehen werden können.

Vom ersten Pinselstrich hin zu komplexeren Landschaften und Objekten entsteht eine kindliche Faszination für diese neuartige Art zu Malen, die so nur möglich ist, weil der Nutzer gar nicht erst an seine Werkzeuge denken muss, sondern intuitiv drauf losmalen und jederzeit durch Herumlaufen, Ducken, zur Seite neigen oder näher Herantreten seine Perspektive auf das 3D-Gemälde verändern kann. Wer sich gerne künstlerisch austobt, wird mit dieser VR-Software seine Freude haben.

Mit Essen spielt man

Nächster Zwischenstop war der Job Simulator von Owlchemy Labs: Angesiedelt im Jahr 2050 soll die VR-Trainingssimulation Menschen vermitteln, wie sich manuelle Arbeit und ganz generell Jobs in der Vergangenheit angefühlt haben, bevor sie vollständig von Robotern erledigt wurden. Schauplatz dieser VR-Demo ist eine virtuelle Küche, in der eine Tomatensuppe auf dem Speiseplan steht. Die Zutaten dafür liegen griffbereit auf dem Tisch oder im Kühlschrank und wenige Handgriffe später auch im Kochtopf, wäre da nicht dieses unverschämt spaßige Physiksystem, das zum hemmungslosen Herumblödeln einlädt.

Statt die Anzeigetafel an der gegenüberliegenden Wand zu befolgen und die Zutaten in einen Kochtopf zu werfen, flogen Tomaten, Salzstreuer und Küchenutensilien durch die Gegend. Beim Versuch ein rohes Ei hochzuwerfen und wieder sicher aufzufangen, scheiterten wir zwar, wurden dafür aber mit einem plötzlich fertig zubereiteten Spiegelei bei der Bruchlandung überrascht. Der Job Simulator schlägt in die gleiche humoristische Kerbe wie der ebenfalls nicht ernst gemeinte Surgeon Simulator: Fehler passieren, es gehen Dinge schief und das Resultat des Ganzen ist kein „Game Over“-Screen, sondern ein dickes Grinsen im Gesicht des VR-Nutzers dank des wunderbar überdrehten Humors. Zwar gelang uns das virtuelle Jonglieren mit Gemüse nicht ansatzweise so gut wie Entwickler Alex Schwartz, dafür lässt das erste Schnuppern in der virtuellen Küche dank überzeugender Steuerung schon jetzt Vorfreude auf das Endprodukt aufkeimen.

Die beiden Trigger an der Rückseite der VR-Controller werden zum Greifen der Gegenstände genutzt. Das Hantieren mit Messern, Pfannen oder Salzstreuern geht einfach von der Hand und frische Zutaten lassen sich einfach aus dem Kühlschrank holen. Man merkt zudem, dass Owlchemy Labs sich Gedanken gemacht haben, um Nutzern wiederkehrende, irgendwann lästig werdende Bewegungen zu ersparen. Beim Zulaufen auf den Kühlschrank fährt beispielsweise automatisch die Tür herunter, sodass Zutaten mit beiden Händen gegriffen werden können ohne dabei mit einer Hand die Tür offen halten zu müssen. Job Simulator wird einer der Starttitel sein, die noch Ende dieses Jahres erscheinen und gehört zu den witzigsten Erlebnissen, die plattformübergreifend am VR-Horizont stehen.

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