Netzneutralität: Der Machtkampf um die Vorherrschaft im Internet
Ein fadenscheiniger Kompromiss
Es ist Nacht, die Kamera fährt auf eine kleine Bar mit großem Schaufenster. Die Straße ist von einer kleinen Straßenlaterne und den Lichtspiegelungen auf dem noch nassen Boden erleuchtet. Mit quietschenden Reifen rauschen zwei Lincoln um die Ecke, die Insassen entleeren die Magazine ihrer Tommy-Guns im Vorbeifahren vollständig. Zurück bleibt die kleine Bar, zerlegt in Schutt und Asche. Ein klassisches Mafiafilmszenario.
Ähnlich durchlöchert ist nun auch die Netzneutralität, nachdem sich EU-Gremien auf einen Kompromiss verständigt haben – das befürchten zumindest Netzaktivisten. Denn die EU reklamiert zwar für sich, dass mit diesem Gesetzespaket das offene Internet gesichert werde. Allerdings wird die Netzneutralität als solche mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen lauten die Kernpunkte des EU-Beschlusses:
- Offenes Internet: In Europa sollen alle Bürger und Unternehmen einen gleichberechtigten Zugang zum Internet erhalten. Abgesehen vom Traffic-Management und rechtlichen Vorgaben wird Netzbetreibern das Blockieren und Drosseln von Inhalten untersagt. Ebenso sind kostenpflichtige Bezahldienste („paid prioritisation“) verboten.
- Spezialdienste: Ausnahmeregelung, die den Netzbetreibern die Einführung von Sonderdiensten mit gesicherter Netzqualität ermöglicht. Allerdings sind diese nur gestattet, wenn das offene Internet nicht beeinträchtigt wird.
- Zero-Ratings: Netzbetreibern ist es grundsätzlich gestattet, den Traffic von bestimmten Internetdiensten nicht auf begrenzte Datenkontingente anzurechnen. Entsprechende Abkommen wie das zwischen der Deutschen Telekom und Spotify im Mobilfunkbereich sind also weiterhin möglich.
Auf den ersten Blick wirken diese Vorgaben einleuchtend, doch der Teufel steckt wie so oft im Detail. So sehen die EU-Pläne zwar vor, dass die Netzbetreiber ein qualitativ hochwertiges und offenes Internet sicherstellen sollen. Was genau aber damit gemeint ist, wird nicht gesagt. Neben der Anschlussgeschwindigkeit sollen zwar auch Quality-of-Service-Aspekte eine Rolle spielen, technische Details oder konkrete Zahlen fehlen allerdings.
So bleibt es lediglich bei dem Vorsatz, dass der Datenverkehr grundsätzlich gleich behandelt werden sollt. Nur: Mit den Spezialdiensten sind manche Daten gleicher als andere. Denn diese gehen immer mit einer zugesicherten Übertragungsqualität einher, die das offene Internet im Zweifel nicht bieten kann – und für die Provider separate Gebühren erheben können.
Die Befürchtung lautet nun: Da vor allem die Spezialdienste ein lukratives Geschäftsmodell bieten, werden diese von den Providern gefördert, während das offene Internet zur Datenrestrampe verkümmert. Im Worst-Case-Szenario bedeutet das: Das Internet wird zerstückelt, sodass etwa Streaming-Angebote, Online-Gaming oder selbst VoIP-Dienste nur noch nutzbar sind, wenn man die entsprechenden Angebote der Provider gebucht hat.
Spezialdienste sind eine Art netzpolitischer Sprengstoff, der das Potential hat, im Falle einer Explosion das bis dato bestehende Internet zu zerfetzen. Eine Gefahr, die offenkundig auch den EU-Gremien bewusst ist. Denn sie haben zwar den Wünschen der Provider entsprechend Spezialdienste zugelassen, doch es existieren Grenzen: So sollen diese Angebote etwa nur erlaubt sein, wenn sie nötig sind. Und sie dürfen keinen Ersatz für den herkömmlichen Internetanschluss darstellen. Zudem sollen Spezialdienste nur dann möglich sein, wenn die Netzkapazitäten neben dem offenen Internet ausreichend sind.