Act of Aggression im Test: Echtzeit-Strategie wie früher mit zwei Seiten

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Max Doll
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Moderner Krieg modernisiert

Bei einem Spiel, das klassisch sein will, ist der nicht zu vermeidende Elefant im Raum die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den großen Vorbildern am Ende der Ahnenlinien. Analog zu den Verflossenen wagt Act of Aggression einen Blick in die nähere Zukunft und lässt Spieler mit Waffensystemen der Gegenwart und solche, die aus den Technologien von Morgen hervorgehen könnten, herumspielen. Zehn Jahre nach Act of War produziert der Blick in die Glaskugel jedoch andere Resultate. Optische Tarnung, Drohnen und Railgun-Systeme sind das Resultat der militärischen Forschung und Entwicklung in den vergangenen Jahren: Kämpfe in 20 Jahren sehen 2015 anders aus als 2005, die von Exoskeletten als vollständigen Panzeranzügen mit Minigun und Raketenwerfen geträumt haben.

Dabei erinnern die Fraktionen selbst noch immer stark an Act of War, das nur nicht mehr Act of War heißen darf – hinter anderen Namen stecken häufig alte Konzepte, so etwa bei den Kombattanten. Chimera, eine UNO-Eingreiftruppe mit High-Tech-Ausrüstung, ersetzt die Task-Force-Talon der US-Regierung, wobei gewisse Einheiten und Gebäude arg vertraut vorkommen, das Syndikat wird zum Kartell, agiert aber weiterhin mit getarnten Einheiten und Söldern aus dem Hinterhalt. Lediglich die US-Armee verzichtet auf den Kleidungswechsel und bleibt bei der Anwendung brachialer Gewalt. Hier kommen Flugzeuge statt Drohnen und Atomraketen statt Laserkanonen zum Einsatz. Das alte StarCraft-Prinzip funktioniert hier so gut wie anderswo.

Taktisch genug

Spielerisch allerdings hat sich das Gesicht des Krieges stärker verändert, als die seltsame Vertrautheit von Einheiten und Fraktionen zunächst suggerieren möchte. Verantwortlich ist das Update der Kriegsführung: Ungelenkte Raketen sind auf den High-Tech-Schlachtfeldern von Act of Aggression fast nicht mehr im Einsatz, stattdessen müssen sich Nutzer auf Lenkwaffen mit hoher Reichweite als konstante Bedrohung einstellen. Damit steigt die Gefechtsentfernung im Spiel drastisch. Artillerie vermag daher weit über den auf einem Bildschirm sichtbaren Bereich hinaus zu schießen. Das hat zugleich zur Folge, dass adäquate Gegenmaßnahmen gegen die neue Raketenbedrohung erforderlich werden, was dem Spiel eine weitere interessante Dimension verleiht.

Die klassische Faustregel langsamer, aber mächtiger Großpanzer wird zugleich effektiv gekontert von günstigeren, schnellen und weit reichenden Waffensystemen im Konzert mit Aufklärungseinheiten, wobei viele dieser Fähigkeiten erst als Upgrade im Spielverlauf zur Verfügung gestellt werden. Dies erlaubt nicht nur neue Strategien, sondern bringt auch Vielfalt in fortgeschrittene Spielpartien, wenn das Erforschen sekundärer Waffensysteme die ersten Truppen deutlich aufwertet. Auch im späten Spielverlauf bleiben Truppen der ersten Minuten wichtige Teile der eigenen Armee. Anfänger werden durch die schlecht zu überblickenden und zahlreichen Optionen aber schnell überfordert.

Weil sich nicht immer alle Upgrades erforschen lassen, entsteht durch den Zwang zur Entscheidung eine interessante strategische Ebene in den schnellen und bisweilen unübersichtlichen Gefechten, die vergessen lassen, das „Act of“- schon einmal mehr Optionen beim Umgang mit Einheiten selbst geboten hat – etwa ein Hinterhalt-System für Infanteristen oder die Möglichkeit, Söldner anzuheuern. Noch immer lassen sich gegnerische Soldaten aber gefangen nehmen und für ein hübsches Lösegeld festhalten.

Für neue Vielfalt sorgen außerdem verschiedene Rohstoff-Arten im Spiel: Harte Dollar kaufen längst nicht alles, sondern dienen als Basiswährung, ergänzt um Aluminium für Einheiten der Stufe 2 und seltene Erden für Militärgerät der Stufe 3, für die jeweils passende Lagerstätten errichtet werden müssen. Weil in Mehrspieler- und Skirmish-Gefechten Rohstoffe zufällig verteilt werden, müssen sich so auch defensive Spieler, die schnellstmöglich an starke Einheiten gelangen wollen, auf der Karte außerhalb ihrer Komfortzone exponieren und den Rücktransport der Rohmaterialien in ihr Hauptquartier absichern, wollen sie nicht langsam ausbluten, was mehr oder weniger sanft zur Konfrontation zwingt.

Solo-Enttäuschung

Für Solisten eignet sich Act of Aggression allerdings weniger. Konnte Act of War noch eine ordentliche Popcorn-Geschichte erzählen und vor allem stimmig inszenieren, gelingt dieses Kunststück dem neuen Titel trotz gleicher Grundbausteine nicht. Dieses überraschende Versagen liegt nicht in der Abstinenz von Helden-Einheiten auf den Schlachtfeldern begründet, mit denen sich eine personifizierte Erzählung verknüpfen ließe, sondern auch in der lieblosen Ausgestaltung der kurzen Zwischensequenzen zwischen den Missionen, wenig gehaltvollen Dialogen und selbst im englischen Original schlechter Vertonung.

Wenn man sich hinter Pseudonymen und mit verzerrter Stimme agierende Schurken anhören möchte, deren Motivation zur Zerstörung der USA völlig im Unklaren bleibt – wir vermuten: weil sie es können – wünscht man sich den machthungrigen, natürlich russischen Klischee-Psychopathen aus Act of War zurück, der als Sterotyp zumindest den Charme einer Tom-Clancy-Geschichte einbringen konnte.

Pseudo-Nachrichtensendungen treiben die Erzählung voran
Pseudo-Nachrichtensendungen treiben die Erzählung voran

Um die nicht ganz trivialen Entwicklungsbäume mit zahlreichen Upgrades und Verzweigungen zumindest einmal kurz zu sehen und ein paar Stunden etwas Spaß zu haben, sind die insgesamt 15 Missionen annehmbar. Schnell wird allerdings klar, dass sich Act of Aggression nicht an Einsteiger oder Neulinge richtet: Lediglich in der ersten und der zweiten Mission reicht es noch aus, Einheiten entspannt von A nach B zu schicken. Dieses zum Start niedrige, bei Strategiespielen oftmals anzutreffende Anforderungsniveau dient jedoch nur als Ausgangspunkt für eine steil ansteigende Schwierigkeitskurve.

Anspruch erzeugen die Entwickler aus zwei Elementen: Einerseits aus knappen Ressourcen des Spielers, andererseits aus einer KI mit voll ausgebauten Basen, unbegrenzter Rohstoff-Anzahl und, so scheint es, einem Maphack. In den letzten Missionen der UN-Kampagne sieht man sich daher mit einer Vielzahl Fortgeschrittener Einheiten konfrontiert, die in kurzen Abständen an den Grenzen der eigenen Basis ankommen – eine unheimlich frustrierende Erfahrung auf einer Karte quasi ohne Rohstoffe, die von zu stark angezogenen Daumenschrauben kündet.

Späte Missionen erzeugen maximalen Druck
Späte Missionen erzeugen maximalen Druck

Obwohl erfahrene Spieler die oftmals gewünschte, gehörige Herausforderung sogar mit einem Nachschlag in Form von zusätzlichen Bonuszielen bekommen, vermisst man unweigerlich einfache, eigentlich rudimentäre Features wie einen variablen Schwierigkeitsgrad oder eine abgestimmte Lern- und Herausforderungskurve. Hier schlägt ins Kontor, dass Act of Aggression mit Tipps, Hilfen oder vernünftige Informationen über die Stärken der zahlreichen Einheit hinter dem Berg hält oder die gebotenen Daten unverständlich darstellt. Die Missionen selbst bleiben so reines Füllwerk, dem ruhigen Kennenlernen einer spezifischen Einheit dienen sie nicht.

Potential lässt Act of Aggression auch bei sekundären Missionszielen liegen; Auswirkungen haben die optionalen Aufgaben fast nie, sie dienen der Statistik. Dass die Wegfindungs-Routinen nicht immer sauber arbeiten und die KI gelegentlich Schluckauf bekommt, fällt in der Kampagne weniger ins Gewicht, die Unmöglichkeit, die Kamera über den unteren Bildschirmrand zu bewegen oder beim Anlegen eines Spielstandes Einheitengruppen ebenfalls zu sichern, schon stärker. Derartige Anachronismen gehören ebenso wie der Zwang zur Anwahl des Hauptquartiers vor dem Bau eines Gebäudes im Jahr 2015 nicht mehr in ein Strategiespiel, das dem Stand der Technik entsprechen will.