Vorratsdatenspeicherung: Verhärtete Fronten bei Anhörung im Bundestag
Die Bundesregierung will die Vorratsdatenspeicherung möglichst schnell wieder einführen. Eine Expertenanhörung im Bundestag zeigt allerdings, dass die Front zwischen Befürwortern und Gegnern weiterhin verhärtet ist. Denn auch der neue Gesetzentwurf kann die zentralen Widersprüche nicht auflösen.
Vorratsdatenspeicherung ist notwendig
Für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung spricht sich etwa der Oberstaatsanwalt Rainer Franosch aus, der als Vertreter des Hessischen Justizministeriums an der Anhörung teilnahm. Ebenso wie weitere Experten aus dem Umfeld der Sicherheitsbehörden argumentiert er, dass Polizei und Geheimdienste bei Ermittlungen vor allem im Bereich Cybercrime darauf angewiesen wären, dass IP-Adressen verfügbar sind. Dabei geht es weniger um die eigentliche Beweisführung, wie es etwa bei Standortdaten der Fall ist – diese könnten Hinweise für die Anwesenheit eines Täters am Tatort liefern. Stattdessen sei die IP-Adresse der Ausgangspunkt, um zunächst den Anschlussinhaber zu identifizieren. Dann folgen weitere Schritte wie etwa Hausdurchsuchungen.
Die IP-Adressen wären insbesondere nötig, um Anonymisierungswerkzeuge wie TOR zu umgehen, heißt es etwa in der Stellungnahme von Franosch (PDF-Datei). Das TOR-Netzwerk wird dabei als eine Plattform bezeichnet, die eine „Untergrund-Ökonomie“ für Cyber-Kriminelle ermöglicht. Denn auf den entsprechenden Marktplätzen würde nicht nur ein illegaler Handel mit Waffen, Drogen und Daten betrieben, sondern „illegale Dienstleistungen, wie z.B. die Durchführung von DDoS-Attacken, angeboten“. Diese „Cybercrime-as-a-Service“-Geschäfte standen bereits im Mittelpunkt des diesjährigen Lageberichts vom Bundeskriminalamt (BKA).
Daher fordert Franosch, dass die Speicherfristen nicht auf zehn Wochen bei Verkehrsdaten und vier Wochen bei Standortdaten beschränkt sein dürfen. Zudem dürften E-Mail-Daten nicht ausgeklammert werden. Vielmehr sollten sogar Internetdienste wie Facebook die Vorratsdatenspeicherung einführen. Ebenso sprach sich Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, für eine sechsmonatige Speicherfrist aus. Denn: Kurze Speicherfristen seien „weder verfassungsrechtlich geboten noch ermittlungstechnisch ausreichend“.
Vorratsdatenspeicherung ist ein Sicherheitsplacebo
Der Haken an dieser Argumentation ist allerdings: Es fehlt nach wie vor der statistische Nachweis, dass die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich notwendig ist, wie Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltsverein erklärt. Sie verweist dabei auf die Studie des Max-Planck-Instituts. Diese hatte ergeben, dass Ermittlungsbehörden zwar zwischen 2008 und 2010 auf Vorratsdaten zurückgreifen konnten, diese aber keinen Einfluss auf die Aufklärungsquoten hatten. Daher sei der Gesetzentwurf der Bundesregierung weit davon entfernt, die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundene Überwachung von 80 Millionen Bürgern rechtfertigen zu können, so Sandkuhl. Und in Zeiten der NSA-Enthüllungen sei es ohnehin ein „fatales Signal“, wenn die Überwachung weiter ausgebaut werde.
Diese Einschätzung teilt Meinhard Starostik, ein Richter am Berliner Landesgerichtshof. Zunächst bezweifelt er, dass IP-Adressen tatsächlich so ein guter Ansatz für Ermittlungen sind, wie es von Vertretern der Sicherheitsbehörden dargestellt wird. So heißt es in der Stellungnahme (PDF-Datei) von Starostik: „Wegen der Knappheit von Adressen im IP-4-Adressbereich gehen die Provider zunehmend dazu über, eine IP-Adresse für mehrere Nutzer zu vergeben.“ Dementsprechend sei die IP-Adresse auch nur bedingt aussagekräftig, um einen potentiellen Verdächtigen zu identifizieren.
Hinzu kommt: „Es gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik, seine Bürger nicht vollends zu überwachen“, so Starostik laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org. Wie aussagekräftig eine Analyse der Vorratsdaten sein kann, habe etwa das Experiment des Grünen-Abgeordneten Malte Spitz verdeutlicht. Zumal er ohnehin davon ausgeht, dass der aktuelle Gesetzentwurf gegen die Vorgaben des Europäischen Gerichtshof (EuGH) verstößt, weil die Datensammlung nicht auf das absolut Notwendige beschränkt ist. Denn: „Es werden keine anlass-, gebiets, zeitraum- oder personenbezogenen Einschränkungen vorgesehen.“
Kritisch sei dies etwa bei Berufsgeheimnisträgern, die eigentlich von der Datenspeicherung ausgeschlossen werden sollen. Die Bundesregierung will diese Vorgabe aber nur umsetzen, indem Sicherheitsbehörden die Verbindungsdaten von Anwälten, Seelsorgern oder Journalisten nicht auswerten dürfen. Identifiziert werden sollen diese durch Listen mit Telefonnummern. Fraglich ist allerdings, wie praxistauglich so ein Vorgehen ist – denn nicht alle Journalisten oder auch Anwälte haben ihre Rufnummern in einem offiziellen Verzeichnis eingetragen, wie etwa auch der Grünen-Abgeordnete und Anwalt Hans-Christian Ströbele anmerkt.
Das Dilemma bleibt bestehen
Letztlich besteht also das bekannte Dilemma: Während die Befürworter vor allem mit Praxisbeispielen und Einzelfällen argumentieren, fehlt weiterhin der statistische Nachweis, dass die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich nötig ist. Ebenso unklar bleibt, ob der aktuelle Gesetzentwurf mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmt. Und diese Melange spiegelt sich auch in den politischen Forderungen: Vertreter von Sicherheitsbehörden fordern längere Speicherfristen und einen erweiterten Strafenkatalog, Kritiker wollen das komplette Gesetz kippen.
Die Bundesregierung hält derweil an den Plänen fest und die Abgeordneten der Regierungsparteien sind mit dem Entwurf offensichtlich zufrieden. Beispielhaft steht dafür die Aussage des SPD-Abgeordneten Christian Flechner, der laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org erklärte: „Alle kritisieren, also sehr ausgewogener Entwurf.“ Dass aber noch zahlreiche Ungereimtheiten bestehen, verdeutlicht etwa der Umgang mit den Berufsgeheimnisträgern. Aufgrund der vagen Formulierungen im Gesetz ist ebenfalls noch fraglich, welche Behörde nun wann auf die Datenbestände zugreifen kann. Das betrifft insbesondere die Geheimdienste, wie zuletzt Zeit Online berichtet hat.
Nichtsdestotrotz soll das Gesetz nun im Oktober vom Bundestag beschlossen werden. Eigentlich war bereits der September angepeilt worden, doch Vorbehalte der EU haben den Ablauf verzögert. Trotz einer längeren Mängelliste will sich die EU-Kommission jedoch nicht in den Streit einmischen. Man sei weder für, noch gegen die Vorratsdatenspeicherung, heißt es in einer Mitteilung. Denn: „Wir haben deutlich klargemacht, dass die Kommission keine neuen Initiativen zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg bringen wird. Wo es keine EU-Regeln gibt, bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, ihre Systeme zur Vorratsdatenspeicherung zu behalten oder neue aufzusetzen.“ Und solange das deutsche Gesetz nicht gegen das EU-Recht verstößt, sei das Vorhaben legitim. Daher plane die EU-Kommission derzeit auch nicht, eine Klage gegen die Bundesregierung einzuleiten.