EU-Parlament: Netzneutralität steht vor dem Aus
Ein harter Schlag für Befürworter der Netzneutralität in Europa, denn das EU-Parlament hat den umstrittenen Kompromiss des Telekommunikationspakets abgesegnet – und zwar ohne Änderung. Kritiker befürchten nun, dass aufgrund der zahlreichen Lücken und vagen Formulierungen im Gesetz ein Zwei-Klassen-Internet droht.
Offenes Internet mit vielen Ausnahmen
Grundsätzlich soll das offene Internet mit dem aktuellen Gesetz abgesichert werden. Das Problem ist allerdings: Es existieren zahlreiche Lücken wie etwa die Ausnahmen für Spezialdienste – die sogenannten Überholspuren. Diese sollen Provider zwar nur anbieten können, wenn das offene Internet nicht beeinträchtigt wird. Doch die vagen Formulierungen im Gesetzestext lassen viel Spielraum. Und nach wie vor ist völlig unklar, wie diese Spezialdienste in der Praxis aussehen sollen.
Umstritten ist zudem die Zero-Rating-Regelung, die es Providern ermöglicht, den Traffic von bestimmten Internetdiensten nicht auf begrenzte Datenkontingente anzurechnen. Ebenfalls vage sind die Ausnahmen für das Verkehrsmanagement. Demnach dürfen Provider den Datenverkehr steuern, wenn eine Netzüberlastung droht. Wie weit diese Eingriffe gehen können, lässt sich bis dato aber kaum prognostizieren.
Viele Befürworter der Netzneutralität befürchten nun, dass mit all diesen Ausnahmen ein Zwei-Klassen-Internet droht. Zumal die vagen Vorgaben zur Netzneutralität nicht nur das offene Internet gefährden würden. Mit der aktuellen Verordnung werden Anreize für die Provider geschaffen, um nicht in einen großflächigen Breitbandausbau zu investieren, erklärt etwa die Abgeordnete Julia Reda, die für die deutsche Piratenpartei im EU-Parlament sitzt. Problematisch ist zudem, dass der aktuelle Entwurf keine klare Definition für die Netzneutralität beinhaltet. Sabine Verheyen von der konservativen EVP-Fraktion kritisiert zudem, dass der ursprüngliche Plan des EU-Parlaments vom EU-Rat aufgeweicht worden ist. Denn die Vertreter würden den Begriff Netzneutralität meiden „wie der Teufel das Weihwasser“, so Verheyen.
Dass die aktuellen Vorgaben nicht ausreichen, um die Netzneutralität und damit einhergehend das offene Internet zu bewahren, wurde zuletzt von zahlreichen Bürgerrechtlern, Netzaktivisten und Internetfirmen kritisiert.
Am Wochenende erklärte etwa der Internetpionier und WWW-Mitbegründer Tim Berners-Lee in einem offenen Brief (PDF-Datei), die aktuellen Regeln würden „Innovationen, Meinungsfreiheit und Privatsphäre bedrohen und gefährden damit die Fähigkeit von Europa, in der digitalen Ökonomie zu führen“. Für striktere Vorgaben plädierten auch rund 30 Start-ups, Investoren und Internetfirmen, zu denen auch Branchengrößen wie Netflix und Reddit zählen.
Für die Gegner einer strikten Netzneutralität sind die amerikanischen Internetfirmen allerdings eines der zentralen Argumente, um die Ausnahmen in dem Gesetz zu verteidigen. Es müsse verhindert werden, dass „große amerikanische Netzkonzerne gratis unsere Infrastruktur in Europa benutzen“, lautete eine der Stellungnahmen während der Debatte im EU-Parlament. In zahlreichen Redebeträgen heißt es zudem: Die nun beschlossene Regelung sei besser als nichts.
Bei den nun beschlossenen „Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet“ handelt es sich um eine Verordnung. Das bedeutet, dass das Gesetzespaket durch die einzelnen EU-Staaten noch direkt umgesetzt werden muss. Dementsprechend besteht praktisch auch kein Spielraum, um die Ausnahmeregelungen auf nationaler Ebene wieder zu streichen.
Ende der Roaming-Gebühren
Derweil ist die Netzneutralität nicht der einzige Bestandteil des Telekom-Pakets. Denn mit der aktuellen Abstimmung wurde auch das Ende der Roaming-Gebühren bis zum 15. Juni 2017 beschlossen. Ab dann sollen europäische Mobilfunk-Kunden im EU-Ausland keine Sondergebühren für Telefonate, SMS und Datendienste mehr zahlen müssen. Die Abschaffung erfolgt schrittweise, weswegen die aktuellen Preisobergrenzen im April 2016 nochmals gesenkt werden. Dann dürfen Provider pro Gesprächsminute und ein Megabyte Datenvolumen eine Zusatzgebühr von 5 Cent erheben, während es bei SMS jeweils 2 Cent sind. Zusätzlich zu diesen Gebühren fällt allerdings noch die Mehrwertsteuer an.
Im Vergleich zu den Vorgaben zur Netzneutralität wird das Ende der Roaming-Gebühren von praktisch allen EU-Abgeordneten als Erfolg bezeichnet, von dem die Verbraucher profitieren werden und das den einheitlichen Binnenmarkt in Europa voranbringen wird. Allerdings wurde auch schon vor einigen Schlupflöchern gewarnt, die es Providern prinzipiell ermöglichen, die Zusatzgebühren künftig unter einer anderen Bezeichnung zu erheben.
Zudem bewerten Beobachter die vergleichsweise strikten Roaming-Regelung als politischen Kuhhandel: Demnach haben die Abgeordneten die Ausnahmen bei der Netzneutralität geschluckt, um das Ende der Roaming-Gebühren gegenüber dem EU-Rat durchzusetzen.