Rise of the Tomb Raider im Test: Lara Croft im Windschatten von Nathan Drake
2/4Der Teufel steckt im Detail
Der Teufel steckt also im Detail, und das nicht nur an einer einzigen Stelle. Vor allem zu Beginn des Spiels muss Crystal Dynamics in langsamer Behäbigkeit den richtigen Rhythmus finden. Nicht zu den Bewegungen passende Fußspuren im Schnee, Schübe und Stupser beim Springen und eine in Abhängigkeit des zu durchtauchenden Tümpels variierende Lungenkapazität zeugen nur zu sichtbar von den Bemühungen um Inszenierung und Dramatik.
Nach dem Tutorial, einer kurzen Rückblende im sonnigen Syrien, fängt sich Tomb Raider aber schnell. Lediglich die Verwunderung über die sich in unmöglichen Situationen von der Decke abseilenden Soldaten bleibt, die immer dann derart auftauchen, wenn das Spiel einen Kampf einbinden, aber keinen logischen Grund für die Präsenz bewaffneten Personals erfinden will.
Die Geschichte lässt Unstimmigkeiten vergessen
Derlei Unachtsamkeiten werden zu kleinen Details, sobald die Geschichte Fahrt aufnimmt: In den Bergen Sibiriens entwickelt sich ein spannendes Rennen mit einer finsteren Geheimorganisation zur Quelle unendlicher Macht, die durch die Ruinen mehr als einer Zivilisation führt.
Zusammen mit dem Setting wechselt auch die Erzählung, weg von einem Überlebenskampfes, der nach den ersten Minuten inhaltlich und, dank Ressourcen-Überfluss, nur mehr eine Entschuldigung für das Crafting-System ist, hin zu einem Schlagabtausch zwischen Held und Antagonist, der den programmatischen Namen Konrad trägt und in Zwischensequenzen plakativ Untergebene misshandelt.
Dem Writing kann angekreidet werden, dass die Entwicklung von Lara Croft nicht in größerem Maße in einen Kontext gestellt wird. Die Erzählung versäumt es, auf die vergangenen Ereignisse einzugehen, sich eng mit dem Vorgänger zu verzahnen und die weitere Wandlung zur bekannten Figur zu betonen – wenn, dann geschieht dies vereinzelt und mit plötzlicher Wucht. Das ist eher ein Alibi.
Lara hat gelernt, sich selbst zu reflektieren
Dem Spaß am Spiel tut das keinen Abbruch. In Zwischensequenzen, aber auch in Monologen am Lagerfeuer wird eine glaubhafte Lara Croft gezeigt, die nachvollziehbar abseits typischer Klischees reagiert und sich durchaus einmal hinterfragt. Die Präsentation ist zusammen mit der Figur spürbar erwachsen geworden.
Abseits dieser Auftritte bleibt der Charakter jedoch untergeordnet und insofern ein wenig isoliert von den Geschehnissen, die Motivation einer Reise in eiskalte Regionen der Erde wirkt ein wenig bemüht, weil sie sich zu weit reduzieren lässt: Der Kampf gegen das Böse und der Wunsch, dem Vater zu folgen - das ist zumindest in der vorliegenden Form, die diese Gründe lediglich kurz anreißt, vergleichsweise flach, wird durch die Präsentation aber mehr als aufgewogen.
Damit bleiben die Entwickler auf der sicheren, konservativen Seite, bieten andererseits jedoch genug Struktur, um die Handlung interessant und den Plot für spannende Actionkost am Leben zu halten. Der neue (Ko-)Star ist ohnehin die Umgebung des Spiels.
Der Star sind die Ruinen
In gewisser Weise sind Lara Croft und der Kampf gegen „Trinity“ nur noch eine Tapete für den eigentlichen Star des Spiels: Faszinierende Orte in Kontrast zur allgegenwärtigen Moderne, die quasi bildlich übereinander geschichtet werden, sorgen in Sibiren für eine beeindruckende Atmosphäre. Dort steht ein verlassenes russisches Gulag auf antiken Ruinen im byzantinischen Stil, wo es, frei nach Lust und Laune, einiges zu entdecken gibt. Etwa byzantinische Kunstwerke oder die Lebensbedingungen in einem Lager als quasi interaktiver Museumsgang.
Dabei kommt öfter der Wunsch auf, mehr über die historischen Hintergründe in Erfahrung bringen zu können – dem Setting würde eine solche Option im Sinne gegenwärtigen „Histotainments“ durchaus zupass kommen, er drängt sich bei dieser Konzeption fast schon brutal auf und würde dem Charakter einer Archäologin zupasskommen.
Geschichte zum Anfassen, am besten alleine
Überreste und Relikte untergegangener Weltreiche in ihrer düsteren Melancholie einzufangen, gelingt Crystal Dynamics so gut wie nie zuvor. Ein Umstand, dem die neuen, vergrößerten Areale Rechnung tragen. Dort wird der Gedanke hinter der Figur Lara Croft weit besser eingefangen als mit der Story, die noch immer nicht ganz zu diesem Teil des Geschehes passen will – die Tragik liegt in dem Umstand, dass Tomb Raider gerne dann zu absoluter Spitzenform aufläuft, wenn der Spieler alleine gelassen wird und von den bisweilen unpassend überspektakulären Actionsequenzen unbehelligt seiner Wege gehen kann. In gewissem Sinne lässt sich somit festhalten, dass die Charakterentwicklung der Figur gelungenen Ausdruck im Gameplay findet.
Frei und in aller Ruhe umherzustöbern und den Geschehnissen der zurückliegenden Ereignissen Stück für Stück auf die Schliche zu kommen, entwickelt eine hervorragende Sogwirkung. Unter anderem die Flucht eines byzantinischen, angeblich unsterblichen Predigers zu begleiten, unterfüttert Erzählung und Umgebung auf natürliche Weise. Diese Anlage wird ohne Frage zum Glanzpunkt der Serie, der wunderbar zu typischen Mechaniken aktueller Open-World-Spiele passt. Der Survival-Aspekt mit ausgebautem Crafting-System tut diesem Vorgehen keinen Abbruch, im Gegenteil, wie viele kleine Mechaniken ermuntert er zum Durchstreifen der Areale.
Rohstoffe sind an sich zwar in ausreichender Menge vorhanden, das Nachspüren von Notizen oder Audio-Logs, eine in vielen Titeln deplazierte Füllmechanik, fügt sich hier nahtlos in das Setting ein. Viele bekannte Elemente werden von einer langweiligen Fleißaufgabe zu einem integralen, aber optionalen Bestandteil der Spielwelt befördert. Das Crafting- und Loot-System balanciert so fein auf der Grenze zwischen lästigem Sammeln und Belohnungen für Entdeckerdrang und ist Anreiz, ohne Zwang zu sein.
Mit manchen Mechaniken schießt Crystal Dynamics etwas über dieses Ziel hinaus. Dass sich neue Waffen nicht den kalten Händen diverser Widersacher entnehmen lassen, sondern in Form von Einzelteilen in Kisten gefunden werden müssen, dient der Mechanik sichtbar – zu unverhüllt ist an solchen Stellen der Blick in das Räderwerk des Spiels. Mit ähnlichem Vorgehen wird der Spieler auch andernorts (sinnvoll) beschränkt und die Spielwelt schrittweise geöffnet; dennoch mutet es seltsam an, erst nach dem in einer Zwischensequenz vorgeführten Auffinden eines Messers Seile durchschneiden zu können. Wie Frau Croft selbst bemerkt, könnte das Schneide-Utensil in der Tat nützlich sein, weshalb von einer erfahrenen Überlebensexpertin in der Wildnis zu erwarten wäre, bei erster Gelegenheit ein solches beschafft zu haben.
Wenn Kleinigkeiten nerven, läuft vieles richtig
In der gegenwärtigen Konzeption muss Tomb Raider deshalb beizeiten eine Antwort auf solche Brüche finden und weiter an Details feilen. Ein wenig grob eingebunden sind etwa die neuen Nebenaufgaben der sibirischen Einwohner, die nichts Erzählerisches beitragen und kaum über ein gedachtes Ausrufezeichen auf dem Haupt des Auftraggebers hinausgehen; sie erinnern ebenso wie das System zur Charakterentwicklung an ein statisches Checklisten-Feature des typischen Open-World-Spiels der Gegenwart. Obwohl sie auch in vorliegender Form unterhalten, stößt man sich immer wieder an ihrer Einbindung. Solche Kleinigkeiten zu kritisieren, ist allerdings fast schon ein Kompliment an die Spielwelt, von der ungeachtet solcher fast unvermeidlichen Kritikpunkte eine massive Faszination ausgeht.