Hacker-Kongress 32C3: Was von den Landesverrat-Ermittlungen bleibt
Die Landesverrat-Ermittlungen gegen Netzpolitik.org bestimmten im Sommer die Schlagzeilen. Mittlerweile wurde das Verfahren zwar offiziell eingestellt, doch einige Fragen sind immer noch offen, erklärt Netzpolitik.org-Autor Markus Beckedahl anlässlich eines Vortrags auf dem Hacker-Kongress 32C3.
Die Vorgeschichte der Landesverrat-Klage ist schnell erzählt: Im Februar dieses Jahres hatte Netzpolitik.org die Haushaltspläne vom Verfassungsschutz veröffentlicht, die unter anderem zeigen: Der Dienst plant eine massenhafte Auswertung von Internetinhalten. Für die ohnehin von Leaks geplagten Geheimdienste war das offenbar zu viel. Der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen erstattet Anzeige. Diese richtete sich zwar offiziell gegen Unbekannt, doch mit prominent platzierten Namen der Netzpolitik.org-Autoren Markus Beckedahl und Andre Meister war relativ klar, wen die Geheimdienstler im Auge hatten.
Was die Geheimdienstler allerdings offenkundig unterschätzt hatten, war die öffentliche Wirkung. Zu stark ist das David-gegen-Goliath-Motiv. Denn nachdem die Landesverrat-Ermittlungen gegen die Netzpolitik.org-Autoren publik wurden, startete eine Solidaritätswelle, die die Betreiber des Portals regelrecht überrollte. In den Redaktionsräumen von Netzpolitik.org rappelte das Telefon praktisch im Minutentakt, so Beckedahl. Zudem bestimmte das Thema über Tage die Schlagzeilen, selbst die klassischen Nachrichtensendungen wie Tagesschau und Heute Journal berichteten mehrmals. Hinzu kamen zahlreiche Spenden, bei Twitter wurde die IBAN-Kontonummer von Netzpolitik.org sogar zum Trending-Topic.
Dass in den Medien so viel Raum für Empörung eingeräumt wurde, lag allerdings auch am Zeitraum. Anfang August herrschte in puncto Nachrichten die typische Sommerflaute, kein Thema wie etwa die Euro- oder die Flüchtlingskrise konkurrierten mit den Landesverrat-Ermittlungen. „Wir hatten Glück, dass wir ins Sommerloch gefallen sind“, lautet daher auch das Fazit von Beckedahl.
Viele offene Fragen
Letztlich sind die Ermittlungen aber noch glimpflich verlaufen und wurden mittlerweile auch offiziell eingestellt. Einige Fragen sind aber immer noch offen. So ist etwa nach wie vor unklar, warum der Generalbundesanwalt überhaupt die Ermittlung gestartet hat, wenn offenkundig klar war, dass so ein Verfahren zu nichts führt? Da liegt nach wie vor der Verdacht nahe, dass in erster Linie die Quellen innerhalb der Sicherheitsbehörden und Ministerien eingeschüchtert werden sollten.
Ebenso erstaunlich wirkt, dass im Nachhinein niemand verantwortlich sein will. Sowohl das Justizministerium als auch das Innenministerium hatten erklärt, praktisch erst aus den Medien von den Landesverrats-Ermittlungen erfahren zu haben. An dieser Version bestehen allerdings Zweifel. Denn im Verlauf der Debatte zeigte sich, dass eigentlich das halbe Innenministerium von den Ermittlungen gewusst haben muss. Wie viel Justizminister Maas wusste, ist ebenfalls unklar. Auf alle Fälle hat sein öffentliches Scharmützel mit Generalbundesanwalt Harald Range dazu geführt, dass dieser – als praktisch einziger politischer Kollateralschaden – zurücktreten musste.
Und welche Rolle Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen im Hintergrund spielte, lässt sich auch nur erahnen. Beckedahl findet es ohnehin fragwürdig, dass deutsche Geheimdienste zwei Jahre nach den Enthüllungen von Edward Snowden in einer Art „Machbarkeitsstudie“ prüfen können, wie sich hierzulande gegen unliebsame Berichte vorgehen lässt.
Wie das Verfahren genau eingeleitet wurde, lässt sich allerdings auch nicht mit den Ermittlungsakten nachvollziehen. Diese wollten die Anwälte von Netzpolitik.org zwar einsehen, übermittelt wurden aber lediglich „frisierte Akten“, so Beckedahl. Es gab zwar Vermerke, die Gespräche zwischen Generalbundesanwalt und Verfassungsschutz protokollieren, doch die Inhalte fehlen. Ein bezeichnender Aspekt ist allerdings, dass die Ermittlungsakten mit einer noch höheren Geheimhaltungsstufe versehen sind als die Haushaltsdokumente des Verfassungsschutzes, die Netzpolitik.org Anfang des Jahres veröffentlicht hatte.
Politische Forderung: Besserer Schutz für Whistleblower und Journalisten
Eine der Kernfragen ist auch noch, welche politischen Schlüsse aus dem Landesverrat-Skandal gezogen werden. Laut Beckedahl werde zumindest eine neue Definition für Staatsgeheimnisse benötigt. Denn bis dato können Behörden praktisch willkürlich entscheiden, mit welchem Geheimhaltungsgrad ein Dokument eingestuft wird. Allerdings: „Vorgänge des Zeitgeschehens dürfen kein Staatsgeheimnis sein“, so Beckedahl. Das würde vor allem die Arbeit von Journalisten erleichtern, weil diese dann nicht vom Damoklesschwert einer Landesverrat-Klage bedroht sind. Darüber hinaus müsse die Pressefreiheit künftig für alle gelten, die journalistisch arbeiten – und nicht nur die, die damit Geld verdienen. Ebenso müsse in Deutschland endlich für einen rechtlichen Schutz von Whistleblowern gesorgt werden. Und damit Journalisten ihre Quellen effektiv absichern können, müsse auch die Vorratsdatenspeicherung inklusive des Datenhehlerei-Paragraphen wieder abgeschafft werden.