Bilanz: Ein halbes Jahr Windows 10
2/3Aufregung um Kopier- und Datenschutz
Nach dem holprigen Start beherrschte Kritik über Wochen die Schlagzeilen zum neuen Windows. Den Anfang machten massive Probleme mit älteren Spielen, die sich – von Microsoft im Vorfeld ebenfalls nicht kommentiert – als Probleme mit dem Kopierschutz Safedisc herausstellten, den Microsoft in Windows 10 aus Sicherheitsgründen nicht mehr unterstützt. Der Grund war nachvollziehbar, Microsofts schroffes Vorgehen wenig kundenorientiert. Nicht einmal die Titel aus eigenem Haus wurden mit einem Update bedacht, um das Problem legal zu lösen. Dabei stellt sich der Kopierschutz in der Regel als einzige Hürde heraus, die älteren Titeln die Zusammenarbeit mit Windows 10 untersagt – ComputerBase hat das im Selbstversuch an 150 Titeln getestet.
Für heftige Kritik, nicht nur bei Spielern, sorgte parallel das erweiterte Sammeln von Daten unter Windows 10. Die umfangreichen Einstellungsmöglichkeiten, die Datenschützer vereinzelt ausdrücklich lobten, waren dabei Segen und Fluch zugleich: Mit über elf Menüs machten sie jedem Anwender anschaulich, wie viele Daten Windows 10 sammelt und auch sendet, bevor es untersagt wird. Nicht abschalten lässt sich bis heute hingegen das Sammeln von Telemetriedaten. Für Windows 7 und Windows 8.1 stehen dieselben Funktionen mittlerweile als optionales Update bereit.
Auch hier stellte sich Microsofts Ansatz, die überbordende Kritik mit dem persönlichen Betriebssystem und den weitreichenden Einstellungsmöglichkeiten relativieren zu wollen, als Katalysator heraus. Dass Windows 10 im Schatten der Enthüllungen um die NSA-Affäre erschien, war für Microsoft ein schweres Los, zum eigenen Vorteil konnte der Konzern die Diskussion bis heute nicht wenden.
Experten fordern mehr Transparenz und mehr Dialog
Das ist umso ärgerlicher, weil die Big-Data-Strategie immer noch Fragen aufwirft. „Da ist noch erheblicher Erklärungsbedarf, welche Daten – unter welchen rechtlichen Bedingungen – von Microsoft übertragen werden“, sagt etwa der Berliner Informatikprofessor Rüdiger Weis im Gespräch mit ComputerBase. Denn mittlerweile ist auch entscheidend, an welchem Ort die Nutzerdaten gespeichert werden. Ein Punkt, der spätestens seit dem Safe-Harbor-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) relevant ist.
Weis begrüßt daher, dass Microsoft mit T-Systems zusammenarbeitet, um Rechenzentren in Deutschland zu betreiben. T-Systems agiert dabei als eine Art Treuhänder, der die Daten vor dem Zugriff von ausländischen Behörden sichern soll. Dass dieser Service bislang nur für Geschäftskunden geplant ist, geht Weis aber nicht weit genug: „Es sollte ein Angebot geben, das diesen erweiterten rechtlichen Schutz auch für Privatanwender bereitstellt.“
Ein Kritikpunkt ist zudem die „Menge an Rechten“, die Microsoft einfordert. Denn der Kontrollverlust betrifft nicht nur die Nutzerdaten, die in der Cloud gesammelt werden. Sondern auch die Daten, die Windows 10 auf dem Rechner einspielt – etwa in Form von Windows-Updates. Dass diese „oftmals viele Fehler produzieren“, hat Weis bereits bei einem Vortrag auf dem Hacker-Kongress 32C3 ausführlich geschildert.
Das „Zwangsupdate“ kommt vor Gericht
Kopier- und Datenschutz betreffen die, die auf Windows 10 wechseln wollen oder gewechselt sind, ein weiteres Thema verhärtete die Fronten zwischen Microsoft und denjenigen, die bei Windows 7 oder Windows 8(.1) bleiben wollen: Ob ohne Vorwarnung heruntergeladene Dateien für das Upgrade, wiederkehrende Update-Hinweise oder das Verteilen des Upgrades zum Patchday (laut Microsoft ein Fehler), der Konzern gab und gibt sich alle Mühe, Anwendern wieder und wieder die Möglichkeit zum Wechsel aufzuzeigen. In diesem Jahr soll das Upgrade zum empfohlenen Update im Rahmen der monatlichen Patchdays werden. Der nächste #Shitstorm ist vorprogrammiert, der automatisierte Download der Installation vom Verbraucherschutz zum Thema für die Gerichte gemacht.
In Foren finden sich seit Monaten Anleitungen, wie durch das Unterdrücken bestimmter Updates oder Änderungen in der Windows-Registry auf Hinweise in der Taskleiste verzichtet werden kann. Am Ende ist dieses Katz-und-Maus-Spiel das Resultat der Zwickmühle, in der Microsoft sitzt: Viele Anwender sehen in der heutigen Zeit keinen Grund zum Wechsel, das gefährdet die Zielsetzung des Konzerns. Anwender wiederum wissen, dass irgendwann der Zeitpunkt zum Umstieg kommen wird und gehen umso vehementer gegen die unbeliebten und aktuell noch ausschlagbaren Offerten vor. Der Support für Windows 7 endet im Jahr 2020.
DirectX 12 und Windows Hello starten verhalten
Über die persönliche Einschätzung potentieller Vorteile von Windows 10 und deren Abwägung im Vergleich mit den Nachteilen lässt sich kein pauschales Urteil fällen. Unstrittig ist allerdings, dass einige der wesentlichen beworbenen Neuigkeiten heute noch nicht relevant sind. Mit DirectX 12 hält Microsoft als exklusive API potentiell ein schwergewichtiges Argument gegenüber den vielen Spielern mit Windows 7 in der Hand, Titel auf Basis der neuen API gibt es aber noch nicht – und die, die angekündigt sind, verschieben sich immer weiter.
Auch Windows Hello, das auf dem Surface Pro 4 mit der Erkennung des Gesichts für ein Aha-Erlebnis sorgt, ist am Markt bisher nur verhalten vertreten. Zur IFA im September, auf der Microsoft erstmals zur Keynote lud, um neue Endgeräte der Partner vorzustellen, enttäuschte das angekündigte Produktportfolio auf ganzer Linie. Erst zur CES 2016 Anfang Januar gab es mehr Bewegung. Dass Windows 10 dem Markt für PCs und Notebooks im vergangenen Jahr nicht zum Aufschwung verholfen hat, begründen die Marktforscher von Gartner und IDC in erster Linie mit diesem Punkt.
Ein weiterer Hemmschuh bleibt Windows für Smartphones. Wie angekündigt ist Windows 10 Mobile noch Ende 2015 erschienen, bisher allerdings nur für die neuen Endgeräte Lumia 950 und Lumia 950 XL sowie Lumia 550. Die ohnehin schon kleine Basis an Smartphones mit Windows Phone wird dadurch weiter eingebremst und lässt den geräteübergreifenden Charakter von Windows 10 nicht in Erscheinung treten. Windows 10 ist das erste Windows für alle Geräteklassen, zum Einsatz kommt es dort bisweilen noch nicht.