Big Brother Awards 2016: Berliner Verkehrsbetriebe erhalten Überwachungsoscar
Der Big Brother Award im Bereich Technik ging in diesem Jahr an die Berliner Verkehrsbetriebe für die VBB Fahrcard, mit der heimlich Informationen über die Fahrten der Besitzer gesammelt wurden. Darüber hinaus erhielt der Verfassungsschutz eine Auszeichnung für das Lebenswerk.
Bei den Big Brother Awards handelt es sich um einen Negativpreis von dem Verein Digitalcourage, der seit dem Jahr 2000 jährlich verliehen wird, um Datensünder aus Politik und Wirtschaft zu prämieren. So soll aufgezeigt werden, wie die Privatsphäre von Menschen nachhaltig beeinträchtigt oder persönliche Daten an Dritte weitergereicht werden.
Berliner Verkehrsbetriebe sammeln heimlich Bewegungsdaten von Fahrgästen
Und unter diese Kategorie fallen auch die Berliner Verkehrsbetriebe, die den Award im Bereich Technik eingeheimst haben. Denn diese haben mit der VBB Fahrcard eine kostenlose Chipkarte mit NFC-Technik herausgegeben, die per se Fahrgastkontrollen erleichtern soll. Der Haken ist nun: Die Karte speichert nicht nur, ob die Person über einen gültigen Fahrschein verfügt, sondern erfasst darüber hinaus noch Datum, Uhrzeit, Buslinie und Haltestelle. Es ist also möglich, Bewegungsprofile von Personen zu erstellen. Bewegungsprofile, die nicht nur die Verkehrsbetriebe, sondern auch Dritte mit einem relativ günstigen Equipment auslesen können.
Aufgedeckt wurde das Datenleck vom Berliner Fahrgastverband IGEB und Golem im Dezember 2015. Denn die Berliner Verkehrsbetriebe hatten zunächst erklärt, dass es technisch überhaupt nicht möglich sei, Bewegungsdaten auf der Chipkarte zu erfassen. Erst infolge der Recherchen räumte man ein, dass die entsprechende Funktion implementiert wurde. Angeblich war aber der Hersteller der Chipkarten verantwortlich. Und von einem Datenleck wollten die Berliner Verkehrsbetriebe auch nicht sprechen.
Nichtsdestotrotz: Wegen dem heimlichen Datensammeln und der Informationspolitik gibt es den Big Brother Award.
Lebenswerk-Award für den Verfassungsschutz
Ausgezeichnet für das Lebenswerk wurde derweil der Verfassungsschutz. Die Gründe sind vielfältig und reichen vom unkontrollierten Überwachen bis zum Unterwandern, Täuschen und Vertuschen. Die Laudatio bezieht sich dabei auf die Skandalgeschichte des Geheimdienstes, die etwa das „unkontrollierbare V-Leute-System“ in der Neonazi-Szene samt den Verschleierungstaktiken gegenüber der Aufklärung in den parlamentarischen Kontrollgremien umfasst.
Bezug genommen wird aber auch auf die NSA-Enthüllungen. Einer der Vorwürfe lautet: Der Verfassungsschutz habe es seit Jahren versäumt, die „Bevölkerung, Firmen und Bundesregierung vor Spionage-Attacken etwa des US-Geheimdienstes NSA zu schützen, obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet ist“. Stattdessen gebe es eine Kooperation: Der Verfassungsschutz darf XKeyscore nutzen und übermittelt dafür Informationen an die NSA. Laut den Befragungen im NSA-Ausschuss läuft die Spionage-Software aber noch in einer Betaphase.
Zu den weiteren Kritikpunkten zählen noch die Überwachungsaktivitäten in den sozialen Netzwerken: So hatte Netzpolitik.org 2015 berichtet, dass es dem Verfassungsschutz künftig ermöglicht werden soll, soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter systematisch auszuforschen. Die Enthüllung der entsprechenden Haushaltspläne hatte dann auch zur Landesverrat-Klage gegen das Online-Portal geführt.
Weitere Preisträger: Change.org, Generali Versicherung und IBM
Zusätzlich gab es noch einige weitere Awards:
- Wirtschaft: Im Bereich Wirtschaft wurde Change.org prämiert, weil die Kampagnen-Plattform personenbezogene Daten von Nutzern sammelt, die Petitionen unterzeichnen. Die Datenberge werden dann für wirtschaftliche Zwecke ausgewertet.
- Verbraucherschutz: In diesem Bereich wurde die Generali Versicherung ausgezeichnet, weil es Boni für bestimmte Produkte gibt, wenn die Versicherten ihre Fitness-Daten an die Firma übermitteln.
- Arbeitswelt: IBM Deutschland wurde in dieser Kategorie für das firmeninterne „Social Dashboard“ prämiert. Es handelt sich dabei um eine Art soziales Netzwerk samt Punktesystem, das die „soziale Reputation“ der Mitarbeiter/innen analysiert.
Lob für europäische Datenschutzreform
Bei der diesjährigen Veranstaltung gab es aber nicht nur Kritik, sondern auch ein explizites Lob: Das erhielt der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht, der als Berichterstatter des EU-Parlaments eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der EU-Datenschutzreform hatte. So heißt es in der Laudatio: „Durch sein Bestreben und die Arbeit seines Teams ist nun eine Harmonisierung des Datenschutzes in Europa in greifbare Nähe gerückt.“ Und selbst wenn noch zahlreiche Details offen sind, wurden viele Forderungen der Datenschützer und Bürgerrechtler umgesetzt.