Neues BND-Gesetz: Zwischen legalisierter Überwachung und Kontrolle
Um die Reform für die Überwachungsmaschinerie des Bundesnachrichtendienstes (BND) wird seit geraumer Zeit gestritten. Die Bundesregierung hat mittlerweile einen Entwurf vorgelegt, den Kritiker allerdings als „Legalisierung der BND-Überwachung“ bezeichnen. Am Freitag wurde das neue Gesetz erstmals im Bundestag diskutiert.
Keine Ketten für den BND
Offiziell angekündigt wurde das neue BND-Gesetz bereits Ende Juni. Damals hatte sich das Bundeskabinett auf den Entwurf verständigt. In einer ersten Lesung wurde das Gesetz nun im Bundestag beraten, damit es im Herbst beschlossen werden kann. In Kraft treten soll es dann ab dem 1. Januar 2017. Das Ziel der Bundesregierung gibt Kanzleramtsminister Peter Altmaier vor. Während der Debatte im Parlament erklärte er: „Wir wollen die Arbeit des BND gerade nicht einschränken. Wir wollen aber diese Arbeit auf eine klare und für Jedermann nachvollziehbare rechtliche Grundlage stellen.“
Altmaier bezieht sich in diesem Kontext auf die sogenannte „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ – einen der zentralen Punkte in dem Gesetz, der regelt, unter welchen Bedingungen der BND im Ausland überwachen darf. Es geht dabei um die Massenüberwachung, also das Anzapfen von globalen Glasfaserleitungen und das Filtern der Kommunikationsströme mit Suchbegriffen (Selektoren).
Massenüberwachung wird legalisiert
Das Problem ist nun laut der Analyse von Netzpolitik.org, das den vollständigen Entwurf des Gesetzes schon vor einigen Wochen veröffentlicht hatte: Bis dato durfte der BND bei einem Glasfaserkabel nur 20 Prozent der Kapazitäten überwachen. Diese Regelung ist nun hinfällig, der deutsche Geheimdienst erhält das Recht für einen sogenannten „Full take“ – Glasfaserkabel können bei Bedarf also vollständig erfasst werden.
Zudem erhält der BND nun auch offiziell das Recht, die Kabel innerhalb von Deutschland – also etwa am Frankfurter Internetknotenpunkt DE-CIX – anzuzapfen, um ausländische Kommunikation abzuhören. Entsprechende Operationen gab es auch schon zuvor, begründet wurde das aber mit der juristischen Einstufung, dass die Kabel in Deutschland als „virtuelles Ausland“ definiert wurden.
Die Bundesregierung rechtfertigt diese Schritte mit den Kapazitäten des Geheimdienstes. Beschränkungen wären nicht nötig, weil ohnehin nur ein sehr geringer Anteil der weltweiten Kommunikation erfasst werden können. Klaus Landefeld, Vorstand beim Internetwirtschaftsverband eco und Muttergesellschaft vom DE-CIX, sieht das aber völlig anders. „Das ist ein Freifahrtschein für die Komplettüberwachung des Internets“, erklärte er gegenüber Heise Online. Mit dem Gesetz würde praktisch „eine Wunschliste“ des BND umgesetzt, damit dieser im Kern wie die NSA agieren könne.
Strikte Vorgaben oder juristischer Freifahrtschein?
Dass die Überwachungsmaschinerie des BND keine Grenzen kennt, ist einer der Vorwürfe, den Vertreter der Bundesregierung stets zurückweisen. Wie gehabt dürfe der BND etwa nur in bestimmten Bereichen wie Terrorismus, Waffenhandel und Cyber-Gefahren tätig werden. Verwiesen wird außerdem noch auf die neuen Ausnahmeregeln für Europa. Diese gelten sowohl für EU-Bürger als auch EU-Institutionen und Einrichtungen von befreundeten Staaten. Ebenso werde Wirtschaftsspionage grundsätzlich untersagt.
Der Haken ist nun: Sobald es nicht mehr um Deutschland oder die EU gibt, hat der BND enorme Freiheiten. So wird die Überwachung etwa legitimiert, um „die Handlungsfähigkeit der BRD zu wahren“ und „Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ zu erlangen.
Angesichts solcher vagen Formulierungen erklärt der Linken-Abgeordnete André Hahn im Bundestag: „Darunter kann man alles und nichts verstehen und jeden Einsatz begründen.“ Ebenso kritisiert er, dass Nichtregierungsorganisationen außerhalb der EU praktisch Freiwild sind. Dasselbe gilt für ausländische Journalisten. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, erklärt in einer Stellungnahme: „Bisher findet sich in jedem deutschen Überwachungsgesetz eine Ausnahmeregel für Journalisten. Im neuen BND-Gesetz aber ist an keiner einzigen Stelle ein Hinweis darauf zu finden, dass Journalisten nicht ausgespäht werden dürfen.“
Theoretisch sei es nun also möglich, dass der BND etwa die Journalisten der New York Times überwacht, wenn diese vertrauliche Gespräche mit Politikern über die Außen- und Verteidigungspolitik ihres Landes führen. Mit dem neuen BND-Gesetz werde also die ohnehin „schwammige Rechtslage“ nicht verbessert. Stattdessen sei die Bundesregierung dabei, eine „schwerwiegende Verletzung des Grundrechtes auf Meinungs- und Pressefreiheit zu legalisieren“.
Solche Punkte bewerten auch Juristen mit Skepsis. Der Strafrechtler Nikolaos Gazeas erklärt etwa auf Anfrage von Spiegel Online: „In seiner Gesamtheit erscheint mir der Entwurf zu unbestimmt, weshalb ich stark an seiner Verfassungsmäßigkeit zweifele.“
Ein viertes Kontrollgremium
Einer der Vorwürfe, die vor allem infolge der NSA-Enthüllungen und des Selektoren-Skandals immer wieder aufkamen: Die parlamentarischen Kontrollgremien können den BND kaum in Zaum halten. Zu zerstückelt ist die Aufgabenteilung, zu abhängig sind die Abgeordneten von den Informationen, die der Geheimdienst bereitstellt. Die Bundesregierung reagiert nun, indem ein viertes Kontrollgremium geschaffen wird. Bestehend aus zwei Richtern vom Bundesgerichtshof und einem Bundesanwalt vom Bundesgerichtshof, soll es künftig die „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ prüfen. Das Ziel der Maßnahme ist es, das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde zu stärken.
Von Vertretern der Regierungsparteien wird das neue Gremium als gelungene Maßnahme bezeichnet. Die Opposition bewertet die neuen Kontrolleure hingegen als Versuch, das Parlament auszuhebeln. Dass die Mitglieder direkt vom Kanzleramt ernannt werden, lasse darüber hinaus Zweifel an der Unabhängigkeit aufkommen, kritisiert etwa der Linken-Abgeordnete André Hahn. Im Kern werde es nun also noch komplizierter werden, als es ohnehin schon der Fall sei.
Zwischen Kontrolle und Überwachung
Trotz aller Kritik: Die Vertreter der Regierungsparteien von CDU/CSU und SPD sind mit dem neuen BND-Gesetz äußerst zufrieden. Das Gesetz sei „ein klares Bekenntnis für die gute Arbeit des BND“, erklärte der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg. Deswegen werde der BND auch „bewusst nicht an die Kette gelegt“, sondern klare Regeln geschaffen. Ohnehin gelte: Mit Blick auf Aufgaben wie dem internationale Terrorismus, Extremismus von Links und Rechts sowie die Cyber-Sicherheit wäre ein „starker Nachrichtendienst“ schlicht erforderlich.
Der Standpunkt der Opposition lautet hingegen: Der Erkenntnisse aus der Prä-Snowden-Ära und dem NSA-Ausschuss bleiben außen vor. „Die eigentliche Kernfrage für die digitale Gesellschaft, das eigentliche Kernproblem, das ist der Grundrechtschutz im Internet“, so der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. Mit dem neuen BND-Gesetz verweigere sich die Bundesregierung aber solchen Fragen. Klaren Grenzen gebe es immer noch nicht, stattdessen würden mit dem Gesetz sämtliche BND-Aktivitäten legalisiert, die bislang umstritten sind und in Grauzonen stattfinden. Daher haben die Oppositionsparteien – ebenso wie einige Juristen – auch erhebliche Zweifel, ob das neue BND-Gesetz tatsächlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist.