Teilautomatisiertes Fahren: 2.000 km mit E‑Klasse und Drive Pilot von Mercedes-Benz

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Nicolas La Rocco
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Lenk-Pilot mit Hands-on-Detektion

Der Lenk-Pilot ist neben der Distronic das zweite Hauptmerkmal des Drive Pilot. Während die Distronic Gas und Bremse übernimmt, ist es beim Drive Pilot das Lenkrad. Bei dem Assistenten handelt es sich trotz des Wortes „Pilot“ im Namen um eine Lenkunterstützung und nicht um eine autonome Lenkung, die auf Eingriffe durch den Fahrer verzichten kann – jedenfalls nicht vollständig. Denn mit dem Lenk-Pilot lassen sich durchaus kürzere Strecken fahren, ohne selbst lenken oder gar das Lenkrad in der Hand halten zu müssen. In dieser Form vorgesehen ist das so aber nicht unbedingt.

Gratwanderung zwischen Technologie und Gesetzgebung

Schon alleine die offizielle Produktbeschreibung des Lenk-Pilot zeigt, dass Mercedes-Benz auf Gratwanderung zwischen Technologie und Gesetzgebung ist. Dort heißt es:

Der Drive Pilot ist trotz aktiver Längs- und Querführung mit gesteigerter Leistungsfähigkeit der Lenkunterstützung weiterhin als teilautomatisiertes Assistenzsystem konzipiert, bei dem der Fahrer die Hände noch am Lenkrad halten muss. Das ist einerseits eine technische Notwendigkeit, andererseits erfordern dies die gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Produktbeschreibung von Mercedes-Benz

Dass nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die Technik noch ein einschränkender Faktor ist, stimmt genau gesehen zwar, bezieht sich aber nur auf die eingesetzte Software – das sagt sogar Mercedes-Benz selbst. Denn nach einem Software-Update kann die E-Klasse ohne Veränderungen an der Hardware auch autonom fahren. Das hatte Mercedes-Benz im Januar dieses Jahres zur CES 2016 angekündigt.

Hands-on-Detektion für den Gesetzgeber

Das Lenkrad der E-Klasse verfügt über eine Hands-on-Detektion und meckert durch einen visuellen Hinweis und später auch akustisch, dass doch bitte wieder die Hände an das Lenkrad gelegt werden sollten. Der Lenk-Pilot ist dafür gedacht, den Fahrer beim Lenken zu unterstützen, indem die Spur durch aktives Mitlenken gehalten wird. Das System gleicht kleinere Unachtsamkeiten des Fahrers aus, damit sich das Fahrzeug möglichst immer zentral auf der eigenen Spur befindet. Das macht sich im Alltag durch minimale Bewegungen des Lenkrads bemerkbar, die den Fahrer tatsächlich unterstützen und nicht als nerviges Einmischen in den eigenen Fahrstil empfunden werden.

Die Hands-on-Detektion erlaubt für kurze Teilbereiche aber auch das Loslassen des Lenkrads. Je nachdem, wie schnell das Auto fährt und um was für einen Kurvenradius es sich handelt, funktioniert das ausgesprochen gut oder endet potenziell in einem Unfall. Denn das System ist nicht sonderlich vorhersehbar und wird spürbar durch die Gesetzgebung in seiner Funktion eingeschränkt. Als Fahrer spürt man förmlich, dass dem Lenk-Pilot Fesseln angelegt sind. Er könnte so viel mehr, wenn er nur dürfte.

Längs- und Querunterstützung sind die zwei Hauptfunktionen
Längs- und Querunterstützung sind die zwei Hauptfunktionen (Bild: Mercedes-Benz)

Ohne Hände am Lenkrad, bis es bimmelt

Mit dem Drive Pilot startet auch der Lenk-Pilot, der beim Lenken unterstützt. Das signalisiert ein kleines grün leuchtendes Lenkrad im Kombiinstrument vor dem Fahrer. Wird das Lenkrad losgelassen, können weite Kurvenradien ohne Hände am Lenkrad autonom von der E-Klasse gefahren werden. Je enger der Kurvenradius und je höher die Geschwindigkeit, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Lenk-Pilot den Lenkvorgang ohne Eingriffe des Fahrers selbstständig übernehmen kann. Ob das bevorstehende Fahrmanöver gelingt, ist durch den Fahrer aber nicht im Voraus erkennbar.

Deshalb ist es offiziell nicht von Mercedes-Benz vorgesehen, die Hände bei aktivem Lenk-Pilot vom Lenkrad zu nehmen. Das Problem an dieser Auslegung ist jedoch, dass es zum einen dem Fahrer dennoch ermöglicht wird, die Hände für kurze Zeit vom Lenkrad zu nehmen, und zum anderen, dass er nicht sofort erkennen kann, wann er dies besser sein lassen sollte.

Werden die Hände vom Lenkrad genommen und ist der Kurvenradius nicht zu eng, hält die E-Klasse die Spur und nimmt die Kurve zuverlässig, ohne sie zu verlassen. Das funktioniert auf Basis von Fahrbahnmarkierungen und auch von Schwarmintelligenz, wenn sich das Auto an den Fahrrichtungen der anderen Verkehrsteilnehmer orientiert. Erst nach gewisser Zeit, die nicht genau definiert ist, aber im Regelfall bei circa 30 Sekunden liegt, erscheint im Kombiinstrument ein Hinweis, das Lenkrad wieder in die Hand zu nehmen. Wird der visuelle Hinweis missachtet, kommt es kurze Zeit später zusätzlich zu einem akustischen Hinweis.

Ultima Ratio: Stopp auf der Autobahn mit Warnblinker

In der nächsten Stufe, die aus Sicherheitsgründen im Test aber nicht ausprobiert wurde, reduziert das Fahrzeug selbstständig die Geschwindigkeit bis zum vollständigen Stillstand und aktiviert zusätzlich den Warnblinker. Diesen Vorgang führt die E-Klasse als Ultima Ratio auch auf der Autobahn durch. Im Notfall erscheint es logisch, das Auto zu stoppen, anstatt bis zum leeren Tank oder Unfall im teilautonomen Modus zu verharren.

Der aktive Nothalt-Assistent bremst im Ernstfall bis zum Stillstand
Der aktive Nothalt-Assistent bremst im Ernstfall bis zum Stillstand (Bild: Mercedes-Benz)

Spurwechsel ohne manuelles Lenken

Der Lenk-Pilot hält aber nicht nur die Spur, sondern erlaubt mit einem kurzen manuellen Eingriff auch den Spurwechsel. Mercedes-Benz spricht hierbei von einem aktiven Spurwechsel-Assistent. Um ihn auszuführen, muss für mindestens zwei Sekunden der Blinker betätigt werden, woraufhin das Fahrzeug überprüft, ob in die gewünschte Fahrtrichtung genug Freiraum für einen Spurwechsel vorhanden ist. Fernbereichsradar und Stereokamera überwachen dabei den Bereich vor dem Fahrzeug, Multi-Mode-Radare kontrollieren ständig den Bereich nach hinten und zur Seite.

Aktiver Spurwechsel-Assistent
Aktiver Spurwechsel-Assistent (Bild: Mercedes-Benz)

Sind alle Bedingungen für einen Spurwechsel erfüllt, führt das Fahrzeug diesen anschließend automatisch ohne eigenes Lenken aus und hält fortan auf der neu gewählten Spur Kurs und Abstand über Lenk-Pilot und Distronic. Der Spurwechsel-Assistent funktioniert bei einer Geschwindigkeit zwischen 80 und 180 km/h und nur auf vom Navigationssystem erkannten mehrspurigen, autobahnähnlichen Straßen.