Deus Ex: Mankind Divided im Test: Intelligenter Stealth-Shooter am Puls der Zeit

 3/4
Max Doll
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Spielen, wie man will

All das führt dazu, dass das neue Deus Ex als kritischer Kommentar nicht so gut funktioniert, wie man es erwarten könnte, sondern eher auf einer subtilen Ebene wirkt. Die Hauptgeschichte folgt zwar dem alten „cui bono“ guter Verschwörungstheorien und stellt immer wieder vor interessante Entscheidungen, die nicht so sehr als solche markiert werden und deshalb an Gewicht gewinnen, lässt sich aber trefflich ignorieren. Sie wird nicht einmal befriedigend beendet, was eine Fortsetzung der Serie Gewissheit werden lässt, und verblasst im Vergleich mit den Nebenaufgaben.

Große Freiheiten locken

Hier stellen die Entwickler vor kreativere Herausforderungen, womit ein zentraler Reiz von Deus Ex benannt wurde: Spaß macht das Spiel, weil es kreativ werden lässt. Obwohl Prag nicht vollständig offen ist, wird eine Unzahl Freiheiten im Bereich des Gameplays gewährt. Dank des exzellenten Leveldesigns eröffnen sich unzählige Optionen für verschiedene Spielstile, gewaltlose und gewaltfreie, laute und leise sowie solche, die erst durch bestimmte Augmentationen eröffnet werden.

Adam Jensen ist technisch schließlich in jeder Hinsicht überlegen, kann sich tarnen, verfügt über eingebaute Panzerung, wird extrem zielsicher, hackt – er kann Straßensperren umgehen, in Kontrollräume schleichen und sich jederzeit seinen Weg auf beliebige Art erzwingen. Das gilt nicht nur räumlich begrenzt, sondern grundsätzlich und für die stets größeren Bereiche. Die räumlich überschaubaren Areale anderer Titel werden hier wesentlich weiter gedacht: Statt ein Appartment nur von vorne oder durch einen Lüftungsschacht betreten zu können, wird das Vorgehen mit unzähligen Optionen teils für ganze Wohnblöcke freigestellt.

Schleichen macht am meisten Spaß
Schleichen macht am meisten Spaß

Baukasten? Trotzdem spannend!

Dass bisweilen ein wenig offensichtlich mit Baukastenelementen, den typischen brüchigen Wänden, hinter Kisten versteckten Türen, Gas und Schlössern gearbeitet wird, will selten überhaupt auffallen. Die unglaubliche Vielfalt der Vorgehensweisen entschädigt vollumfänglich. Oft verlässt Jensen ein Gebiet auf einem völlig anderen Weg, als er es betreten hatte, einfach weil eine neue Route ins Auge gefallen ist. Übergänge zwischen Spielstilen verlaufen fließend, wie gehabt gibt es keinen definitiven „Schleich-“ oder „Schießweg“. Alles erscheint von jedem Winkel aus möglich.

Die daraus entstehende Entscheidungsdichte hält das Interesse hoch. Ein neues Bauteil aus den Klauen eines Mafiapaten zu befreien, funktioniert folglich auf mehrere Arten. Jensen darf sowohl den pazifistischen Langfinger als auch den gedankenlosen Terminator spielen. Alternativ kann einfach ein Gespräch geführt werden, wenn der Spieler denn den Versuch wagt. Exploration unterhält zudem auch abseits fester Missionsziele.

Man kann sich etwa unbemerkt improvisiert in Appartements oder den Tresor einer Bank schleichen und das Unternehmen um erhebliche Werte erleichtern, vorbei an Robotern, Kameras und Personal – ein unglaublich befriedigendes Gefühl. Dabei entsteht beiläufig der Eindruck, dass Kreativität meist belohnt wird, weil keine Lösungen vorgegeben werden. Spielerisch schafft Deus Ex damit einen beeindruckenden Sandkasten, der, je nach Gründlichkeit der Exploration, rund 20 bis 30 Stunden lang glänzend unterhält.

Wer schießt, spielt einen Deckungsshooter
Wer schießt, spielt einen Deckungsshooter

Technik hilft nur

Welche Augmentierungen Jensen freischaltet, bleibt weiterhin eine Geschmacksfrage. Nicht jede erscheint, wie die Option, die Positionen von bis zu 60 Gegnern im HUD zu markieren, wirklich sinnvoll, nichts ist aber wirklich verpflichtend. Es eröffnen sich nur neue Routen und Optionen. Selbst das Hacken ist zwar praktisch, aber kein Pflichtzweig. Hilfsprogramme und Multiwerkzeuge, die jedes elektronische Gerät knacken, helfen in diesem Fall aus. Auch kurzzeitig durch Wände schauen oder sich tarnen zu können, reicht nur, um einen Plan zu fassen oder aus einer brenzligen Situation zu entkommen, aber nie, um den Schwierigkeitsgrad auf Null zu senken. Streng genommen lässt sich das Spiel auch völlig ohne Helfer meistern.

Als reiner Shooter kann Deus Ex zwar ebenfalls gespielt werden, fühlt sich aber zumindest ohne die richtigen Augemtierungen behäbig, mithin taktischer an. Auch mit freigeschalteten Kampffertigkeiten ist das Spiel als reine Killermaschine, das durch ein keineswegs üppiges Munitionsangebot erschwert wird, am wenigsten interessant. Hier bleibt zunächst nur der eine oder andere Pfad inklusive Zusatzinformationen verschlossen. Dass andere Personen auf einen psychotischen Massenmörder, der in anderen Spielen die unhinterfragte Norm ist, nicht unbedingt wohlwollend reagieren, sollte in Deus Ex zudem klar sein – wer gesellschaftliche Normen offen verletzt, hat es tendenziell schwerer.

Selbst Crafting passt in das Spiel

Nicht einmal das obligatorische Crafting-System wirkt aufgesetzt, weil das Material ein Joker ist, um gewisse Spielstile zu unterstützen. Wer kämpft, kann zusätzliche Multiwerkzeuge gut gebrauchen, wer schleicht, mitunter eine schusskräftige Waffe für Notfälle, um fehlende Augmentierungen auszugleichen. Die vielen Möglichkeiten machen Deus Ex allerdings vergleichsweise komplex. Dieser Eigenschaft haben die Entwickler bei der Steuerung nur bedingt entgegenwirken können.

Die zahlreichen doppelten Tastenbelegungen führen immer wieder zu unerwünschten Eingaben. Schnellspeichern in Deckung ist aus gleichem Grund nicht empfehlenswert: Vom Ladebildschirm geht es nur per Leertaste weiter, die zugleich als Eingabe zum Verlassen der Deckung erfasst wird. Das Laden eines Speicherstandes aus sicherer Position führt also dazu, dass Adam Jensen unvermeidlich in das Schuss- und Sichtfeld seiner Gegner läuft.

Große Gebiete stellen das Vorgehen völlig frei
Große Gebiete stellen das Vorgehen völlig frei

Mikrotransaktionen und Free-to-Play-Modus

Obwohl Mankind Divided zum Vollpreis verkauft wird, hat Square Enix das Spiel mit einem Ingame-Shop ausgestattet, in dem einmalig verwendbare Booster verkauft werden. Wie die Hälfte der Vorbestellerboni, die sich im Nachhinein ebenfalls als „Consumables“ entpuppt haben, verkauft der Publisher somit altmodische Cheats, also Ingame-Währung und Fertigkeitspunkte, zu gesalzenen Preisen. Selbst der Season Pass enthält für 30 Euro im Wesentlichen nur einmalig verwendbare Objekte und zwei Einzelspielermissionen.

So gut das Spiel ist: Dieses Vorgehen wirkt dreist, vor allem, weil beim zweiten oder dritten Durchgang das Erkunden jeden Winkels, der ansonsten Geld und Gegenstände zuhauf in die Kassen spült, ein wenig an Reiz verliert. Obwohl das Balancing nicht im Entferntesten den Gedanken an den Kauf im Spielshop denken lässt, haben solche Mechanismen in Vollpreisspielen nichts zu suchen. Das muss erst recht für Cyberpunk-Szenarien gelten, die sich als kritische Replik auf kapitalistische und neoliberale Praktiken lesen und kaum ein gutes Haar an großen Konzernen lassen.

Ähnlich unfreiwillig ironisch wirkt der „Breach“-Spielmodus, eine Mischung aus Time-Trial und Portal, bei der in virtuellen Welten gehackt werden darf. In diesem Modus, der aus einer Anzahl Challenge-Karten besteht, orientiert sich Deus Ex an Free-to-Play-Mechanismen auf Basis eines Kistensystems. Der hinter dem Breach-Modus stehende Wettbewerbsgedanke wird so ein Stück weit pervertiert, weil Booster zufällig über ein Kistensystem verteilt werden. Zusammen mit dem Zufallselement will so kein echter Spaß aufkommen.

Ein Ingame-Shop verkauft z.B. Fertigkeitspunkte und Credits
Ein Ingame-Shop verkauft z.B. Fertigkeitspunkte und Credits