NSA-Ausschuss: Reine Routine, selbst wenn die Hütte brennt
Infolge der NSA-Enthüllungen waren es erst die amerikanischen Geheimdienste, die wegen Spionage-Aktivitäten am Pranger standen. Im Verlauf der Enthüllungen zeigte sich aber immer deutlicher, dass auch der Bundesnachrichtendienst (BND) befreundete Staaten ins Visier genommen hat. Nun befasst sich der NSA-Ausschuss mit dem Thema.
Als im Herbst 2013 publik wurde, dass die NSA auch das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) überwacht hat, erreichte der Skandal in Deutschland einen Höhepunkt. In diesem Kontext formulierte Merkel dann das Credo: „Spionage unter Freunden – das geht gar nicht.“ Das Problem war nur: Im April 2015 kam heraus, dass der BND zahlreiche NSA-Selektoren in die eigenen Überwachungssysteme eingespeist hatte, obwohl diese sowohl auf Firmen als auch Politiker in Deutschland und Europa abzielten.
Bei den Selektoren handelt es sich um Suchbegriffe wie Telefonnummern und IP-Adressen, die Geheimdienste nutzen, um die globalen Datenströme zu durchsuchen.
Nun reichte es allerdings nicht aus, den BND auf eine Rolle als willfähriger Helfer der NSA zu reduzieren. Denn später wurde noch bekannt, dass der deutsche Geheimdienst nicht auf die NSA angewiesen war, um Bündnispartner zu überwachen. So erstellte der BND auch in eigener Regie Selektoren, um Institutionen in befreundeten Staaten abzuhören. Dazu zählte etwa das französische Außenministerium. „Spionage unter Freunden – das geht gar nicht“: Dieses Motto mutierte zum politischen Bumerang.
NSA-Ausschuss will Ablauf des Skandals rekonstruieren
Im NSA-Ausschuss geht es nun um die Frage, wie die zuständigen BND-Mitarbeiter mit dem Selektoren-Skandal umgegangen sind. Denn der Ablauf der Geschichte ist kurios: Nach Merkels Ansage im Oktober 2013 kam es zu Gesprächen zwischen Bundeskanzleramt und dem damaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler. Das Resultat war eine mündliche Weisung an die BND-Abteilung Technische Aufklärung (TA): Alle Selektoren deaktivieren, die Botschaften und Regierungen von NATO-Staaten betreffen.
Nun waren BND-Mitarbeiter schon im Verlauf des Sommers auf fragwürdige Selektoren gestoßen. Nur die BND-Spitze hatte man darüber nicht informiert. Es ist ein Merkmal, das sich fortsetzt. Denn Bundeskanzleramt und die BND-Chefetage informierten ihrerseits erst im März 2015 das Parlamentarische Kontrollgremium. Das richtet umgehend eine Task Force ein, die sich vor Ort ein genaues Bild der Lage verschaffen sollte.
Die parlamentarischen Kontrolleure entdeckten dann eine Liste mit 15.000 Selektoren, die sich gegen 3.300 Personen und Institutionen richteten und bereits im Spätherbst 2013 als politisch anrüchig aus dem Verkehr gezogen worden waren. Rund zwei Drittel der Selektoren zielten auf diplomatische Vertretungen westlicher Länder.
Allerdings lautete auch eine Erkenntniss vom Sommer 2015: Das komplette Ausmaß des Selektoren-Skandals lässt sich nicht mehr nachvollziehen, weil Datenbestände gelöscht wurden. Ebenso sickerte durch, dass das Kanzleramt bereits wesentlich früher von der Partner-Spionage des BND wusste.
Reine Routine, während die Hütte brennt
Erstaunlich ist nun auch die Wahrnehmung des Selektoren-Skandals: Während die Abgeordneten des NSA-Ausschusses angesichts der Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 von einer brennenden Hütte sprechen, bezeichnen die BND-Zeugen die Probleme mit den Selektoren eher als Routine-Angelegenheit. Deswegen wurde auch die BND-Spitze nicht direkt informiert.
Zumal die BND-Abteilung Technische Aufklärung laut der Zeugenaussage schon vor den Snowden-Enthüllungen gemerkt hatte, dass die Selektoren eigentlich gründlicher überwacht werden müssten. Denn bis zum Frühjahr 2013 gab es bei der Prüfung von Selektoren nur zwei Kriterien: Passt ein Selektor ins Auftragsprofil des BND und sind deutsche Grundrechtsträger betroffen. Bürger oder Institutionen anderer, womöglich verbündeter Staaten spielten hingegen keine Rolle.
„Ich sehe da überhaupt keine Routine. Ich sehe da lauter meldepflichtige Vorkommnisse.“ Christian Flisek, SPD-Abgeordneter
Referatsleiter innerhalb der BND-Abteilung Technische Aufklärung kamen daher – also vor den ersten Snowden-Enthüllungen – zu dem Schluss, dass zumindest eine Weisung erforderlich sei, um Rechtssicherheit zu schaffen. „Unmittelbarer Handlungsbedarf“ habe laut dem Zeugen aber nicht bestanden.
Doch es ist genau diese Haltung, die Abgeordnete nicht nachvollziehen können – vor allem nach dem Trubel infolge der ersten NSA-Enthüllungen. So erklärt etwa der SPD-Abgeordnete Christian Flisek laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org: „Ich sehe da überhaupt keine Routine. Ich sehe da lauter meldepflichtige Vorkommnisse.“ Die BND-Mitarbeiter hätten demnach schon im Sommer 2013 genauer prüfen müssen, was es mit den fragwürdigen Selektoren auf sich hat.
NSA-Selektoren werden restriktiver geprüft
Im Verlauf der Anhörung erklärte der Zeuge, dass die NSA-Selektoren restriktiver geprüft werden als diejenigen, die der BND in eigener Regie erstellt. Aussortiert werden Selektoren demnach, wenn sie gegen die rechtlichen Vorgaben verstoßen oder nicht die gewünschten Überwachungsresultate liefern.
BND-Selektoren werde hingegen – zumindest wenn Unsicherheit besteht – noch eine Funktionsprüfung zugestanden. Das heißt: Der Selektor wird scharf geschaltet und anhand der Resultate wird dann überprüft, ob dieser „Selektor im Sinne Zielsetzung geeignet ist und eben nicht gegen deutsche Interessen verstößt“, so der Zeuge laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org.