Oculus Touch: Das fehlende Puzzleteil für Rift kostet 199 Euro
Touch kommt pünktlich zum Weihnachtsgeschäft
Die HTC Vive brachte Oculus VR in Zugzwang: Wer in den eigenen vier Wänden das volle Spektrum der virtuellen Realität auskosten will, kam bisher nicht um die VR-Lösung von HTC und Valve herum. Knapp neun Monate nach der Markteinführung der Oculus Rift CV1 sollen die beiden Touch-Controller das eigene VR-System nun komplettieren.
199 Euro kostet die Erweiterung des Oculus VR-Systems zur Handsteuerung bestehend aus einer zusätzlichen Infrarotkamera (Oculus Sensor), einer „Connector“-Halterung für Rockband VR, den beiden Touch-Controllern und den beiden Exklusivtiteln „VR Sports Challenge“ sowie The Unspoken aus dem Hause Insomniac Games. VR-Nutzer, die ihr System fit für „room scale“-Spiele machen wollen, zahlen noch einmal 79 US-Dollar für eine weitere Kamera. Damit soll sich das Verdecken der Controller durch den Spieler vermeiden lassen.
Vorbestellungen werden ab dem 10. Oktober entgegen genommen. Ausgeliefert wird Touch „in großen Stückzahlen“, so Brendan Iribe, Geschäftsführer und Mitbegründer von Oculus VR, ab dem 6. Dezember. Vorbesteller der Oculus Rift erhalten auch bei der Vorbestellung der Touch Controller eine bevorzugte Position in der Warteschlange, sofern die Vorbestellung vor dem 28. Oktober um 09:00 Uhr mit der gleichen Emailadresse oder dem gleichen Oculus Account erfolgt.
Die Messlatte hängt hoch
Durch den späten Startschuss der eigenen Hand-Tracking-Lösung hat Oculus etwaige Vorschusslorbeeren bereits verspielt. Und das ist gut so, denn für potentielle Kunden hat das nur Vorteile. Präzises Hand-Tracking ist kein Technologie-Novum mehr, sondern bei der Konkurrenz bereits ein solider Bestandteil im großen VR-Puzzle: Will Oculus die Kundschaft nun aus ihren Sitzen locken, muss Hard- und Software zumindest auf diesem Niveau mitspielen können.
In einer ersten Anspielmöglichkeit während der Gamescom 2016 bestach Oculus Touch zunächst aufgrund der Controller-Ergonomie und der Intensität des haptischen Feedbacks im Ersteindruck, hinterließ am Ende jedoch trotzdem gemischte Gefühle.
Ersteindruck: Starke Haptik
Dabei macht Oculus aus ergonomischer Sicht vieles richtig: Die beiden Touch-Controller aus dem Hause Oculus wirken durch ihre kreisrunde Form deutlich kompakter als die beiden SteamVR-Controller. Es spricht für das Design und Tastenlayout, wenn ohne die beiden Controller beim ersten Anlegen überhaupt im Blick zu haben, unsere Finger bereits in der leicht zugreifenden Ruheposition der Hand intuitiv und mühelos alle Eingabemöglichkeiten ertasten. Unterschiedliche Handhaltungen beim Zugreifen oder Ruhen, wie es beim beidhändig ausgelegten SteamVR-Controllerdesign je nach Handgröße des VR-Nutzers möglich ist, sind bei Touch von vornherein ausgeschlossen. Für die linke beziehungsweise rechte Hand sind die Tasten des jeweiligen Controllers so angeordnet, dass es nicht zu Verwechslungen kommen kann.
Die Tastenbezeichnung ähnelt der eines Xbox-Controllers, der für zwei Hände aufgeteilt wurde: Mit den Daumen der linken Hand erreicht man entweder den X- oder Y-Button, einen Thumbstick oder die Enter-Taste des Controllers (analog zum Start-Button). Gespiegelt für die rechte Hand finden sich dort A- und B-Taste, ein zweiter Thumbstick sowie der „Home“-Button, den Nutzer von der Oculus Rift Fernbedienung kennen. Die beiden Controller verfügen über jeweils zwei Trigger, die sich mit Zeige- und Mittelfinger betätigen lassen.
Der Controller bietet mehr als nur Knöpfe
Das interessanteste Merkmal an der Tastenanordnung sind jedoch nicht die Knöpfe selbst, sondern die „Button Touch States“ (Berührungs-Zustände), die dahinter schlummern: Der Controller übermittelt nicht nur das simple Drücken eines Knopfes, sondern auch, ob der Finger des Nutzers sich gerade auf der texturierten Auflagefläche, dem A- oder B-Knopf, dem Thumbstick oder einem der Zeigefinger-Trigger liegt. Vereinfachte Gesten wie ein „Daumen hoch“ oder ein Fingerzeig werden ebenfalls im Oculus SDK standardmäßig zugänglich.
Ob und wie umfassend Entwickler die Möglichkeiten der Berührungs-Zustände und Gesten nutzen, kann je nach Anwendung und gewählter Handrepräsentation große Unterschiede in der Immersion bedeuten: Eine comicartige Spielerhand à la Job Simulator kann möglicherweise auf detaillierte Hand-Animationen verzichten ohne dem Nutzer aufzufallen, sobald jedoch eine realitätsnähere Repräsentation der Hand „starr“ oder unbeweglich bleibt, könnte dies zum schnelleren Bruch des Präsenz-Gefühls beitragen.
Zwei Fallbeispiele für unterschiedliche Hand-Implementationen lieferten die Messe-Demos der Oculus-exklusiven Spiele VR Sports Challenge und Wilson's Heart. In der Sport-Minispiel-Sammlung von Sanzaru Games konnten die Disziplinen Hockey, Football und Basketball ausprobiert werden, wobei der Umgang mit dem Hockeyschläger zum ersten großen „Oha!“-Moment führte.
Aus Sicht der Spieltiefe lässt sich VR Sports Challenge zweifelsfrei auf der „arcadigeren“ Seite der Sportspiele verorten. Der VR-Nutzer bleibt dank automatischen, vom Spiel gesteuerten Rollenwechsel zwischen den Spielerpositionen immer nah am Ball (beziehungsweise Puck). Beim virtuellen Hockey bedeutet das, dass ankommende Angriffe aus der Sicht des Torwarts abgewehrt werden müssen, wobei der Überblick, aus welcher Richtung der Puck gleich angeflogen kommt, zur größten Herausforderung des vereinfachten Spielablaufs zählt. Beim Warten auf den Schuss lassen wir unseren Arm baumeln und klopfen dadurch zunächst unabsichtlich, dann jedoch wiederholt absichtlich mit dem Stock auf die virtuelle Eisfläche und sind von der Intensität des haptischen Feedbacks überrascht.
Besseres Force-Feedback
Im Vergleich zu den Vive-Controllern ist das haptische Feedback der Touch-Controller von Oculus bei der Kollision mit virtuellen Objekten stärker wahrnehmbar. Wie das Oculus SDK verrät, lassen sich die Vibrationsmotoren in zwei Buffer-Modi ansteuern, wobei Vibrationsmuster entweder im Abstand von 3,125 oder 33 Millisekunden variieren können. In der VR-Spielwelt bedeutet das: Haben die Spielentwickler für Interaktionen mit der Umgebung entsprechendes Vibrations-Feedback implementiert, verschafft schon das Betätigen eines virtuellen Schalters durch das Herunterdrücken mit der Hand eine befriedigende Rückmeldung. Virtuelle Objekte wie der Hockeyschläger fühlen sich durch die von den Vibrationen vermittelte Illusion „echt“ an. Ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zum Gefühl der Präsenz.
Die Demo des düsteren VR-Adventures Wilson's Heart setzt von Anfang an auf den immersiven Effekt haptischen Feedbacks: Als wir im Körper von Robert Wilson in einer Klinik erwachen und zu unserem Entsetzen feststellen müssen, dass eiserne Handmanschetten uns an mit Gewichten versehen Pfeiler fesseln, wecken die Vibrationsmuster beim Bewegen der Arme unseren Spieltrieb. Auch wenn die Controller schon rein aus physikalischer Sicht nicht den Widerstand beim Ziehen und Zerren an einer Stahlkette vermitteln können, so genügt die durch die Vibrationsmuster hervorgerufene Illusion schon, um das Unterbewusstsein in VR auszutricksen.
Die „Hand-Präsenz“ in der virtuellen Realität profitiert auch maßgeblich von der Gestenerkennung. Ob wir beim Zugreifen unsere Hand schließen oder beim Betätigen eines Lichtschalters an einer Schreibtischlampe den Zeigefinger ausstrecken, die virtuelle Repräsentation unserer Hand macht, bis zu einem gewissen Grad, das Gleiche. Das ist einerseits intuitiv und vermeidet andererseits zusätzliche Abstraktion, wie es beispielsweise bei Hover Junkers Verwendung findet: Für Hand-Gesten (wie den Fingerzeig) müssen Touch-Zonen auf dem Trackpad der Vive-Controllers mit dem Daumen bedient werden, bei Oculus Touch müssen Spieler gar nicht erst nachdenken, sondern können einfach drauf los zeigen.
Fingerbewegungen werden nur im Ansatz erfasst
Doch die Touch-Controller sind keine Lösung für dediziertes Fingertracking, denn auch die verwendeten Näherungssensoren und Abfragemuster kennen ihre Grenzen: Die Controller erfassen zwar grundlegende Bewegungsabläufe beim Öffnen und Schließen der Hände und setzen diese in Wilson's Heart näherungsweise in Animationen der virtuellen Hände um, beim Stichwort „näherungsweise“ bleibt es jedoch auch: Dedizierte Lösungen für Hand- oder Finger-Tracking behalten auch zukünftig ihre Daseinsberechtigung.