Analyse: Facebooks Kampf mit der Wahrheit
Facebook in der Defensive: Was wirklich verrückt ist
Mark Zuckerberg ist in der Defensive. „Persönliche denke ich, es ist eine ziemlich verrückte Idee, dass Falschmeldungen auf Facebook (…) die Wahl in irgendeiner Form beeinflusst haben“, sagte er im Verlauf der letzten Woche auf der Technonomy-Konferenz. Und legte am Wochenende mit einem Facebook-Eintrag nach: „Von all den Inhalten, die die Leute auf Facebook sehen, sind 99 Prozent authentisch.“ Falschmeldungen und Hoaxes, die machen nur einen äußerst geringen Anteil aus.
Der Facebook-Chef reagiert damit auf die anhaltende Kritik nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Soziale Medien wie Facebook, Google, Reddit und Twitter hätten demnach den Wahlausgang entscheidend beeinflusst, weil Netzwerke der perfekte Raum sind, um Falschmeldungen und Lügen zu verbreiten. Willkommen im Zeitalter des Postfaktischen, in dem die Wahrnehmung mehr zählt als die Realität.
Mit der öffentlichen Abwehrhaltung steht Zuckerberg derzeit aber alleine dar. Selbst innerhalb des Unternehmens rumort es nun, wie Buzzfeed unter Berufung auf Mitarbeiter berichtet, die anonym bleiben wollen. Eine inoffizielle Task-Force wurde eingerichtet, wenig Verständnis gibt es zudem für Zuckerbergs Stellungnahmen. Es ist demnach keine „ziemlich verrückte Idee“, dass Facebook die Wahl beeinflusst habe. „Was verrückt ist, dass er öffentlich auftritt und es abstreitet, obwohl er selbst und die ganze Firma wissen, dass Falschmeldungen während des ganzen Wahlkampfs unsere Plattform überfluteten“, so einer der namentlich nicht genannten Mitarbeiter zu Buzzfeed.
„Natürlich hatte Facebook einen bedeutenden Einfluss auf das Wahlergebnis.“ Zeynep Tufekci
Im Kern ist es die Kritik, die bereits im Vorfeld der Wahl oftmals geäußert wurde. Der konkrete Vorwurf ist dabei: Dass sich Falschmeldungen in den sozialen Medien wie ein Buschfeuer ausbreiten können, liegt auch an dem Ökosystem, das Konzerne wie Facebook und Google geschaffen haben. Denn in diesen kommt es nicht mehr auf die Wahrheit an, entscheidend ist nur die Reichweite. Je schriller ein Beitrag, desto mehr verbreitet er sich. Wie so etwas im Einzelfall aussieht, verdeutlicht die Meldung, dass selbst der Papst Trump unterstützen würde. Das stimmte zwar nicht, wurde aber mehr als 900.000 Mal geteilt und noch viel mehr haben es gelesen – selbst für große Medienhäuser ist das eine Hausnummer. Angesichts solcher Zahlen erklärt daher Zeynep Tufekci, Associate Professor an der University of North Carolina: „Natürlich hatte Facebook einen bedeutenden Einfluss auf das Wahlergebnis.“
Und auch nach der Wahl geht es weiter. Wer bei Google „final election vote count 2016“ eingibt, sieht eine Meldung einer Webseite namens 70News, die besagt: Trump liege nicht nur bei den Wahlmännern vorne, sondern habe auch mehr Stimmen als Hillary Clinton bekommen. Ebenfalls falsch, dennoch lag die Meldung am Wochenende zeitweise sogar auf Rang 1 bei den Suchergebnissen.
Wie sich solche Falschmeldungen letztlich auf Wahlen und die Gesellschaft auswirken, lässt sich allerdings nicht präzise beziffern. Befürchtet wird jedoch, dass sie das Meinungsbild beeinflussen – die lauten und aggressiven Töne vergiften ein Klima, das ohnehin schon rau ist. Oscar Wilde beschrieb die Menschen einst als Schauspieler und die Welt als ihre Bühne. Facebook und Twitter sind bei den politischen Diskussionen allerdings kein Theater im viktorianischen England, das Shakespeare aufführt. Vielmehr gleicht es dem römischen Kolosseum, in dem sich Gladiatoren gegenseitig die Eingeweide raushacken.