Watch Dogs 2 im Test: Flache Witze im offenen San Francisco
2/3Die Spielwelt
So negativ die Auswirkungen der Kritik am ersten Teil bei der Story sind, so positiv wirkt sie sich bei der Spielwelt aus. Auch hier wechseln die Macher nach einem entsprechenden Spieler-Feedback von düster – Chicago, Nacht, Regen – nach freundlich – San Francisco, Tag, Sonnenschein. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Umgebungen von Watch Dogs 2 gehören mit zu dem besten an Open World, was derzeit angeboten wird.
Das liegt zum einen daran, dass das weitgehend originalgetreu nachempfundene San Francisco riesig ist. Neben der eigentlichen Stadt stehen auch die umliegende Distrikte und das Silicon Valley als Schauplätze zur Verfügung, was für jede Menge Abwechslung sorgt. Wir flanieren durch den Hafenbezirk, bestaunen Wolkenkratzer und die legendäre Golden Gate Bridge und erkunden ländliche Vororte, Industriebezirke und die vielen Läden, die Kleidung und Accessoires anbieten.
Überall treffen wir auf eine typisch urbane, diverse Bevölkerung. San Francisco ist unter anderem von Hippies, Bettlern, Trinkern, Rednecks, Nerds, Normalos und Kapitalisten bevölkert, die nicht nur Statisten sind, sondern die Umgebung authentisch benutzen. Anwohner gehen im Park spazieren, spielen Gitarre und fahren zur Arbeit, sie streiten und unterhalten sich. Die Scripte sind so vielfältig, dass man kaum je über doppelte Interaktionen stolpert. Großartig!
Hack die Passanten!
Auf dem Weg durch die Stadt können wir Marcus immer wieder interagieren lassen. Zum einen lassen sich die Smartphones der Passanten hacken. Marcus kann sich etwas Geld überweisen oder sie beispielsweise klingeln oder überhitzen lassen. Doch auch die gute alte verbale Kommunikation ist möglich. Sehen wir einen Streit, können wir schlichten – oder ihn befeuern, bis ein Einsatz der rabiaten, von ctOS entsandten Polizei notwendig wird.
Gut gefällt auch, wie Passanten auf kriminelles Verhalten reagieren. Legt Marcus einen gefährlichen Fahrstil an den Tag, fühlen sich manche aufrechte Bürger veranlasst, das zu melden. Zieht er seinen Taser und droht damit, kann man das Telefonat im letzten Moment unterbinden.
Wir haben schon bei Dishonored 2 geurteilt, dass die Spielwelt der heimliche Star ist. Bei Watch Dogs 2 trifft das noch stärker zu: Endlich reicht ein Titel in dieser Hinsicht mal an GTA V heran.
Das Gameplay
Spielerische ist die größte Neuerung von Watch Dogs 2, dass sich unserem Protagonisten deutlich mehr Möglichkeiten bieten, seine Hacker-Fähigkeiten anzuwenden. Das gilt schon für den Straßenverkehr: Wir verändern im vorüberfahren Ampeln, greifen auf Fahrzeuge zu und manipulieren aus der Distanz Gullis, Stromkästen und Schranken – praktisch, um Gegner oder die Polizei abzulenken oder loszuwerden.
Doch auch in den Hauptmissionen, mit denen wir Follower auf uns aufmerksam machen, ist alles auf's Hacken ausgerichtet. Dabei macht sich zunächst eine gewisse Redundanz bemerkbar: Sehr häufig läuft eine Aufgabe darauf hinaus, dass sich Marcus Zugang zu einem Sperrgebiet verschaffen muss, um dort etwas zu klauen oder zu zerstören.
Umso wichtiger ist, dass die dadurch drohende spielerische Monotonie durch ein vielfältiges Gameplay aufgefangen wird. Zum einen können wir in Rambo-Manier durch das Haupttor marschieren, denn Marcus ist nicht nur Hacker, sondern auch ein Elite-Kämpfer. Dazu lassen sich am 3D-Drucker der Hacker-Crew im Lauf des Spiels – den richtigen Kontostand vorausgesetzt – jede Menge konventionelle Waffen und Granaten erstellen.
Schwerpunkt auf Stealth
Allerdings drängt einen Watch Dogs 2 sanft zu einem umsichtigen, lautlosen Vorgehen. Das kann einerseits ganz klassisch stattfinden, da Marcus nicht nur Elite-Hacker und -kämpfer, sondern auch ein Meister des Stealth-Vorgehens und des nicht-tödlichen Ausschaltens von Gegnern ist. Der Goldstandard aber ist, Marcus physisch erst gar nicht oder sehr spät Präsenz zeigen zu lassen – und stattdessen alle Aufgaben digital aus der Ferne zu erledigen.
Dazu spuckt der 3D-Drucker zwei wichtige neue Spielerein aus: Ein ferngesteuertes Auto, den RC Jumper, und eine Drohne. Dank entsprechend angepasster Maps lassen sich fast alle Areale mit diesen beiden „Remote Devices“ infiltrieren. Da sie zudem zum Fernhacken von Terminals, Computern, Verschlusssystemen und Smartphones von Gegnern genutzt werden können, ersetzen sie faktisch die physische Präsenz von Marcus.
Das eröffnet unterschiedlichste Möglichkeiten. Soll die Drohne den Wachleuten eine Falle stellen? Oder soll sie sie lieber ablenken? Soll das ferngesteuerte Auto die Schlösser so manipulieren, dass die Wachen nicht zu Marcus vordringen können, selbst wenn sie ihn entdecken? Praktisch, aber auch stark vereinfachend ist dabei, dass sich der Spieler über eine spezielle Ansicht jeder Zeit anzeigen lassen kann, mit welchen Gegenständen eine Interaktion möglich ist und wo etwa Schaltkreise hinführen.
Garniert wird das etwas zu häufig vorkommende „Suchen & Zerstören“ durch nette Abwechslungen wie zum Beispielen Straßenrennen. Außerdem treffen wir auf der Karte immer wieder auf Nebenmissionen und rivalisierende Hacker, die man attackieren oder abwehren muss – ein Mechanismus, über den auch der nahtlos eingebundene Multiplayer-Aspekt von Watch Dogs 2 funktioniert.
Mäßige KI
Schade ist, dass die KI auch bei diesem Ubisoft-Titel nicht gerade glänzt. Zwar können die Wachen sehr gezielt Steine auf unsere Drohne werfen; ansonsten sind sie aber nicht besonders clever. Das gilt leider bei jedem Spielstil: Beim Stealth-Vorgehen etwa muss man sich schon sehr lange zeigen, um die Aufmerksamkeit der NPCs zu erhaschen. Ein umsichtigeres Vorgehen ist kurioserweise für Rambos gefragt: Gegen allzu viele Gegner kann es Marcus nicht aufnehmen. Unsere Hoffnung, gegenüber der Vorschau würde sich noch etwas tun, hat sich damit nicht erfüllt.