The Last Guardian im Test: Die Kunst der Illusion
2/4Gestatten: Trico
The Last Guardian ist eines der seltenen Spiele, die eine fremdartige Welt durch staunende Augen entdecken lassen und mit dem Reiz eines nie ganz zu erfassenden Mysteriums wedeln. Zu zentralen Konstante wird der Dreiklang von Erleben, Beobachten und Erkunden, dessen Faszination schon vom Start weg ersichtlich wird. Dort erwacht nach einem kurzen Intro ein kleiner Junge in einer Höhle. Anstatt nun großartig zu erklären, lassen die Entwickler vieles ausprobieren und beschränken sich nur auf das Nötigste.
Das Nötigste sind in diesem Fall Tooltipps zu den gröbsten Steuerungselementen, die auch im Spielverlauf zum Leidwesen der minimalistischen Ästhetik eingeblendet werden. Ansonsten aber hüllt sich das Spiel bis auf seltene Äußerungen des Erzählers in Schweigen. Diese paar Sätze des retrospektiv berichtenden Jungen sind nicht mehr als konturierende Federstriche und ein Hilfsmittel, um dem Spieler bei allzu langem Stillstand wolkige Tipps zu geben. Team Ico erzählt so weniger durch Worte als subtil durch das Geschehen, das sich auf dem Bildschirm präsentiert. Was dort zu sehen ist, bewahrt eine grundsätzliche Distanz, weil nur beobachtet werden kann. Mit Fragen und Mutmaßungen werden Spieler ansonsten ihren eigenen Gedanken überlassen, zu denen die Umgebung anregt.
Wie Spieler in ihre prekäre Situation gelangt sind, wo sie sich befinden und was die Tätowierungen bedeuten sollen, die sich nunmehr auf dem Körper befinden, gehört zu den großen Mysterien der Handlung. Als Ziel wird daher unmittelbar Flucht definiert. Dabei hilft der nicht ganz zahme Mitgefangene: Das Fabelwesen Trico, das sich als Mischung aus Hund, Katze und Vogel präsentiert. Die Bestie knurrt, ist aber zum Glück angekettet – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die über weite Strecken zum Gegenstand der Handlung wird und das Spiel durchweg prägt.
Der Star ist der Sidekick
Die Beziehung zu Trico und der Umgang mit ihm ist nicht, wie bei anderen Protagonisten-Paaren, Gegenstand einiger Dialoge, sondern wird geschickt in das Geschehen gewoben. Denn die Flucht ist kein Selbstläufer, das verhindert allein die Körpergröße. Als Kind will die Welt mit anderen Augen betrachtet werden, der Junge ist trotz einer Umgebung voller Ruinen, einem faszinierenden Labyrinth aus Türmen und Brücken in luftiger Höhe, weder Nathan Drake noch Lara Croft. Er ist zu klein und zu schwach, um aus eigener Kraft entkommen zu können und auf seinen großen Begleiter angewiesen. Dieser Rollentausch trägt ebenso zur Fremdheit der Situation bei, sind Spieler doch in der Regel diejenigen, die sich den Mantel des Beschützers umhängen dürfen. Hier hingegen dürfen sie als weitgehend hilfloser Junge den Umgang mit einem mal knurrenden, mal fiependen und nicht zu Unrecht als „Biest“ bezeichnetem Tier pflegen, mit dem mangels gemeinsamer Sprache keine direkte Verständigung möglich ist.
So wird die Beziehung zu Trico zu einer Symbiose, der Sidekick zum Star und zum zentralen Spielelement gleichermaßen. Bemerkenswert ist es, wie es Team Ico gelingt, aus der Hundekreatur mehr zu machen als einen mechanischen Diener, der devot an Türen wartet. Trico wirkt in jeder, hinreißend animierten Bewegung unheimlich lebendig und eigenständig, er beschnüffelt die Umgebung, wälzt sich im Wasser und schaut prüfend in alle Ecken, ebenso auf der Suche nach dem Weg aus seinem Gefängnis.
Ein „echter“ Begleiter
Das lässt erahnen, wie viel Arbeit in das Tier geflossen sein muss. Der Aufwand hat sich jedenfalls ausgezahlt, Clippingfehler oder abrupte Übergänge zwischen Bewegungen, die die Illusion eines lebenden Wesens stören könnten, sucht das Auge vergeblich. Selbst das Schnaufen und das Federkleid des Wesens erzeugen die Illusion von Realität. Wie das Biest tastend einen Fuß vor den anderen setzt und durch Höhlen tapst ist ohnehin immer wieder einen Blick wert.
Die Inszenierungsqualität wird an zentraler Stelle in erneut subtiler Manier zum Erzählen genutzt. Trico spricht nur über Körpersprache und Laute; eine Verständigung erfordert Erfahrungswissen im Umgang. Aus jeder Bewegung spricht Anfangs eine gewisse Verwunderung und Neugier, ein fragendes Hinterhertrotten, aus der langsam eine alte Vertrautheit wird, die auch den Spieler erfasst. Dafür ist die bewährte „Tamagochi-Mechanik“ verantwortlich, will das Tier doch gefüttert, gepflegt und gestreichelt werden. Auch das sind Dinge, die nicht zwingend wortreich gefordert werden müssen. Sie ergeben sich oft aus der Situation heraus.
So wird aus anfänglicher Distanz Schritt für Schritt größere Nähe, ausgedrückt etwa in Fiepsen und Winseln, wenn der Junge das Sichtfeld seines Begleiters verlässt. Derartig ohne große Worte erzählen zu können, ist große Kunst, die nur wenigen Spielen gelingt. Trotz des langsamen Erlernes der „Trico-Sprache“ bleibt durch die Art der Kommunikation aber eine grundsätzliche Fremdheit bestehen. Die Bestie ist nun einmal eine Bestie und ein Stück unberechenbar.