The Last Guardian im Test: Die Kunst der Illusion
3/4Auf (un-)gleicher Augenhöhe
Das macht das Spielen von The Last Guardian zu einer einzigartigen Erfahrung. Junge und Tier sind bei der Flucht permanent aufeinander angewiesen; beiden sind unterschiedliche Levelelemente zugänglich. So quetscht sich der Junge durch enge Durchgänge und kümmert sich um Hebel, aktiviert Mechanismen und Tore, während das Tier auf Plattformen und Ebenen springen kann und seinen Begleiter auf dem Rücken transportiert. Auch die Hauptlast der Kämpfe gegen leuchtende Statuen, die den Spieler in leuchtende Türen verschleppen wollen, trägt das Tier, dem nur ein wenig unter die Arme gegriffen werden kann.
Trico ist aber kein reiner Befehlsempfänger. Die Option Kommandos zu geben ist viel eher eine Möglichkeit, Bitten an das Tier zu richten, ihm zu signalisieren etwa an eine bestimmte Position zu gehen. Ob die Wünsche des Spielers erfüllt werden, hängt davon ab, ob Trico möchte oder einen Sinn dahinter erkennt. Da der Weg vorwärts oft klar ist, wird das Biest Rätsel und Lösung zugleich: Trico will eine Lösung ebenfalls vermittelt werden und sei es durch Ausdauer; es muss irgendwie immer mitspielen.
Auf diese Weise kann The Last Guardian mehr als typische Kisten- und Schieberätsel präsentieren und seine Puzzle organisch in das Geschehen einfügen. Von Künstlichkeit herrscht keine Spur, die Mischung aus Klettern und Denken wird geschickt präsentiert und versteht sich gut darin, wenige Grundelemente immer wieder neu anzuordnen und zu variieren. Aus wenigen Elementen wird erstaunlich viel herausgeholt. Auch das Leveldesign vermeidet den Eindruck von Abschnitten oder Arealen, alles scheint natürlich ineinander überzufließen. Auch das ist keine geringe Leistung.
An der ein oder anderen Stelle kann die Lösung eines Rätsels dennoch ein wenig länger dauern, was in Teilen daran liegt, dass The Last Guardian nicht nur auf den Spieler blickt, der Spieler aber schnell in die gewohnte, egozentrische Haltung verfällt und Trico aus dem Kopf streicht. Der lässt sich aber unter anderem als glorifizierte Schiebekiste und Leiter verwenden. Gegenläufig zu den Trailern verzichtet das Spiel dabei weitläufig auf Hektik, selbst die wenigen dramatischen Momente werden fast schon ruhig dargeboten. Lösen lässt sich nach einer kurzen Denkpause aber fast alles in akzeptabler Geschwindigkeit. Selbst diese ist nicht zwingend langweilig: Im Zweifelsfall beschäftigt sich Trico einfach selbst, wenn er nicht sanfte Hinweise gibt. Der Blick auf den Hundvogel lohnt eigentlich immer.
Rangieren wie einen LKW
In jedem einzelnen Fall klappt das jedoch nicht. Wenn das blöde Biest einfach nicht auf die Plattform direkt vor seiner Nase springen will, weil es einen(!) Schritt zu weit von der vorgesehenen Sprungposition entfernt steht, stellt das der Wegfindung ein schlechtes Zeugnis aus. Denn die gewünschte und tatsächliche Position sind aufgrund der Größe von Trico nicht immer exakt einzusehen. An solchen Stellen hilft, so der Weg vorwärts glaskar ersichtlich ist, nur ein wenig „Rangieren“ auf gut Glück. Über Beharrlichkeit sollten Spieler zusammen mit einer Portion Geduld aber ohnehin verfügen. Wenn das Biest erst die Gegend beschnüffeln möchte, dann steht es eben kurzzeitig nicht zur Verfügung.
Selbst das zählt aber zu den Reizen von The Last Guardian, weil aktive Sabotage des Gameplays eigentlich nicht vorkommt. Obwohl der Begleiter manchmal einfach störrisch ist, wirkt das Verhalten nur in absoluten Ausnahmefällen wie ein Resultat schlechter Technik, sondern vielmehr wie der Ausdruck eines Charakters. Spieler müssen sich in ihrer Lösung einfach sicher sein, eine kleine Hürde für Nutzer, die einfach herumprobieren.
Begleiter 2.0
Diese Mechanik, und das ist eine der erstaunlichsten Erfahrungen im Spiel, funktioniert praktisch auch andersherum: Trico sieht den Ausgang, der Spieler aber noch nicht. Und ist der einzige des ungleichen Paares, der ihn erreichen kann. So wird der Sidekick zum Partner, zu einem „lebendigen“ Gesellen, der ebenso versucht, die ein oder andere Lösung zu kommunizieren. Partnerschaft meint hier tatsächlich das, sie ist in keiner Dimension eine Einbahnstraße. So verwundert es kaum noch, dass auch Trico Wünsche äußert und einfordert, vor allem nach Futter.
So wird das Tier zu einem Begleiter, dem der Spieler vertrauen muss. Der ebenso ankündigt, wo es weitergeht, wo er nicht hinkommt, indem er an einer geschlossenen Tür kratzt und jault. Das Tier nutzt dabei lediglich die gleichen Techniken wie der Junge, der auf der Stelle läuft und in eine Richtung zeigt. Es sind dutzende solcher kleinen Details, die eine nachhaltig überzeugende Reise erleben lassen. In all dem treten die Zahnräder im Innersten eines Videospiels in den Hintergrund – Team Ico hat eine verteufelt gute Illusion geschaffen, bei der all die kleinen Zahnräder der kunstfertigen Spielmechanik völlig ins Vergessen geraten.
Das alles führt dazu, dass das Abenteuer in seiner eigenen (merkwürdigen) Geschwindigkeit gespielt werden will. The Last Guardian ist definitiv kein Spiel für Menschen, die unbedingt „Actions per Minute“ sehen wollen, sondern für solche, die einfach eine fremde Welt mit staunenden Augen genießen können und sich geruhsam rund zehn bis zwölf Stunden lang durch Ruinen rätseln mögen.
Die Technik spielt unsauber
Während das Spiel an Ganzes und die Güte der Animation überzeugen, ist die Qualität der Technik der ungleiche Partner des Inhalts. Der Weitblick in Außenarealen, in denen sich Türme und Gebäude in luftige Höhen schrauben, in denen ein Tal voller seltsamer Bauten zu sehen ist, sind eines der vielen Elemente, die auf einer einfachen PlayStation 4 zum Einbrechen der Bildrate führen. Die lange Entwicklungsdauer und der Plattformwechsel sind The Last Guardian technisch insofern anzumerken.
Auch Kämpfe und Lichteffekte haben ähnliche Effekte, sie lassen das Geschehen bisweilen zähflüssig werden; das Spiel wird punktuell nur grenzwertig spielbar und verlangt wie zur Zeit seiner Vorgänger, in diesem Bereich eine gewisse Toleranz ab. Das leichte Ruckeln hat außerdem negative Auswirkungen auf die ohnehin nicht übermäßig präzise Steuerung. In Kombination kann das Dirigieren der Spielfigur kurzzeitig frustrieren, weil es einfach wird, in falsche Richtungen zu laufen oder auch einmal in den Tod zu springen. Auch das Klettern auf dem Tier gehört durch unklare Kameraperspektiven, mit denen sich der Titel immer wieder plagt, und Übergänge zwischen den Körperteilen zu den weniger angenehmen Seiten des Spiels.
Nichtsdestotrotz bleibt The Last Guardian stets spielbar, wenn auch bisweilen nur gerade so. Der dadurch aufkommende Wunsch nach einem sofortigen Remaster wird durch die PlayStation 4 Pro bedient, die laut übereinstimmenden Berichten aufgrund der besseren Hardware keine Probleme mit der Wiedergabe einer konstanten Bildwiederholrate hat.