NSA-Ausschuss: Kanzleramt ahnte angeblich nichts von BND-Spionage

Update Andreas Frischholz
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NSA-Ausschuss: Kanzleramt ahnte angeblich nichts von BND-Spionage
Bild: Carsten | CC BY 2.0

Im NSA-Ausschuss geht es erneut um die Frage, wann das Kanzleramt wusste, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) auch in eigener Regie verbündete Staaten ausspioniert – trotz Merkels Credo „Spionage unter Freunden, das geht gar nicht“. Vorgeladen war heute Günther Heiß, Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt.

Laut Heiß habe das Kanzleramt erst im März 2015 erfahren, dass der BND auch eigenständig illegale Selektoren in die Überwachungssysteme einspeiste, um Ziele in befreundeten Staaten auszuspionieren. Bei den Selektoren handelt es sich um Suchbegriffe wie Telefonnummern und IP-Adressen. Im Jahr 2013 wurde durch die Snowden-Dokumente enthüllt, dass die NSA entsprechend vorgeht.

Seitdem wollte das Kanzleramt nach der Darstellung von Heiß stets wissen: „Machen wir das auch?“ Die BND-Spitze habe das stets verneint, was wohl auch einer der Gründe für die – im Nachhinein gewagte – Kritik von Vertretern der Bundesregierung zu dieser Zeit war.

Zufallsfund durch allgemeine Nachfrage

Im März 2015 besuchte Kanzleramtsminister Peter Altmaier den BND-Standort in Bad Aibling, weil zuvor bekannt wurde, dass der BND im Herbst 2013 insgesamt rund 40.000 illegale NSA-Selektoren aus den Überwachungssystemen entfernt hatte. Auf eine recht allgemein gehaltene Nachfrage von Altmaier wurde dann aber eine weitere „Quarantäne-Liste“ erwähnt. Diese enthielt rund 15.000 BND-eigene Selektoren mit etwa 3.000 Zielen, die Bezug zur EU und Nato hatten. Diese Selektoren wurden ebenfalls schon im Herbst 2013 deaktiviert.

Widerspruch zum ehemaligen BND-Chef

Das steht allerdings ein Stück weit im Widerspruch zu den Aussagen des ehemaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler, der in der letzten Woche erklärte, dass das Kanzleramt schon im Oktober 2013 informiert worden sei. Heiß erklärte dazu: Damals teilte die BND-Spitze dem Kanzleramt lediglich mit, dass zwar auch Botschaften von Partnerstaaten abgehört wurden. Die hätten sich aber in Krisengebieten befunden, Europa sei nicht von der Überwachung betroffen gewesen. Einzelfälle wären das gewesen, sagte Heiß laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org.

Vom wahren Ausmaß ahnte das Kanzleramt offenbar nichts. „Als wir den wirklichen Umfang im März 2015 erfuhren, waren wir nicht besonders angetan über die Berichtfreudigkeit beim BND“, sagte Heiß.

Update

Nach Geheimdienstdirektor Heiß wurde gestern auch noch der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) befragt, der bis Dezember 2013 im Amt war. Er erklärte ebenfalls: Erst Ende Oktober 2013 habe der ehemalige BND-Präsident Schindler mündlich mitgeteilt, dass in Krisenregionen auch die Botschaften von befreundeten Staaten überwacht werden. Weitere Details habe Pofalla aber zu diesem Zeitpunkt nicht erfahren, die habe Schindler nicht parat gehabt. „Nicht auskunftsfähig“ sei der damalige BND-Präsident gewesen, da er offenbar „auch gerade unmittelbar“ informiert wurde, so der Eindruck von Pofalla.

Deswegen habe er Schindler im Oktober 2013 beauftragt, den Vorfall zu klären und schriftlich die Ergebnisse einzureichen. Diesen Bericht habe er aber nicht mehr erhalten, weil er im Dezember 2013 zurückgetreten ist. Der Narrativ von Pofalla lautet also: Die Bundesregierung hatte im Herbst 2013 nur bruchstückhaft erfahren, was der BND treibt. Und wurde über das wahre Ausmaß erst im März 2015 informiert.

Die Abgeordneten im NSA-Ausschuss waren mit der Version von Pofalla aber nicht zufrieden. Diese widerspreche den Aussagen des ehemaligen BND-Präsidenten Schindler, erklären etwa der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz und der SPD-Abgeordnete Christian Flisek laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org. Ab wann die politisch Verantwortlichen über das Ausmaß des BND-Skandals also tatsächlich im Bilde waren, lässt sich – zumindest anhand der Aussagen der Beteiligten – immer noch nicht vollständig rekonstruieren.