Kommentar: Zuckerberg tritt Flucht nach vorne an
Wenn Mark Zuckerberg mittlerweile auch Fake News und Filterblasen als Bedrohung anerkennt, bestätigt das eins: Beim Verbinden von Menschen war Facebook erfolgreich, bei der offenen Welt ist man aber gescheitert. Nun will Zuckerberg mit besseren Algorithmen nachlegen, doch die Umstände sind widrig.
Facebooks Mission ist erfolgreich gescheitert
„Verrat ist eine Frage des Datums“, verkündete einst schon Napoleons Außenminister Charles Maurice de Talleyrand. Eine Erkenntnis, die auch für Facebooks Chef Mark Zuckerberg gilt. Es wäre eine verrückte Idee, dass Facebook den Wahlausgang der Präsidentschaftswahl beeinflusst hätte, erklärte er noch im November. Dass selbst Mitarbeiter mit der Rolle von Facebook haderten, wollte der Chef offenkundig nicht so schnell anerkennen.
Nun wandelt sich der Ton, in einem offenen Brief räumt er nun ein, dass „connecting people“ alleine nicht mehr ausreicht. Die alte Mission war erfolgreich und ist doch gescheitert, ein neuer Auftrag muss her. Nun lautet also das Ziel: Facebook soll künftig eine soziale Infrastruktur sein, die keinen zurücklässt.
Was sich wohlwollend noch als Aufruf für eine bessere Welt interpretieren lässt, wirkt auf mich wie die Flucht nach vorne. Offensichtlich nagt die Trump-Regierung am Selbstverständnis der Silicon-Valley-Elite, es ist das Abwägen zwischen Konzerninteressen wie Steuererleichterungen und den Visionen einer offenen Gesellschaft, die eine Branche auf die Probe stellt. Damit wächst auch der Druck auf Facebook, zumal der Konzern ohnehin schon im Mittelpunkt steht, sobald etwa von Fake News und Filterblasen die Rede ist. Ob nun berechtigt oder nicht, das soziale Netzwerk ist das Paradebeispiel für vieles, was schief läuft in der digitalen Welt und Auswirkungen auf die Gesellschaft hat.
Nun sind es nicht nur politisch unruhige Zeiten, auch bei den Nutzern droht Ärger, denn so richtig begeistern kann das soziale Netzwerk nicht mehr. Ein Kumpel von mir hat etwa kürzlich sein Facebook-Konto weitestgehend gelöscht. Nicht ganz, weil er noch einige Gruppen administriert, aber immerhin Namen geändert und sämtliche Freunde gelöscht, übrig sind noch Abonnements und die gelikten Seiten. An sich nichts Ungewöhnliches, er benutzt mittlerweile eben mehr WhatsApp oder Snapchat. Erstaunlich war aber seine Erkenntnis: Obwohl er keine Freunde mehr in der Liste hat, hat sich in seinem News-Feed praktisch nichts geändert. Die Inhalte, die ihm Facebook alltäglich präsentiert, stammen in der Regel also nicht von seinen Bekannten, sondern von allen möglichen Seiten, die er so verfolgt.
Es ist also die verschärfte Version von dem, was Zuckerberg selbst in dem offenen Brief schreibt: Facebook verbindet nicht mehr nur Freunde und Bekannte, sondern ist eine Anlaufstelle für Nachrichten und politische Diskussionen. Und allein das macht Facebook schon angreifbar, weil es einige Nutzer vergrault und zudem die Politik auf den Plan ruft.
Algorithmen sollen die Community verbinden
Die Frage ist nur, was Facebook machen kann. Die Antwort von Zuckerberg lautet wie gehabt: Die Künstliche Intelligenz soll es richten. Ein Algorithmus soll entwickelt werden, der „schneller und präziser versteht, was in der Community vorgeht“, so Zuckerberg in dem offenen Brief. Selbst persönliche Risiken wie Krankheiten oder Verbrechen sollen sich damit irgendwann dann erkennen lassen.
Going forward, there are even more cases where our community should be able to identify risks related to mental health, disease or crime.
Mark Zuckerberg
Ein Algorithmus als bester Freund des Nutzers, der obendrein noch die Politik besänftigt. Denn auch bei den Filterblasen und Fake News will Facebook künftig auf die KI setzen, um falsche Informationen aus dem News-Feed zu filtern. Nur hier gilt das altbekannte Problem: Was etwa bei Nippel-Bildern noch leidlich gut funktioniert, ist umso schwieriger, wenn es um das inhaltliche Bewerten von Beiträgen geht. Da die Balance hinzubekommen, ist schon für Menschen kaum möglich.
Dass Facebook aber eher auf die Technologie setzt, ist kein Wunder. Denn allein schon wegen der Masse an Beiträgen lässt sich per Hand eben kaum kontrollieren, ob ein Inhalt nun authentisch ist oder nicht. Ebenso wenig will Facebook selbst entscheiden, was wahr und falsch ist. Deswegen braucht man Partner. Nur sind die eben nicht so leicht zu finden, wie der Spiegel heute berichtet. Neben dem Rechercheportal Correctiv sollen noch weitere Medien die Falschmeldungen prüfen, die Nutzer melden. Der Haken: Kaum einer will als Handlanger für Facebook arbeiten, tatsächliches Interesse soll bislang nur Focus Online signalisiert haben. Nun ist Focus Online zwar eines der reichweitenstärksten Portale in Deutschland, hat aber wegen einem auf Suchmaschinenoptimierung Clickbait ausgerichteten Geschäftsmodell einen denkbar miesen Ruf. „Bullshit im Sekundentakt“ titelte schon mal Bildblog, die Blogrebellen liefern einen Überblick von mindestens fragwürdigen Artikeln. Und selbst der Axel-Springer-Verlag klagt mittlerweile, weil Focus Online systematisch Inhalte von Bild.de übernehmen soll.
Kein Abgesang, nur düstere Vorzeichen
Nun ist all das noch kein Abgesang auf Facebook. Facebook ist immer noch der Koloss unter den sozialen Netzwerken und einer der mächtigsten Konzerne der Welt. Wirtschaftlich läuft es ebenfalls glänzend, neue Rekordumsätze wurden zuletzt vermeldet und den Online-Werbemarkt dominiert das Unternehmen zusammen mit Google. Und doch kämpft der Konzern an diversen Fronten. Mit Snapchat ist ein Konkurrent erwachsen, der vor allem bei Jugendlichen beliebt und Vorreiter bei so manchen Funktionen ist, die Facebook mehr oder weniger schamlos kopiert. So lassen sich bei Instagram mittlerweile auch Story-Streams erstellen, die binnen 24 Stunden wieder gelöscht werden. Und WhatsApp will ebenfalls die automatisierte Bildbearbeitung ausbauen.
Deutlich wird aber bei all dem: So wie wir Facebook heute kennen, ist es kein Konstrukt für die Ewigkeit. Yahoo ist nur eines der vielen warnenden Beispiele für IT-Konzerne, die als ehemalige Branchenführer binnen Jahren in die Bedeutungslosigkeit versunken sind. Mark Zuckerberg ist also zum Handeln verdammt, wenn er die Stellung des Konzerns absichern will.
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