Überwachung: Regierung will Einsatz des Staatstrojaners ausweiten
Die Bundesregierung will den Einsatz des Staatstrojaners massiv ausweiten, berichtet Netzpolitik.org. Die staatliche Überwachungssoftware soll das Mittel der Wahl werden, wenn die klassische Telekommunikation nicht mehr ausreicht. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor, den das Portal im Volltext veröffentlicht.
Ein Ziel des Gesetzentwurfs ist: Wenn die klassische Telekommunikationsüberwachung nicht mehr möglich ist, sollen Polizeibehörden künftig den Staatstrojaner für die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) nutzen können. Das betrifft etwa verschlüsselte Messenger-Dienste wie WhatsApp, bei dem auch die Anbieter keinen Zugriff auf die Inhalte haben. In solchen Fällen geht es also zunächst um das Abfangen von Nachrichten oder Video-Chats.
Deswegen sollen Polizeibehörden „technisch sicherstellen“, dass „nur solche Kommunikationsinhalte erfasst werden, die auch auf herkömmlichem Wege ausgeleitet werden können“. Ebenso ist der Einsatz auf den Zeitraum der Anordnung beschränkt. Im Falle von WhatsApp würde das etwa bedeuten: Es darf nicht der komplette Chatverlauf erfasst werden, sondern nur die Nachrichten eines Verdächtigen, die innerhalb dieses Zeitraums ausgetauscht wurden.
Mehr Einsatzgebiete für Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung
Bis dato war die Rechtslage beim Einsatz der Quellen-TKÜ nicht klar, was insbesondere Sicherheitspolitiker und die Vertreter von Polizeibehörden kritisierten. So konnten die Vorgaben je nach Bundesland variieren. Mit dem Entwurf soll nun bundesweit eine einheitliche Regelung existieren.
Indem § 100a der Strafprozessordnung erweitert wird, könnte die Anzahl der Einsätze aber deutlich ansteigen. Wie Netzpolitik.org anmerkt, gab es im Jahr 2015 insgesamt knapp 6.000 Verfahren, bei denen die Kommunikation der Verdächtigen überwacht wurde. Rechnet man Festnetz, Mobilfunk und Internet zusammen, handelt es sich insgesamt um 32.668 Überwachungsanordnungen. Bei all diesen Verfahren wäre künftig – zumindest theoretisch – auch die Quellen-TKÜ möglich.
Eine wesentlich umfangreichere Überwachung ermöglicht indes die Online-Durchsuchung. Dabei wird der Trojaner nicht nur eingesetzt, um verschlüsselte Kommunikation abzufangen, sondern soll das System eines Verdächtigen vollständig infiltrieren. Bis dato war das eine Überwachungsmethode für den Anti-Terror-Kampf. Künftig soll die Anzahl der Delikte aber ebenfalls erweitert werden.
Gesetzentwurf als „krasse Provokation“
Durch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts ist der Spielraum beim Staatstrojaner allerdings äußert begrenzt. Die Frage ist nun: Bleibt das Gesetz im Rahmen? Die Bundesregierung ist zuversichtlich. Um die Auflagen einzuhalten, gilt etwa generell ein Richtervorbehalt – möglich sein soll die Überwachung also nur mit einer Anordnung. Die Quellen-TKÜ müsse zudem vergleichbar sein mit dem herkömmlichen Abhören von Telefongesprächen. Und bei der Online-Durchsuchung wird der Kernbereich der privaten Lebensführung berücksichtigt, der besonders geschützt ist.
Juristen bewerten das aber völlig anders. Von einer „krassen Provokation in Richtung Karlsruhe“ spricht etwa der Berliner Richter Ulf Buermeyer auf Anfrage von Netzpolitik.org. Dass die Ausweitung des Staatstrojaner-Einsatzes zudem noch kurz vor Torschluss in eine Reform des Strafprozessrechts gelangt, bezeichnet Tobias Singelnstein, Kriminologe an der Ruhr-Universität Bochum, als „Schweinsgalopp durch die Hintertür“, der „mit demokratischer Debattenkultur nichts zu tun“ hat.
Und dann wäre da auch noch die IT-Sicherheit: Erst am Wochenende erfolgte der WannaCry-Angriff, für den die Täter eine kritische Windows-Sicherheitslücke ausnutzten, die die NSA jahrelang hortete. Auf solche Sicherheitslücken sind dann auch deutsche Polizeibehörden angewiesen, um die Trojaner einsetzen zu können. Dementsprechend äußert sich Linus Neumann, Sprecher vom Chaos Computer Club (CCC), gegenüber Netzpolitik.org: „Über fünf Jahre hat die NSA diese Lücke geheim gehalten und so die ganze Welt dem Risiko ausgesetzt. Diese absolute Verantwortungslosigkeit scheint die große Koalition zu beeindrucken.“
Ein weiteres Kernproblem ist zudem noch: Ob der Trojaner tatsächlich den rechtlichen Auflagen entspricht, lässt sich von außen kaum kontrollieren.