Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Ein verfassungswidriger Schnellschuss
Nächste Woche soll der Bundestag das Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschließen, gestern fand die Anhörung im Bundestag statt. Doch die verdeutlichte: Der Entwurf ist immer noch eine Baustelle, die Mehrheit der Experten bewertet das Vorhaben als verfassungswidrig.
Entscheidend für die Einschätzung ist, dass es dem Justizministerium unter Minister Heiko Maas (SPD) nicht gelungen ist, einen Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und Schutzpflichten zu finden. Daher werde das Gesetz in der aktuellen Form vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, sagte der Münsteraner Medienrechtsprofessor Bernhard Holznagel.
Ärger mit den Löschpflichten
Die Vorwürfe, die die Experten dabei nannten, sind im Kern dieselben wie in den letzten Monaten: Das Gesetz ist zu vage, zu unbestimmt und generell nicht hilfreich, um dem Hass im Netz beizukommen. Das gilt insbesondere für die Löschpflichten, bei offensichtlich rechtswidrigen Inhalten haben die sozialen Netzwerke nur 24 Stunden Zeit, um die Beitrage zu entfernen. Andernfalls drohen Bußgelder in Millionenhöhe.
Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder warnt, das Gesetz werde mehr Schaden als Nutzen anrichten. Und der Berliner Richter Ulf Buermeyer bezweifelt zudem, dass knappe Löschfristen überhaupt nützlich sind. Schon innerhalb von 24 Stunden könnten Beiträge weit verbreitet werden. Außerdem kann niemand die Nutzer hindern, ähnliche Beiträge erneut ins Netz zu stellen.
Professor Holznagel fordert zudem noch, dass gelöschte Beiträge wieder hergestellt werden müssten, wenn sie sich nach einer Prüfung als nicht rechtswidrig erweisen. So eine Regelung fehle aber bislang.
Selbstregulierung als Ausweg
Wie könnte nun ein Ausweg aus dem Dilemma aussehen? Vorstellbar ist eine „regulierte Selbstregulierung“, die Martin Drechsler von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter vorschlägt. Facebook soll strittige Beiträge also nicht selbst bewerten, sondern das einer externen Organisation überlassen.
So einen Ansatz würde auch der Kölner Medienrechtler Rolf Schwartmann begrüßen. So etwas ließe sich bis nächste Woche in den Entwurf einbauen, der damit gerettet werden könnte. Denn auch er hält das Netzwerkdurchsetzungsgesetz derzeit nicht für verfassungsgemäß.
Allerdings sind es nicht alle Experten, die das Gesetz ablehnen. Begrüßt wird das Vorhaben etwa vom Hamburger Staatsanwalt Ulf Bornemann, der insbesondere den inländischen Zustellungsbevollmächtigten lobt, den soziale Netzwerke wie Facebook künftig als Kontaktstelle einrichten müssen. Das würde die Strafverfolgung erleichtern, weil keine Rechtshilfeersuchen in den USA mehr nötig wäre, die bisweilen Monate dauern. Die deutsche Kontaktstelle ist übrigens einer der Punkte, auf den sich praktisch alle Experten einigen können.
Wie es nun weitergeht
Nun steht also die Frage im Raum, wie es mit dem Entwurf weitergeht. Nächste Woche soll der Bundestag über das Gesetz abstimmen, die Frage ist nur, ob es in der aktuellen Form überhaupt ins Parlament kommt. Abgelehnt wird es nicht nur von der Opposition, auch innerhalb der Bundesregierung ist es umstritten.
Denkbar wäre etwa, dass die Löschpflichten herausfallen. Übrig bleibt dann die Vorgabe für das Beschwerdemanagement und eine deutsche Kontaktstelle. Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen empfiehlt aber dennoch, den Gesetzentwurf komplett zu verwerfen. Besser wäre es, in der nächsten Legislaturperiode komplett neu anzufangen. Das fordert auch Bitkom-Geschäftsführer Rohleder, „Sorgfalt gehe vor Schnelligkeit“.
Facebook in der Lobby-Offensive
Das würde vermutlich auch Facebook gefallen. Das soziale Netzwerk intensivierte zuletzt die Lobby-Arbeit, mehr Transparenz ist das Gebot der Stunde. Gestern verkündete man etwa, dass in den letzten zwei Monaten „durchschnittlich 3.500 Posts pro Woche gelöscht“ wurden, die Nutzer in Deutschland als Hassrede meldeten.
Darüber hinaus durften deutsche Politiker in der letzten Woche erstmals das Arvato-Team besuchen, das für das Löschen der Beiträge in Deutschland verantwortlich ist. Vorher hatte Facebook solche Vorort-Termine stets verweigert.