Oberverwaltungsgericht NRW: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht
Die deutsche Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit dem EU-Recht vereinbar, hat heute das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschieden. Die Entscheidung betrifft zunächst nur den Münchner Provider SpaceNet, lässt sich aber als Vorbote für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts interpretieren.
Denn die Haltung der Richter ist eindeutig: Das Gesetz der Großen Koalition vom Dezember 2015 verpflichtet Provider, sämtliche Verkehrsdaten für zehn Wochen und Standortdaten für vier Wochen zu speichern. Das lässt sich aber nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Dezember 2016 in Einklang bringen, eine pauschale Erfassung widerspricht schlicht den europäischen Datenschutzvorgaben. Möglich ist die Vorratsdatenspeicherung hingegen nur noch, wenn sie auf bestimmte Personengruppen, Kanäle oder Orte beschränkt ist.
Selbst der begrenzte Zugriff durch Sicherheitsbehörden reiche nicht aus, um das Gesetz zu legitimieren. „Nach dem Urteil des Gerichtshofs könne die anlasslose Speicherung von Daten insbesondere nicht dadurch kompensiert werden, dass die Behörden nur zum Zweck der Verfolgung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren Zugang zu den gespeicherten Daten erhielten und strenge Maßnahmen zum Schutz der gespeicherten Daten vor Missbrauch ergriffen würden“, heißt es in der Mitteilung des Oberverwaltungsgerichts.
Im Kern ist es also ein Urteil, das die Analysen vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags sowie diversen weiteren Juristen bestätigt.
Erst einmal nur ein Eilantrag
Der Münchner Provider SpaceNet hatte zunächst einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht, scheiterte dort aber noch. Zum Erfolg führte dann erst die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Anfechtbar ist der aktuelle Beschluss zwar nicht, da es sich aber um ein Eilverfahren und nicht um das Urteil in der Hauptverhandlung handelt, betrifft es zunächst nur die Beteiligten – in diesem Fall also SpaceNet. Wollen andere Provider ebenfalls einen Freifahrtschein vor der Datensammlung erhalten, müssen sie selber klagen. Ansonsten gilt ab dem 1. Juli die Speicherpflicht.
Den Weg über die Gerichte haben auch schon weitere Provider eingeschlagen. Bei dem Verfahren der Deutschen Telekom geht es allerdings nicht um die Vorratsdatenspeicherung als solches, sondern nur um Vorgaben für den Mobilfunk und öffentliche WLANs. Dort lässt sich eine öffentliche IP-Adresse aufgrund der Network Address Port Translation (NAPT) nicht einem einzelnen Kunden zuordnen. Nötig sind dafür weitere Daten, die erfordern allerdings eine zusätzliche Datenbank. Laut den Anforderungen der Bundesnetzagentur ist das Pflicht, für die Telekom wäre das aber rechtswidrig.
Außerdem geht es noch um Geld. Wenn eine Datenbank aufgebaut werden muss, die Mobilfunkkunden einer öffentlichen IP-Adresse zuordnet, wären etwa bei der Telekom Investitionen von bis zu zwölf Millionen Euro fällig, berichtet Golem.
Anfang vom Ende der Vorratsdatenspeicherung
Kritiker der Vorratsdatenspeicherung begrüßen indes das Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Die Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft bezeichnet es als Anfang vom Ende der Vorratsdatenspeicherung. „Wir rufen die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu auf, nun bei ihren jeweiligen Anbietern Druck zu machen und zu verlangen, dass diese sich unverzüglich gegen die Vorratsdatenspeicherung zur Wehr setzen“, erklärt Volker Tripp, politischer Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.
Ähnlich äußert sich der Internetwirtschaftsverband eco, der SpaceNet bei der Klage unterstützt. Vorstand Oliver Süme bezeichnet die Entscheidung des Gerichts ebenfalls als „ersten Schritt in die richtige Richtung“. Nun müsse aber eine „Grundsatzentscheidung“ der Bundesregierung folgen, um „die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu stoppen“. Andernfalls müssten Unternehmen Millionen für ein Gesetz investieren, das europarechts- und verfassungswidrig ist.
Vorerst ist mit einem solchen Schritt der Bundesregierung aber nicht zu rechnen, über Alternativen wird noch nicht diskutiert. Endgültig entscheiden wird daher aller Wahrscheinlichkeit nach das Bundesverfassungsgericht.