Elex im Test: Das neue Gothic heißt bloß anders
2/2Gothic, alter Freund!
Als wenn das Konzept noch nicht Gothic genug wäre: Elex ist auch eine Hommage an den Klassiker, mit dem alles begann. Schon direkt nach dem Erwachen tritt Diego in Erscheinung, der Spieler zum alten Lager führt und vor Scavengern schützt. Nur dass er nicht Diego, sondern Duras heißt, das alte Lager nun die Stadt der funktional ähnlichen Berserker ist und Scavenger als „Beißer“ nun schicker aussehen.
Weitere déjà-vus erzeugt das Gameplay nicht nur bei Fraktionswahl, dem Aufstieg in immer höhere Ränge mit besserer Ausrüstung oder weiteren „Gothic-Mechaniken“, sondern schon ganz rudimentär beim Kampf, der zur Balance zwischen Angriff und Verteidigung zwingt. Das Ausdauer-Management und der Verzicht auf Inventar-Pausen und Sofort-Heilungen macht Gefechte im Nahkampf taktisch, der Fernkampf verzichtet auf Zielhilfen und wird fähigkeitslastiger, wenngleich reine Fernkämpfer kaum spielbar erscheinen. Beides bleibt aber vergleichsweise behäbig und fühlt sich an wie Art Dark Souls im Treibsand.
Unarten von Gothic trägt Elex weiter mit sich herum. Dazu gehört der Stunlock; einzelne Gegner lassen sich immer noch in die Handlungsunfähigkeit prügeln. Umgekehrt bleibt der Kampf gegen Gruppen die gleiche alte Qual, weil der Stunlock auch in die andere Richtung funktioniert, die Rolle der gefürchteten Wildschweine aus Gothic 3 kommt nun Wüstenspinnen zu. Dass der Fokuswechsel überraschend die Steuerung invertieren kann und Monster mit bemerkenswerten Ausdauer sowie Wallhack agieren, frustriert vor allem am fluchtlastigen Anfang, eigentlich aber zu allen Zeiten.
Bockschwer ist es auch noch!
Der hohe Schwierigkeitsgrad hat Methode. Hinweise stammen aus der Welt und der Beobachtungsgabe des Spielers; Elex zwingt dazu, sich auf die Welt einzulassen. Gedankenlos durchzufegen funktioniert nicht, es gibt kein Navigationssystem, Fertigkeitsboni werden nur grob beschrieben und Tipps kaum gegeben. Das Spiel schmiegt sich nicht seinem Spieler an, es will umgekehrt bezwungen werden.
Diese Schwierigkeit steigert den Reiz des Titels ungemein, denn solcher Mut, dem Spieler auch einmal auf die Nase zu geben, ist selten geworden. Dazu kommt: Auch wenn man misstrauisch in jeder Ecke schnüffelt, lassen sich weder DLCs, Abkürzungen noch Mikrotransaktionen auffinden. Wer das Spiel bezwingt, schafft das in bester „Oldschool-Tradition“, weil er die Regeln überlistet, weil er geschickt ist, weil er mitdenkt oder gut mit dem Controller umgehen kann und somit die nötigen Fertigkeiten besitzt.
Alles ist möglich, nicht alles klug
Das Gefühl Lösungen zu finden, von denen anzunehmen ist, dass sie die Designer nicht unbedingt im Blick hatten, und andere, die eigentlich logisch, in modernen Spielen aber ohne dicken Hinweispfeil nicht mehr vorkommen, machen einen weiteren Reiz der Welt aus. Spieler sollen sich klar durchsetzen müssen. Im Gegenzug gibt es echte Erfolge und das Gefühl, tatsächlich etwas erreicht zu haben.
Das führt dazu, dass der Spieler-Niemand am Anfang durch die Welt flieht, sich dabei erst einmal unter Ausnutzung des neuen Jetpacks mit den räumlichen Gegebenheiten vertraut macht, zu Questzielen schleicht und eben nicht alles umbringt, was mehr als zwei Beine hat. Man soll, man darf einmal wieder selbst denken und kommt nicht immer mit jedem Lösungsweg an sein Ziel. Und so bleibt auch die Reihenfolge der Aufträge offen. Wer mag, kann schon von Stunde Eins an in jeden Winkel der Welt reisen und seine Grenzen austesten. Er muss dann jedoch feststellen, dass „offen“ nicht synonym für „zugänglich“ verwendet wird.
So verlagert sich das Spielgeschehen. Die anfängliche Flucht wird von Botengängen begleitet, um Ausrüstung zusammenzusparen und auch später werden sich Rache-Albs ihre Kämpfe aussuchen müssen. Dafür entwickelt sich langsam ein natürliches, messbares Gefühl von Erfolg und Macht, weil es möglich wird, auf Bedrohungen anders zu reagieren. Diese Welt langsam zu erobern, macht zusammen mit ihren unzähligen Geschichten ihren Reiz aus.
Die erste Stunde bleibt hart
Und doch will auch diese Freude an der gelungenen Unterhaltung insofern verdient werden, als dass Elex klare Prioritäten bei der Entwicklung gesetzt hat. Das merkt man am im Spielverlauf unübersichtlicher werdenden Inventarsystem oder Quests im Logbuch; Ober- und Unteraufgaben erhalten verwirrenderweise andere Marker auf der Karte, weil sie andere Dinge beinhalten, aber auch an Städten, die eher wie eine statische Kulisse wirken und gewisse Stellen der Geschichte, die mit Längen einhergehen, weil Levelziele vorgegeben werden, aber die Aufgaben eine solche Streckung nicht immer tragen. Dazu kommen KI-Begleiter, die nicht immer zuverlässig auf Feinde reagieren. Und auch die erste(n) Stunden(n) im Spiel sind zäh, sie verlangen Durchhaltevermögen, wenngleich ein solches reich belohnt wird. So stehen gelegentliche Frust-Tiefs immer wieder neben jauchzenden Höhen, kleine Lästigkeiten, die Elex aber immer wieder überspielen kann. Zu spannend sind Inhalte.
Fazit
Elex ist so voller Widersprüche wie seine Welt und scheint ganz wie Magalan gefangen zwischen Vergangenheit und Moderne. Einerseits schafft Piranha Bytes ein Rollenspiel alter Schule, das modernen Tendenzen der Gefälligkeit gekonnt die kalte Schulter zeigt und gerade dadurch begeistert, eines, das eine großartige Welt mit packenden Charakteren aufbietet, fordert und belohnt, das genau trifft, was Rollenspiele ausmacht. Diese fast schon zeitlose Konzeption hebt den Titel wohltuend von modernen Pseudo-RPGs am Rande der Beliebigkeit ab.
Andererseits steckt der Titel voller Ecken und Kanten, stellt neben Begeisterung immer wieder Frust und Ärger, zeigt Aussetzer und lieblosere Ecken, die nicht mehr in vollem Maße zeitgemäß sind. Am Willen zum Weitermachen hat das nie gerüttelt. Elex bleibt im Kern Gothic, behutsam angepasst und sanft modernisiert. Spielstruktur, Spielemechaniken, selbst Fehler als Markenzeichen zeigen die Handschrift der Serie und ihrer Entwickler. Vielleicht trägt auch das dazu bei, dass Elex fesselt, denn das Spielen war auch ein halber Retro-Trip in die eigene Vergangenheit. Ungeachtet solcher Boni lässt sich festhalten, dass die Qualitäten von damals auch heute noch Qualitäten sind.
Elex wird mit dieser Ausrichtung schwerlich jeden Geschmack treffen und will das mutmaßlich auch gar nicht. Darauf muss man sich einlassen können, was verlangt, über Schwächen hinwegzusehen. Ein Mindestmaß an Frustresistenz erscheint wichtige Mindestvoraussetzung für Elex. Trotzdem: Die Mühe lohnt sich, denn als Belohnung winkt eines der besten Rollenspiele seit längerer Zeit, dessen Reiz aus Imperfektion und Schwierigkeitsgrad entsteht – Elex ist nicht geglättet und weichgespült, sondern ein liebenswerter Charakterkopf.
Kopier- und Jugendschutz: Elex funktioniert über Steam oder DRM-frei über GOG, sodass der Key über die jeweilige Plattform aktiviert werden muss. Dazu ist einmalig eine Internetverbindung nötig; ein Wiederverkauf ist durch die Bindung an das Konto nicht möglich. Jugendschutz: Die USK hat den Titel „ab 12 Jahren“ freigegeben.
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