Topseller auf Amazon im Test: 500-Watt-Netzteile für 20 Euro sind kein Schnäppchen

Nico Schleippmann
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Topseller auf Amazon im Test: 500-Watt-Netzteile für 20 Euro sind kein Schnäppchen

tl;dr: Was taugen beliebte Netzteile von 20 bis 40 Euro mit 500 Watt bei Amazon? Nicht viel, wie von ComputerBase im Handel gekaufte Modelle von HKC, Inter-Tech und LC-Power im Test beweisen. Alternativen von be quiet! und Corsair schnüren trotz der geringeren Leistung in diesem Preisbereich das deutlich bessere Gesamtpaket.

Netzteile von 20 bis 40 Euro im Kurztest

Netzteile mit einer Leistung von 500 Watt und mehr zu einem Preis von unter 40 Euro mögen auf den ersten Blick als Schnäppchen erscheinen, nach genauerer Analyse stellen sich solche Angebote allerdings im Billig-Netzteil-Test von Anfang 2015 als Mogelpackung heraus. Ein Allheilmittel war das zum Teil erschreckende Testergebnis aber nicht.

Fünf Muster aus dem Handel

Auch heute noch verfallen viele Anwender dem Irrglauben, dass viel Leistung auf dem Typenschild ein gutes Netzteil ausmacht und auch extrem günstige Angebote dabei Wort halten. Das zeigen die Topseller bei Amazon*. Aber ist das Ende 2017 auch der Fall? ComputerBase hat aus dieser Kategorie für den Test die Modelle HKC V-Power 550W, Inter-Tech SL-500A 2nd Edition und LC-Power LC500H-12 V2.2 über Amazon erworben.

Doch nicht alle Anwender, die zu günstigen Netzteilen greifen, wählen Modelle mit extrem viel Watt eher unbekannterer Marken. Genauso beliebt sind die Einstiegsserien namhafter Marken, weshalb die Redaktion auch das be quiet! System Power B8 300W und das Corsair VS350 Rev 2.0 mit „nur“ 300 respektive 350 Watt – ebenfalls über Amazon – erworben hat.

Fünf Netzteile für insgesamt 160 Euro im Test
Fünf Netzteile für insgesamt 160 Euro im Test

Marke mit weniger oder möglichst viel Watt?

Das zunächst sehr bunt erscheinende Testfeld lässt damit die Fragestellung zu, ob ein „Markennetzteil“ mit weniger Leistung am Ende nicht vielleicht sogar das bessere Schnäppchen ist.

Die Details zu der Testmethodik, der eingesetzten Teststation und den elektrischen Messungen sind auch in diesem Fall im Artikel „So testet ComputerBase Netzteile“ separat nachzulesen. Eine ständig aktualisierte Übersicht empfehlenswerter Netzteile bietet die Netzteil-Rangliste mit Bestenliste.

Die Testkandidaten im Überblick

Einen Wirkungsgrad nach 80Plus EU können lediglich die Modelle von be quiet! und Corsair vorweisen. Wie Messungen zeigen werden, liegt der Wirkungsgrad der Netzteile von HKC, Inter-Tech und LC-Power tatsächlich niedriger, als es dieses Zertifikat fordern würde. Auf die Zertifizierung wurde also nicht nur aus Kostengründen verzichtet. Für Systemintegratoren, die einen gewissen Mindestwirkungsgrad des Netzteils erfüllen müssen, fallen diese Modelle also offiziell weg.

Hersteller be quiet! Corsair HKC Inter-Tech LC-Power
Modell SB8 300W VS350 Rev 2.0 V-Power 550W SL-500A 2nd Edition LC500H-12 V2.2
80Plus 80Plus EU
Lüfter 120 mm
Einbautiefe 140 mm
AC Eingang 200 ‑ 240 V 180 ‑ 264 V 230 V
PFC aktiv passiv aktiv
DC Ausgang +3,3 V 17 A 14 A 25 A 15 A 20 A
+5,0 V 15 A 14 A 23 A 16 A 22 A
+12 V1 18 A 25 A 18 A 30 A 15 A*
+12 V2 14 A 18 A 15 A*
-12,0 V 0,3 A 0,8 A 0,6 A
+5 VSB 2,5 A 3,0 A
+3,3 V & +5 V ges. 103 W 90 W 140 W 120 W 130 W
+12 V ges. 276 W 300 W 432 W 360 W 350 W
Anteil 12 V an Gesamtleistung 92 % 85 % 78 % 72 % 70 %
Gesamtleistung 300 W 350 W 550 W* 500 W* 500 W
* Fehlerhafte Angabe

Bereits in der Tabelle der Ausgangswerte schleichen sich bei den LC-Power, HKC und Inter-Tech – sei es bewusst oder unbewusst – Fehler ein. LC-Power bewirbt das Netzteil mit zwei 12-Volt-Schienen, aber ohne eine Überstromsicherung. Doch das eine gibt es nicht ohne das andere, weshalb die Dokumentation an dieser Stelle offensichtlich fehlerhaft sein muss. HKC und Inter-Tech versprechen eine Ausgangsleistung von 550 beziehungsweise 500 W, wobei nicht genauer darauf eingegangen wird, ob es sich um die Dauer- oder Spitzenleistung handelt. Bei Markenherstellern kann immer – wenn nicht anders beschrieben – von der Dauerleistung ausgegangen werden. Die späteren Messungen zeigen, dass HKC und Inter-Tech die angegebene Leistung aber nicht einmal als Spitzenleistung abgeben können, weshalb die Netzteile in Wirklichkeit kleiner spezifiziert werden müssten.

HKC, Inter-Tech und LC-Power mit veralteter Lastverteilung

Betrachtet man die Lastverteilung genauer, fällt zudem auf, dass die Netzteile dieser drei Hersteller in Relation zur Gesamtleistung deutlich weniger Leistung auf der 12-Volt-Schiene liefern können. Der Faktor liegt unterhalb von 80 Prozent, weshalb sich die Netzteile allein wegen der Lastverteilung für heutige Hardware disqualifizieren. be quiet! kann auf dieser für moderne Systeme wichtigen Schiene 92 Prozent und Corsair 85 Prozent abgeben.

Dokumentierte Schutzschaltungen
be quiet! Corsair HKC Inter-Tech LC-Power
Unterspannungsschutz (UVP) ja n/a** ja
Überspannungsschutz (OVP) ja
Kurzschlusssicherung (SCP) ja
Überlastschutz (OPP) ja* nein ja
Überstromschutz (OCP) ja ja* nein
Überhitzungsschutz (OTP) ja nein
* Fehlerhafte Umsetzung
** Ausgehend von Technik-Analyse vorhanden

be quiet! verspricht als einziger Hersteller alle wichtigen Schutzschaltungen. Das wäre, sofern zutreffend, in diesem Preisbereich besonders hervorzuheben, weil selbst doppelt so teure Produkte die Komplettierung der Schutzschaltungen des Öfteren vernachlässigen. Der Überhitzungsschutz, der einer extra Implementierung bedarf, wurde deswegen auch bei den restlichen Probanden aus dem Funktionsumfang gestrichen. Darüber hinaus soll bei HKC der Unterspannungsschutz, bei Corsair der Überlastschutz und bei LC-Power der Überstromschutz fehlen.

Da der Unterspannungsschutz die grundlegendste Sicherung eines jeden Supervisor-ICs darstellt und ausgehend von der eigenen technischen Analyse der IC diesen auch anbietet, wurde dessen Auflistung in der Amazon-Beschreibung des V-Power 550W aber offensichtlich schlicht vergessen. An anderer Stelle hapert es aber an der Umsetzung: Die Überstromsicherungen von Corsair, HKC und Inter-Tech wurden nicht korrekt implementiert – bei be quiet! ist es der Überlastschutz.

Kabelausstattung

Grafikkarten zählen derzeit zu den Komponenten, die die meiste Leistung aufnehmen können und dabei quasi ausschließlich die 12-Volt-Schiene belasten. Die Steckerausstattung wurde bei Inter-Tech und LC-Power entsprechend ihrer Lastverteilung angepasst. Der eine 6-Pin-PCIe-Anschluss des LC500H-12 V2.2 würde also eine Grafikkarte mit einer Leistungsaufnahme von maximal 150 W erlauben – für das SL-500A 2nd Edition wären es sogar nur 75 W. Auch von den restlichen Anschlüssen gibt es bei Inter-Tech besonders wenige, weshalb bezweifelt werden kann, dass das Netzteil mit realen Systemen überhaupt auf 500 W ausgelastet werden kann. Deutlich besser sieht es für das HKC V-Power 550W aus, das sich mit einem 6+2-Pin- und 6-Pin-PCIe-Stecker kaum eine Grenze in Bezug auf die Grafikkarte gesetzt ist. Mit nur drei SATA- und Molex-Anschlüssen enttäuscht es aber an anderer Stelle.

Verkleinerung und Verzicht auf Adern zur Kostensenkung

Genauso wie be quiet! und Corsair lässt HKC keine Einsparungen bei den Kabelquerschnitten zu, die mit 18 AWG Standardabmessungen besitzen. Inter-Tech und LC-Power sehen das anders und nehmen einen höheren Spannungsabfall über den Leitungen aufgrund des geringeren Kupferquerschnitts in Kauf. Kostensenkungen um jeden Cent machen auch nicht an den SATA-Steckern Halt. HKC und Inter-Tech halten die Belegung der 3,3-Volt-Pins für überflüssig, weil Laufwerke für gewöhnlich diese Schiene nicht belasten.

Steckerzahl (Aderquerschnitte) be quiet! Corsair HKC Inter-Tech LC-Power
24-Pin ATX 1 (18 AWG)
4+4-Pin EPS 1 (18 AWG) 1 (21 AWG) 1 (20 AWG)
4-Pin EPS 1 (18 AWG)
6+2-Pin PCIe 1 (18 AWG)
6-Pin PCIe 1 (18 AWG) 1 (20 AWG)
SATA 4 (18 AWG) 3 (21 AWG) 4 (20 AWG)
Molex 2 (18 AWG) 3 (18 AWG) 2 (21 AWG) 2 (20 AWG)
Floppy 1 (20 AWG) 1 (21 AWG) 1 (20 AWG)

Gaming-PCs sind aber auch für das System Power B8 300W nicht das Hauptanwendungsgebiet, was an dem 4-Pin-EPS-Stecker und den fehlenden PCIe-Steckern deutlich wird. Hier ist das VS350 Rev 2.0 mit einem 4+4-Pin-EPS- und 6+2-Pin-PCIe-Anschluss besser ausgestattet, wobei diese Zusammensetzung auch das System Power B8 350W bieten würde, wenn man einen fairen Vergleich ziehen möchte.

Kabelummantelungen nur gegen Aufpreis

Weitere Kosteneinsparungen vollziehen die Hersteller mit dem Verzicht auf Kabelummantelungen. HKC bietet diese immerhin für den ausladenden 24-Pin-ATX-Strang an; Corsair umhüllt alle Kabel mit Sleeve.

Technikvergleich

Mit HEC und CWT setzen be quiet! und Corsair auf vertrauenswürdige Auftragsfertiger, die zudem vollständige Produktionslinien nach heutigem Standard besitzen. Das entgegengesetzte Extrem stellt das Netzteil von Inter-Tech dar, das aus technischem Standpunkt Jahrzehnte zurückliegt. Eine SMD-Montage auf der Platinenrückseite zählt genauso wie ein Brückengleichrichter als diskretes Bauelement und Hochvolt-Elektrolytkondensatoren zu etablierten Lösungen.

Billig geht auf Kosten der Schutzeinrichtungen

Eines gemeinsam haben aber alle „Billignetzteile“. Sie müssen ohne Schutzeinrichtungen gegen Stoßspannungen und Einschaltströme auskommen, welche selbst die Einstiegsserien in Form eines MOVs und NTC-Widerstands enthalten. Bezüglich der Schutzfunktionen lässt sich im LC-Power LC500H-12 V2.2 ein weiteres interessantes Detail entdecken. So wurde mit dem 8-Pin Weltrend WT751002 ein Downgrade des Supervisor-ICs vorgenommen, obwohl das Layout die Verwendung eines besseren ICs vorsieht, mit dem unter anderem die Dual-Rail-Absicherung der 12-Volt-Schiene möglich gewesen wäre.

Aufgrund von Kosteneinsparungen sind alle Probanden nur auf einen Betrieb im 230-Volt-Netz ausgelegt. Auch bei halbierter Netzspannung können die Netzteile mit aktiver PFC theoretisch arbeiten, weil eine Spannungswandlung inhärent mit deren Funktionsweise verbunden ist. Trotzdem sind sie nur für die höhere der beiden Spannungen ausgelegt. Ohne diese Einschränkung müssten nämlich bestimmte Bauteile der Primärseite größer dimensioniert werden. Eine passive PFC auf der anderen Seite kann die Spannung für den DC-Zwischenkreis nicht regeln und ist direkt mit der Netzspannung gekoppelt. Sollte die Angabe von HKC stimmen, müsste der auf die PFC folgende Wandler mit Spannungen von 250 V und weniger bis 370 V zurechtkommen, die sich nach der Gleichrichtung der Netzspannung ergeben würden. Ob wirklich ein so großes Intervall unter allen Lastbedingungen abgedeckt werden kann, darf bezweifelt werden.

Große Preisunterschiede in der Elko-Bestückung

Bezüglich der Elektrolytkondensatoren bedienen sich HKC und Inter-Tech vermeintlich an den derzeit günstigsten auf dem Markt erhältlichen Fabrikaten. FHY, Cheng, ChengX, H. Q. und AsiaX zählen nicht zu den Marken mit besonders gutem Ruf. Die Kapazität auf der Primärseite muss aufgrund der fehlenden Zwischenstufe größer ausfallen, weshalb sie mit 280 beziehungsweise 340 µF hier vergleichsweise große Werte liefern. be quiet! mit einem 180-µF-Teapo, Corsair mit einem 150-µF-Suscon und LC-Power mit einem 150-µF-12KJ-Elko nehmen hier ähnliche Dimensionierungen vor. Ansonsten setzt Corsair für die Sekundärseite auf Capxon-Elkos. Nippon-Chemicon-Elkos auf der 5-VSB-Schiene des System Power B8 300W zu sehen, ist in diesem Preissegment etwas ungewöhnlich, wovon sich be quiet! eine höhere Lebensdauer des dauerhaft aktiven Standby-Wandlers erhofft.

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