MBition: Wie Daimler die Infotainment-Entwicklung nach Berlin holt
Die Infotainment-Entwicklung von Daimler findet seit kurzem exklusiv an einem neuen Standort in Berlin statt. Das Unternehmen hat sich mit dem konzerninternen Startup MBition im Coworking-Space von Mindspace in Berlin-Mitte eingemietet. Dort arbeiten die Entwickler fernab von Stuttgart unter eigener Verantwortung am neuen MBUX.
Bei der Weiterentwicklung der Mercedes-Benz User Experience (MBUX), intern NTG 6 (Neue Telematik Generation 6) genannt, geht das traditionsreiche Unternehmen Daimler einen ungewöhnlichen Weg und trennt sich ganz bewusst vom Standort Stuttgart. MBition (Mercedes-Benz Innovation Lab) als konzerninternes Startup ist dabei ein ganz neuer Ansatz für Daimler, der den Standort Berlin als Magnet für junge Talente nutzt.
In angemieteten Räumen von Mindspace findet in Eigenregie zum einen die Weiterentwicklung der aktuellen Infotainment-Generation statt, die erstmals Anfang des Jahres zur CES in Las Vegas gezeigt wurde und die im Februar in der neuen A‑Klasse Premiere feierte, zum anderen widmet sich das Team bereits der kommenden Generation, die in zukünftigen Fahrzeugen von Mercedes-Benz zum Einsatz kommen wird.
Kurze Wege, mehr Verantwortung
Dass MBition als konzerninternes Startup beinahe unabhängig von der Konzernzentrale in Stuttgart agieren kann, ist durchaus bemerkenswert, wie CEO Miro Bogdanovic im Gespräch mit ComputerBase erläuterte. Die Redaktion konnte im Nachgang des Tech Open Air den neuen Daimler-Standort in Berlin-Mitte besuchen und sich einen Eindruck von den Büroräumen und Arbeitsabläufen vor Ort verschaffen. Bogdanovic berichtet in seiner Rolle als MBition-CEO direkt an Sajjad Khan, Vice President Digital Vehicle & Mobility, Daimler AG.
Entscheidungen werden über kurze Wege innerhalb von MBition gefällt und müssen nicht mit der Konzernzentrale abgesprochen werden. Das beschleunigt die Entwicklung, bedeutet wiederum aber auch mehr Verantwortung für jeden Mitarbeiter. Dennoch scheint sich das Team in seiner neuen Rolle in Berlin wohl zu fühlen.
Den neuen Standort in Berlin hat Daimler nicht ohne Grund ausgewählt: Als europäische Metropole ist Berlin für junge Talente ein deutlich attraktiverer deutscher Standort als das Schwabenland. Dass sich der ein oder andere alteingesessene Mitarbeiter aus Stuttgart dabei vielleicht vor den Kopf gestoßen fühlt, dass die coolen, hippen Daimler-Mitarbeiter jetzt in Berlin am Start sind, wird dabei notgedrungen in Kauf genommen. Schon jetzt, aber insbesondere langfristig gesehen, spielt die Digitalisierung des Konzerns eine wichtige Rolle, sodass eben auch beim Standort Flexibilität gezeigt werden muss.
Bei MBition in Berlin sind derzeit 117 Mitarbeiter angestellt, Tendenz steigend. Nach talentierten Mitarbeitern wird händeringend gesucht, auch im Ausland, wie die bunte Mischung verschiedenster Nationen bereits jetzt zeigt. Wer als Mitarbeiter schlaue Köpfe für die Infotainment-Entwicklung in das Unternehmen holen will, kann diese dem Personalwesen vorstellen und dadurch einen finanziellen Bonus erhalten.
OTA- und Backend-Updates für neue Features
Auf der technischen Seite will MBition die Kontaktwege auch bei Partnern wie Nvidia verkürzen. Nvidia liefert mit „Reilly PX“ und „Parker 128“ zwei verschiedene SoC-Lösungen für das Infotainment der A-Klasse. Bei der Kommunikation mit Nvidia laufe noch viel über die Konzernzentrale, erklärte Gregor Zetsche, Head of Infotainment-Software, im Gespräch. Aber auch hier soll die direkte Kommunikation an Stelle des Umwegs über Stuttgart treten. Nvidia wird aller Voraussicht nach auf bei kommenden Infotainment-Generationen ein wichtiger Partner sein.
Bevor allerdings neue Hardware Einzug halten wird, stehen Software-Updates für das NTG 6 an. Dank der erstmals Over the Air (OTA) möglichen Updates können diese über einen verschlüsselten TLS-Kanal und durch eine digitale Signatur verifiziert von Mercedes-Benz direkt an das Automobil gesendet werden. Was auf Smartphones gang und gäbe ist, wird sich in der Automobilbranche erst in den kommenden Jahren durchsetzen. Tesla-Kunden kennen diese Form der Updates hingegen schon seit längerer Zeit. Zur CES hatte Daimler angekündigt, regelmäßig OTA-Updates für das Infotainment anbieten zu wollen. Da neue Funktionen jedoch auch über Updates aufseiten des Back-Ends von Daimler umgesetzt werden können, sind neue Features nicht zwangsläufig an ein OTA-Update gebunden. Der Rollout geht so noch schneller.
MBUX wird flächendeckend bei Mercedes-Benz Einzug halten
Welche neuen Funktionen Mercedes-Besitzer in naher Zukunft erwarten können, musste vor Ort noch Verschlusssache bleiben. Grundsätzlich ist aber im Bereich der fahrzeugspezifischen Neuerungen der Elektromobilitäts-Submarke EQ mit Anpassungen am MBUX zu rechnen. Und dass die mit der A-Klasse eingeführte Infotainment-Generation bei Neuvorstellungen – jedoch nicht bei Modellpflegen – anderer Fahrzeugklassen auch dort Einzug halten, ist ebenfalls kein Geschäftsgeheimnis.
Mit der Robert Bosch GmbH hatte erst Anfang 2018 ein weiterer deutscher (Automobil-)Großkonzern mit Firmenzentrale in Stuttgart einen neuen Standort in Berlin eröffnet. Auch am so genannten IoT-Campus am Tempelhofer Hafen steht die Softwareentwicklung in einem „unkonventionellen Arbeitsumfeld“ im Vordergrund.
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