30 Jahre U61000: Als die DDR die technische Wende einläuten wollte
Der 11. Februar 1986 sollte eine Wende in der Mikroelektronik der DDR bringen: Nachdem das Zentralkomitee bereits 1977 festgestellt hatte, dass das Land im internationalen Vergleich einen Rückstand von neun Jahren aufweist, wird mit der Entwicklung des U61000 begonnen, dem ersten und einzigen 1-MBit-Chip der DDR.
Den Anschluss nicht verlieren
Zu diesem Zeitpunkt hatte das VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) mit dem Projekt „Mikron‟ den Auftrag erhalten, innerhalb von drei Jahren einen leistungsstarken Speicherbaustein zu entwickeln, welcher den Abstand zur internationalen Konkurrenz zumindest verringern sollte. Die Serienproduktion sollte spätestens 1990 beginnen.
Auf Erfahrung aufbauen
Erfahrung konnte das ZMD im Bereich der Chip-Herstellung unter anderem bereits mit dem 1980 in die Serienproduktion gegangenen Mikroprozessor U880 sammeln. Auch wenn es sich bei diesem letztendlich nur um einen unlizenzierten Nachbau samt geringfügigen Veränderungen des 1976 eingeführten Z80 von Zilog handelte, war der Prozessor in der DDR sehr verbreitet und kam vor allem im KC 85/2, KC 85/3 und KC 85/4 zum Einsatz. Bei Spielern und Entwicklern fanden die Rechner trotz ihres vergleichsweise hohen Preises beiderseits hohen Anklang, über 500 Spiele und Programme erschienen für die genannten Computer, zumeist handelte es sich dabei jedoch um illegale Portierungen westlicher Titel.
Gleiches gilt für die DRAM-Schaltkreise U6164 und U61256, welche wiederum auf unlizenzierten Technologien von Toshiba beruhten. Auf den mit den beiden Bauteilen gewonnenen Erfahrungen wollten die Ingenieure beim neuen Chip aufbauen. Darüber hinaus wurden Unterlagen für Kenntnisse über die notwendige VLSI-Fertigungstechnologie vom Ministerium für Staatssicherheit bei Siemens beschafft – welche sich jedoch nicht für die eigenen Zwecke umsetzen ließen. Die Forscher waren der Meinung, dass die aufgezeichnete Fertigung nicht mit der stark auf das ZMD zugeschnitten Produktion in Einklang gebracht werden konnte.
Problem Embargo
Ein weiteres Problem stellte das damals verhängte CoCom-Technologieembargo dar, aufgrund dessen die benötigten Fertigungstechnologien nicht einfach auf dem Weltmarkt gekauft werden konnten. Und selbst ohne das Embargo ist es bis heute fraglich, ob die DDR die dafür benötigten Devisen überhaupt hätte aufbringen können. Daher mussten die Forscher einen Großteil der benötigten Maschinen selbst entwickeln. Andere benötigte Bauteile wurden entgegen der gesetzlichen Bestimmungen über mehrere Zwischenländer unbemerkt importiert, mussten aber für die geplanten Zwecke erheblich optimiert und angepasst werden – was wiederum den Zeitplan strapazierte.
Vorstellung Jahre zu spät
Am 10. August wurden die ersten funktionsfähigen und fehlerfreien Entwicklungsmuster des neuen Bausteines gefertigt und diese am 12. September 1988 in einer groß angelegten Präsentation an Staats- und Parteichef Erich Honecker vorgestellt – zu einer Zeit, in der in der westlichen Welt bereits die ersten 4-MBit-Chips in Serienproduktion gefertigt wurden. In der DDR aber arbeiteten rund 59.000 Menschen in 22 Betrieben daran, damit das sozialistische Land den Anschluss an das Mikro-Zeitalter nicht verliert.
Falsches Bauteil für Honecker
An diesem Tag sollte Honecker ein in einer blauen Glaspyramide eingefasster Musterstein, welcher in der Lage war, bis zu 60 DIN-A4-Seiten bestehend aus vierzig Zeilen mit jeweils sechzig Zeichen speichern zu können, übergeben werden. Aus diesem Zusammenhang sollen auch die berühmten Worte des damaligen Staatsratschefs „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf‟ stammen.
Doch in der blauen Glaspyramide steckte keine funktionsfähige Version des gerade einmal 84 Quadratmillimeter großen Speichersteines, sondern ein anderes Bauteil. Da zu diesem Zeitpunkt die Anzahl funktionsfähiger Einheiten mehr als überschaubar war, behielten die Forscher das Original lieber für sich. „Wir dachten, dass es sowieso egal ist, was der da überreicht bekommt“, wird einer der Mitarbeiter im Januar 2010 in der Mitteldeutschen Zeitung zitiert. „Dann haben wir gelost, wer ihn mit nach Hause nimmt. Wir wollten nur nicht, dass der das echte Ding bekommt“.
Hohe Fehlerquote sorgt für geringe Ausbeute
Im Laufe des Jahres 1988 verließen rund 5.000 Muster die Produktionslinien der KME, weitere 30.000 folgten 1989. Auf welche Schwierigkeiten die Ingenieure in der Fertigung stießen, zeigt deutlich die bei gerade einmal 20 Prozent liegende Ausbeutung. Im Laufe seines kurzen Lebens wurde der in CMOS-Technologie mit 1,2 µm Strukturbreite erstellte Schaltkreis in zwei Varianten gefertigt: Einmal umgeben mit einer 18-poligen DIL-Plast-Verkleidung (U61000D) oder in einem Keramikgehäuse (U61000C).
Mauerfall besiegelt das Aus
In Serie ging der U61000 am Ende nie. Rund ein Jahr später wurde noch der 32-Bit-Prozessor U80701, der dem westlichen Modell MicroVAX 78032 von DEC entsprach, vorgestellt. Eine schon geplante Entwicklung eines 4-MBit-Speicherschaltkreises wurde ebenfalls nicht mehr begonnen. Honecker war sich zwar bewusst, dass er es bei den Kosten in diesem Segment nie mit den westlichen Ländern hätte aufnehmen können, denn während ein Exemplar des U61000 Kosten von rund 500 DM verursachte, war das Original bereits für umgerechnet 5 DM herstellbar. Doch spekulierte der Staatsratschef auf Abnehmer in den Ostblock-Ländern, welche ebenfalls vom besagten Embargo betroffen waren. Vor allem der Militärsektor sollte den Aufschwung bringen.
Doch dann verkündet Michael Gorbatschow das Ende des Kalten Krieges und den Stopp des Wettrüstens zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA, der Mauerfall tat sein übriges dazu, ein Stück Ingenieurskunst der DDR zu Grabe zu tragen.
Entwicklung gut für die Region
Auch wenn es der U61000 nie auf den internationalen Massenmarkt geschafft hat, kann Chefkonstrukteur Jens Knobloch dieser Zeit dennoch etwas Gutes abgewinnen – auch für die Region: „Doch eine Folge unserer Arbeit an dem 1-Megabit-Speicher war, dass sich wegen des starken Potenzials an Fachkräften nach 1989 in der Region um Dresden ein europaweit einzigartiges Cluster entwickelte – das sogenannte Silicon Saxony ‟.